Wer sind diese Reichbürger? Träumer? Fantasten? Psychisch Kranke? Spätestens nach dem letzten Todesfall eines Polizeibeamten durch die Schussabgabe eines Reichbürgers, ist die Reichsbürgerbewegung in die mediale Öffentlichkeit gerückt und mit ihnen die Frage: Wer ist das eigentlich? Genau hier besteht nämlich das Problem. Es gibt keine allgemeingültige Definition, keine feste Ideologien. Diese Gruppe ist kaum definitorisch fassbar, weil sie sich selbst in einem Wirrwarr aus vielen verschiedenen Ideologien und verschwörungstheoretische Vorstellungen verlieren.
Nachdem ein Polizeibeamter im Oktober 2016 durch einen sogenannten Reichsbürger tödlich verletzt wurde (wir berichteten), interessieren sich immer mehr Menschen für dieses gesellschaftliche Phänomen. Viele sehen sie als Gefahr, von anderen werden sie nur belächelt. Was genau sie aber vertreten ist allen nicht so recht deutlich und man ist in vielen Bereichen ebenso ratlos, wie mit diesen Menschen umgegangen werden soll. Vielleicht hofft man, das Problem erledige sich von selbst. Deswegen versuchte Dr. Benjamin Heimerl, von der Hessichen Hochschule für Polizei und Verwaltung, in Ansätzen zu erklären, wer genau diese Reichsbürger sind.
„Versuchen Sie erst gar nicht die ganzen Strukturen intellektuell zu erfassen“, so Heimerl.
Diese Aussage trifft den Kern ganz gut. Die Reichsbürgerbewegung ist in sich in viele verschiedene Ideologien und Rechtsauffassungen verstrickt. Doch eines haben alle Mitglieder dieser Bewegung gemein: Die Bundesrepublik Deutschland existiert für sie als Staat nicht. Was genau sie stattdessen ist, darin besteht auch nicht immer Einigkeit. Sicher ist aber, dass öffentliche Institutionen wie Gerichte, Polizei etc. und Abgaben, Zahlungen und Steuern nicht anerkannt werden. Die Justiz an sich wird als feindliche Macht und terroristische Gruppe wahrgenommen. Paradoxerweise suchen sie Anerkennung in Institutionen, die sie selbst nicht anerkennen.
Sind die Behörden machtlos?
Betroffene sind vor allem Behörden, die sich in Konflikten mit Reichsbürgern auseinandersetzen müssen. Auch ihnen rät Heimerl:
„Es ist kaum möglich politikwissenschaftlich, gesellschaftlich oder juristisch zu argumentieren. Anhänger der Reichsbürgerbewegung werden Sie immer wieder mit Fakten und Gesetzen konfrontieren und tiefer in verschwörungstheoretische Vorstellungen verstricken. In einer verzerrten Wahrnehmung werden Hierarchien umgekehrt. Nicht der Bürger muss sich vor einer Behörde rechtfertigen, sondern die Behörde selbst. Nach dem Motto: Beweise du mir erst mal, dass du mir das zustellen darfst; bestätige mal, dass es dich als Behörde überhaupt gibt.“
Lässt man einen sogenannten Reichsbürger, dann schließlich ziehen, weil man der Sache müde geworden ist, ist es für diesen nur wieder die Bestätigung eines nicht existierenden oder funktionierenden Staates. Argumentatorisch sozusagen eine Zwickmühle.
„Wer in Konflikt mit einem Reichsbürger gerät, muss damit rechnen auditiv oder visuell aufgenommen zu werden und sich im Internet wiederzufinden“, so Heimerl weiter.
Aussagen werden in einen wirren Kontext gestellt und durch verschwörungstheoretische Vorstellungen entkräftet. Wie soll man auch die Argumente eines Menschen rechtlich widerlegen, wenn er gar nicht an das bestehende Recht glaubt und die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat anerkennt. Heimerl rät dazu, eine Diskussion frühzeitig abzubrechen aber trotzdem in den Forderungen beharrlich zu bleiben.
Reichsbürger sind keine homogene Gruppe!
„Eine genaue Zahl der Reichsbürger lässt sich nicht fassen. Zwar lassen sich Schwerpunkte von aktiven Reichsbürgern grob feststellen z.B. in Sachsen, Sachen-Anhalt und Brandenburg. Aber sie sind bundesweit aktiv, dabei geht es um Einzelfälle, die punktuell verteilt sind“, so Heimerl.
Die Reichsbürgerbewegung kann man in vier grobe Gruppen einteilen, worin man aber nicht jedes Mitglied eindeutig zuordnen kann, es handelt sich lediglich um Gesinnungsgemeinschaften. Dazu gehören:
- Nationalistisch-konservative Reichsbürger, die oft eine rechtsradikale Einstellung vertreten.
- Die sogenannten Selbstverwalter, die sich selbst als staatenlos verstehen und Steuern vermeiden.
- Die selbsternannten Fürsten und Monarchen, die eigene Königreiche nach dem Prinzip der Thronfolge gründen.
- Die ambivalenten Milieumanager, die kommerziell Fantasieprodukte wie erfundene Währung und Dokumente vertreiben.
„Reichsbürger haben mehr Häuptlinge als Indianer“, schmunzelt Heimerl.
Klingt komisch, ist aber so. Die meisten Anhänger der Bewegung sind selbsternannte Reichskanzler und diverse Minister. Zwischen 2012 und 2014 lag der Altersdurchschnitt der Anhänger bei 49 Jahren. Mit 20% an Frauen war in dieser Zeit der Anteil relativ hoch im Vergleich zu Straftaten rechtsextremer Milieus, die begangen werden. Dennoch dominiert die männliche Täterszene. Statistisch häufig sind die Mitglieder alleinstehend, im (Vor-)Ruhestand oder arbeitssuchend.
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