Das nennt man Timing. Pünktlich zum deutschen Kinostart von 12 Years a Slave wurde bekannt gegeben, dass das Sklavereidrama von Steve McQueen für insgesamt neun Oscars vor allem in den zentralen Kategorien (Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller) nominiert wurde. Und das zurecht, denn der Film ist eine eindringliche Erinnerung an eine gar nicht so weit zurückliegende Zeit, in der eine vermeintlich hoch entwickelte Gesellschaft alle Züge der Menschlichkeit verloren hatte. Andreas Gniffke hat sich den Film im Trierer Broadway angesehen.
Im Jahr 1841 lebt der dunkelhäutige Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) mit seiner Familie als freier Bürger in Saratoga im Staat New York. Er ist kultiviert, spielt Violine und ist anerkanntes Mitglied der Gesellschaft. Die Sklaverei im Süden der Vereinigten Staaten scheint weit entfernt. Doch als ihm zwei zwielichtige Gestalten ein lukratives Engagement als Musiker in Washington versprechen, ändert sich sein beschauliches Leben auf schaurige Weise. Mit Alkohol außer Gefecht gesetzt findet sich Northup gefesselt in einem Kellerverlies wieder und wird schließlich als Sklave in die Südstaaten verschleppt. Dort kauft ihn der Plantagenbesitzer William Ford (Benedict Cumberbatch, Sherlock), auf dessen Anwesen Northup sich in der Hierarchie schnell nach oben arbeitet und das Vertrauen Fords gewinnt. Dessen jämmerlicher Vorarbeiter (Paul Dano, Prisoners) sieht den Aufstieg des Sklaven mit Eifersucht und der Konflikt eskaliert. Northup wird an Edwin Epps (Michael Fassbender, Shame) verkauft, einem Menschenschinder, auf dessen Baumwollplantage Northup zunehmend seine Hoffnung und Würde verliert. Erst die Begegnung mit dem kanadischen Zimmermann Samuel Bass (Brad Pitt) erneuert Northups Glauben an die Menschlichkeit.
Sklaverei ist wahrlich kein neues Thema im Film. Doch selten wurde das Thema so kompromisslos erzählt, auch wenn Regisseur Steve McQueen und Drehbuchautor John Ridley vordergründig eine sehr konventionelle Erzählweise im Stile der großen Kinodramen gewählt haben. Und das überrascht. Basierend auf den Erinnerungen des realen Samoel Northup ändert McQueen seinen radikalen Stil, den er zum Beispiel in Shame, der Geschichte eines sexsüchtigen Mannes in der Kälte einer modernen Großstadt, perfektioniert hatte. Diese Kälte überfällt den Zuschauer diesmal eher schleichend. Die Verbildlichung einer unmenschlichen und entmenschlichten Gesellschaft will er nicht durch Emotionalität und Pathos erreichen, sondern durch Distanz. Ebenso wie die Sklaventreiber kommt auch der Zuschauer kaum an Northup heran. Sein Martyrium macht fassungslos und nimmt den Zuschauer mit, doch ohne die Tränendrüsen zu malträtieren. Selbst der aus völlig unerfindlichen Gründen ebenfalls für einen Oscar nominierte Hans Zimmer nimmt sich mit seinem Soundtrack erfreulich zurück und ertränkt den Film nicht mit Kitsch und Pathos. Der Film ist hart, aber bewusst nicht über alle Maßen brutal. McQueen setzt Nadelstiche, die ins Mark treffen. So zum Beispiel eine unerträglich lange Sequenz, in der Northup am Baum aufgeknüpft auf den Zehenspitzen um sein Leben kämpft, während um ihn herum das ’normale‘ Leben auf der Plantage weitergeht; oder eine Auspeitschung, die erst am Ende das volle Maß an Grausamkeit aufblitzen lässt. McQueen will aufrütteln und ein breites Publikum erreichen, eine Taktik, die aufzugehen scheint. Die teils überragenden Kritiken und neun Oscarnominierungen geben ihm zumindest recht.
Einer der heißesten Oscarkandidaten ist sicherlich Chiwetel Ejiofor, dessen Ausstrahlung den Film trägt und neben dem nächstens noch der beängstigend böse Michael Fassbender bestehen kann. Benedict Cumberbatch bleibt dagegen ebenso blass wie der nur kurz auftretende Brad Pitt. Nach etwas mehr als zwei Stunden lässt 12 Years a Slave den Zuschauer erschöpft und betroffen zurück. Selten habe ich ein Kino so ruhig erlebt.
Fazit: Dem britischen Regisseur Steve McQueen ist ein eindringliches und bedrückendes Porträt eines Mannes gelungen, der seine Freiheit verliert und um seine Würde kämpft. Ein klassisch inszeniertes Drama, kühl inszeniert und mit unterschwelliger Wucht. Ein wichtiger Film, der sich seine zahlreichen Oscarnominierungen redlich verdient hat. Es gibt nichts zu verzeihen, wie es am Ende heißt.
12 Years a Slave läuft im Trierer Broadway in der deutschen Version und an ausgewählten Terminen auch im Original.
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