Von Andreas Gniffke
Matze ist Hooligan. In regelmäßigen Abständen sucht er den Kampf mit gegnerischen Gruppen, nicht mehr im Stadion, sondern auf dem Acker. Dort wo es keine lückenlose Überwachung durch Polizeikameras und die ständige Gefahr der Festnahme gibt. Denn Matze hat noch ein zweites Leben als Jurastudent und Türsteher und dann funkt auch noch eine Frau dazwischen…
Schon immer stellt sich in der Literatur die Frage, was die Wirklichkeit letztendlich besser abbildet: ein dokumentarischer Tatsachenbericht oder ein fiktiver Roman? Michael Pettaus ‚Auf dem Acker‘ trägt bereits im Untertitel eine eindeutige Zuordnung und bezeichnet sich selbst als Hooligan-Roman. Doch zu offensichtlich sind trotz der fiktiven Elemente die biographischen Überschneidungen zwischen Pettaus ‚Held‘ Matze und dessen eigener Biographie. Beide gehörten der Offenbacher Hooligan-Szene an, beide sind Akademiker, die in ihrer Freizeit Geld als Türsteher in Frankfurter Diskotheken dazuverdienen. Ein Doppelleben, aus dem Pettau 2009 ausstieg.
Auch für Matze neigt sich die Zeit auf dem Acker dem Ende zu. Das Examen steht vor der Tür und in Kürze soll er in die Kanzlei seines Vaters einsteigen, eine Tätigkeit, die mit dem Leben eines Hooligans nur schwer kompatibel ist. Doch zu reizvoll sind die organisierten Kämpfe, zu verlockend der Reiz der Auseinandersetzung. Ohne die Schlägereien zu verherrlichen, gelingt es Pettau, den Reiz zu beschreiben, der Hooligans auf die Äcker treibt. Die Kämpfe gehen nach festen Regeln vonstatten, im Vorfeld werden Ort und Gegner abgesprochen, dann die Gruppenstärke und -zusammensetzung und viele weitere Details, die eine weitgehend geordnete Auseinandersetzung regeln sollen. Dies alles erinnert mehr an organisierten Kampfsport, wie das zur Zeit so beliebte Ultimate Fighting, denn an brutale Prügeleien unter Fußball-Gewalttätern. Zu den Unterschieden zwischen den Hooligan-Generationen heißt es im Buch:
„Hooligan sein bedeutete bis zu diesem Zeitpunkt, mit Kumpels zum Spiel zu fahren, die eigene Mannschaft zu unterstützen, viel zu trinken, Drogen zu konsumieren und sich bei Gelegenheit zu schlagen. […] Die neue Generation von so genannten Fußballverbrechern verfügte nur noch bedingt über Bezug zum Verein oder zum Fußball allgemein und nutzte den Sport auch nicht als Bühne, wie irgendwelche vertrottelten Vereinsfunktionäre oder die Medien immer behaupten. Es handelt sich bei ihnen schlichtweg um Gewaltathleten.“
Doch der Sport auf dem Acker hat durchaus Schattenseiten. So zum Beispiel den in der Szene offenbar weit verbreiteten und vielfach akzeptierten Rechtsextremismus, den Matze zwar nicht teilt, im Ausland und in seinem Freundeskreis aber duldet und gelegentlich selbst als Mittel der Provokation einsetzt. Pettau selbst war Mitglied der Offenbacher ‚Anti-Sozial-Front‘ und in der antirassistischen Skinheadszene aktiv. Zum Rechtsradikalismus äußerte er sich in einem Interview vor kurzem noch sehr zurückhaltend:
„Mein Standpunkt bezüglich Politik war immer klar. Grundsätzlich gibt es viel weniger Rechte auf dem Acker als oftmals angenommen. Politik gilt einfach als total uncool. Die Szene wirkt in weiten Teilen rechts ganz weit offen. Vieles ist aber einfach Provokation, auch wenn es total unreflektiert ist. Mit nichts anderem erhält man so viel Aufmerksamkeit wie mit ‚politisch unkorrektem‘ Verhalten. Es gibt sonst keine Tabubrüche. Außerdem wird das rechte Gedöns oftmals immer noch mit Stärke gleichgesetzt. Mit politischem Unsinn können Jugendliche beim Fussball sehr leicht einen auf dicke Hose machen. Bei den meisten gibt sich das mit der Zeit, macht sie aber nicht sympathischer“ (Interview mit dem HATE-Magazin für Relevanz und Stil vom 13. Mai 2011).
