Die Bundesliga meldet immer neue Rekordzahlen bei den Zuschauerzahlen und der noch vor wenigen Jahren oftmals als Proletensport abqualifizierte Fußball boomt wie selten zuvor. Wahrscheinlich jeder kann sich noch genau an seinen ersten Stadionbesuch erinnern und alle Fans können stundenlang über ihre Leidenschaft Auskunft geben. Nichts anderes macht Christoph Biermann in seinem Buch Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen. Biermann ist einer der renommiertesten deutschen Fußballexperten und -journalisten und hat zahlreiche Bücher zu verschiedenen Facetten des runden Leders veröffentlicht. Hier führt er nun ein in die oftmals verschrobene Welt der Fußballfans.
Christoph Biermanns Sozialisation als Fan verlief nicht ohne Hindernisse, immerhin verlor er als Kind sein Herz an den im Abstieg begriffenen Traditionsverein Westfalia Herne. Dennoch entfachte ein trostloses 0:0 über den VfR Neuss eine Leidenschaft, die den Journalisten und Autor bis heute auch beruflich nie wieder losgelassen hat. Denn „niemand, der im Fußball verlorengegangen ist, wird sein erstes Mal vergessen. Alle wissen danach, daß etwas Neues begonnen hat.“ Wenn du am Spieltag beerdigt wirst…, erstmals erschienen im Jahr 1995, gehört mittlerweile schon zu den Klassikern der deutschsprachigen Fußballliteratur und gewinnt vor allem durch die Vermischung von persönlichen Eindrücken und fundiertem Fachwissen an Reiz. In der ersten Hälfte des Buches schildert Biermann ausführlich seine Entwicklung als Fußballfan. Er erzählt vom Jugendlichen, der mit seinem Vater zum ersten Mal ein Spiel besucht, langsam erwachsen wird und immer mehr seinen eigenen Weg in der Fußballwelt sucht. Mit dem VfL Bochum sucht er sich neben Herne einen Verein, der im ‚großen Fußball‘ mitspielt und dort wird der junge Christoph recht bald mit dem Sport als Massenphänomen konfrontiert, mit all seinen faszinierenden und manchmal bedrohlichen Auswirkungen. In Bochum begegnet er zum ersten Mal der Gewalt im Stadion, zunächst als ‚heiße Gewalt‘ im direkter Reaktion auf das Spielgeschehen oder Provokationen der Gästefans, später dann auch als ‚kalte, geplante Gewalt‘, als die Hooliganbewegung die Stadien erreichte. Die zunehmende Kommerzialisierung erlebt Biermann ebenfalls am eigenen Leib, als das Tankstellenimperium von Erhard Goldbach, Mäzen von Westfalia Herne, zusammenbrach, Goldbach in den Knast wanderte und Herne in der Bedeutungslosigkeit verschwand.
Nach Biermanns persönlicher Fußball-Lebensgeschichte, die er geschickt mit der allgemeinen Fußballhistorie verknüpft, stellt er im zweiten Teil seines Buches 18 Menschen vor, die ihre ganz eigene Beziehung zum Fußballsport beschreiben. Biermann versucht so, die Begeisterung und Hingabe der Menschen in all ihren Facetten aufzuzeigen, was ihm letztendlich auch gelingt. „Die Stimmen zum Spiel sind ganz unterschiedlich ausgefallen. Unterschiedlich voneinander und unterschiedlich von dem, was Nicht-Fans von Fans annehmen. Und irgendwo in all dem verbirgt sich die Antwort.“
Zur Sprache kommen einfache Fans wie der zwölfjährige David, der sich auf dem Papier seine eigene Fußballwelt erschaffen hat, oder ein Fan, der in der DDR auf den Rängen die Opposition gelebt hat. Außerdem Petra Klein, die sich als Frau in der Schalker Nordkurve durchsetzen musste sowie Vertreter von Fanzeitschriften und Fanclubs. Biermann interviewt überdies ‚Macher‘ wie den ehemaligen Präsidenten von Borussia Dortmund Gerd Niebaum oder die Unternehmerin Britta Steilmann, die als Nachfolgerin ihres Vaters in den 90er Jahren große Erfolge mit dem Bochumer Vorortclub Wattenscheid 09 feierte. Steilmanns Erfahrungen im Haifischbecken Fußball sind trotz aller Begeisterung nicht nur positiv: „Ich werde jetzt im Fußball zu Dingen gezwungen, die konträr zu meiner sonstigen gesellschaftlichen Einstellung stehen. Und ich glaube das ist das wahre Gesicht des Fußballs. Es wird nur ein absoluter Mythos darum aufgebaut.“
Eine enge persönliche Beziehung hat Biermann zu Marcel Reif aufgebaut, dem Grand-Seigneur der deutschen Kommentatorenzunft. Biermann hat nicht nur vor kurzem eine ausführliche Biographie geschrieben, er wirkt als Zulieferer bei den Livespielen mit und füttert Reif mit den nötigen Hintergrundinformationen. Der geneigte Zuschauer mag sich fragen, wie Reif es schafft, das geballte Fußballwissen Biermanns in seine bekannt miesepetrigen Spielberichte umzuwandeln, die selbst ein Kracherspiel zu einem depressiven Fest werden lassen. Zugegebenermaßen hat Reif sich die distanzierte, über allem schwebende ‚Ich hab alles schon gesehen‘- Haltung erst in den letzten Jahren angeeignet. Dennoch wirkt es etwas befremdlich wenn er Biermann folgendes in den Block diktiert: „Und als Reporter bin ich genauso Fan. Wenn es ein gutes Spiel ist, habe ich einen Heidenspaß. Wenn nicht, bin ich zutiefst beleidigt. Wenn es toll ist, lasse ich mich auch gerne mitreißen. Mit Genuß sogar. Dann kann es auch rauschhaft werden.“
Fußballleidenschaft ist oftmals etwas sehr individuelles, doch in den Beschreibungen von Biermann und seinen Gewährsleuten wird sich sicher so mancher wiederfinden. Egal ob Stehplatzfan mit Gewaltpotential, Fanaktivist, Manager oder Reporter. Alle eint die Leidenschaft für ein Spiel, das tiefe Emotionen freisetzen und Leidenschaft wecken kann. Oder wie es Christoph Biermann sagt:
Fußball leert den Kopf. Radikal und komplett. Das war es, was mir damals so gut gefiel und heute immer noch. Für neunzig Minuten gibt es kein Grübeln und keine Gedanken, die über das Spiel hinausgehen. […] Je mehr man sich dem Spiel ausliefert, der Hoffnung und Vorfreude auf einen Sieg und der Angst vor der Niederlage, desto größer wird die Anspannung. Und um so weiter wird man aus der Welt hinausgetragen.
Christoph Biermann
Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kommen. Die Welt der Fußballfans
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 7,95 €
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