Matzes Freundeskreis ist international. Tomi stammt aus Kroatien und ist glühender Nationalist, dessen Körper mit Tätowierungen des Ustascha-Regimes übersät ist. „Enes der Penis“ ist in Bosnien geboren und mit seiner Familie vor den Wirren des jugoslawischen Bürgerkriegs geflohen. Steve, Matzes bester Freund aus Kindergartenzeiten, hat ein formidables Drogenproblem und das Geschick, Probleme anzuziehen, wohingegen Frank, ein weiterer Freund aus Kindheitstagen, in der Neonaziszene aufging und von Matzes Freunden aufgrund seiner kruden Thesen eher geduldet als akzeptiert wird. Zwischen den Freunden entwickeln sich immer wieder etwas gezwungene, langatmige Diskussionen über Geschichte und Politik, die eine der Schwächen des Buches darstelllen. Pettau scheint es hier zu vielen Recht machen zu wollen, beleuchtet Details aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln und umkreist diese auf der Suche nach einer politisch korrekten oder zumindest unverfänglichen Darstellungsweise. Auch mit seinem türkischstämmigen Türsteherkollegen Alpay führt Matze Grundsatzdiskussionen über die Situation von Migranten, die schon seit mehreren Generationen in Deutschland leben, aber sich immer noch nicht akzeptiert fühlen. Warum dies unbedingt in das Buch gehörte, bleibt Pettaus Geheimnis, führt es doch weit weg von den eigentlichen Handlungssträngen.
Plastischer wird die unheilige Allianz von Fußball und Geschichte beschrieben, als Matze und seine Kumpels über einen kleinen Umweg zu einem Länderspiel nach Ungarn reisen und dort zu den denkbar schlechtesten Botschaftern ihres Landes werden. Zwar stehen auch hier verabredete Schlägereien mit den gegnerischen Ungarn in und vor entlegenen Kneipen im Mittelpunkt des Interesses, dennoch wird die deutsche Vergangenheit als gezieltes Mittel der Provokation eingesetzt, auch wenn es Matze immer mehr so vorkommt, als wäre dies nur noch eine platte Attitüde, die man von einem ordentlichen deutschen Hooligan schlichtweg verlangt. Die Angelegenheit gerät schließlich völlig aus dem Ruder und Matze ist zunehmend gezwungen, nach einer Lösung zu suchen, in welche Richtung sich sein Leben in Zukunft entwickeln soll, denn die Beziehung zu Tina, einer Studienkollegin, entwickelt sich zu einer ernsthaften Beziehung, die so gar nicht mit dem Dasein eines Gewaltathleten vereinbar ist.
Hooligan-Romane haben neben der oftmals selbstverherrlichenden Bekenntnisliteratur vor allem in Großbritannien eine gewisse Tradition, man denke nur an das wegweisende ‚Football Factory‘ von John King. Für die deutschsprachige Literatur fehlte ein solches Werk bislang und es hätte weiß Gott schlechtere Autoren finden können als Michael Pettau, die Premiere zu verfassen. Pettaus Sprache ist dem Gegenstand angemessen klar und an den entsprechenden Stellen gnadenlos, aber man nimmt es seinem Protagonisten Matze durchaus ab, dass er Akademiker und kein tumber Schläger ist, der durchaus ernsthaft sich und seine Situation zu reflektieren vermag. Am Ende greift Pettau leider etwas zu sehr in die Pathos-Kiste und es kommt zu einem Grande-Finale, das der Leser wohl schon länger erwartet und befürchtet hat. Dennoch kann das Buch dem interessierten und unvoreingenommenen Publikum durchaus empfohlen werden, auch wenn es in der Bücherecke Fußball Fehl am Platze ist. Denn um Fußball geht es hier überhaupt nicht.
Michael Pettau: Auf dem Acker
Trolsen-Verlag 2011, 13,90 €
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