„Entscheide dich für Hypothekenraten, Waschmaschinen, Autos; entscheide dich dafür, auf der Couch rumzusitzen und bescheuerte Gameshows anzuglotzen, während du dir beschissenes Junkfood in den Mund stopfst. Entscheide dich dafür, langsam zu verrotten. Entscheide dich fürs Leben.“ 5vier-Redakteur Matthias Spieth stellt den Roman „Trainspotting“ von Irvine Welsh vor.
So gefühlvoll drückt es Rents, mit vollem Namen Mark Renton, in einem der besten Bücher aus, das ich je gelesen habe. Ich sage das, obwohl die Verfilmung (mit Ewan McGregor) im Grunde nicht schlechter, wahrscheinlich sogar viel bekannter ist. Aber mit gerade 16 Jahren kannte ich beide nicht; Ewan McGregor war für mich nur Obi-Wan Kenobi, und Irvine Welsh hätte ich nicht erkannt, wenn er mir seine obszönste Textzeile mitten ins Gesicht gebrüllt hätte. So werde ich vermutlich eher unschlüssig dreingeschaut haben, als ich das Buch zum Geburtstag aus der Verpackung zog.
Inzwischen habe ich den Schmöker fünf oder sechsmal gelesen – er wird nicht langweilig. Irvine Welsh hat die Gabe, sich so pornös auszudrücken, wie er möchte, trotzdem schwingt keiner die Moralkeule. Warum auch; Trainspotting wird ja nicht von Welsh erzählt, er lässt seine Charaktere sprechen. Ein einziger innerer Monolog über 380 Seiten, ergänzt durch die umgangssprachlichsten Dialoge der Literaturgeschichte. Geht nicht? Und ob das geht!
Die Säulen der Gesellschaft: Drogen, Sex, Fußball, Freundschaft
Das Buch beschreibt die Realität, nichts anderes. In vielen kleinen Episoden, meist aus den Augen des Mark Renton, manchmal aus denen seiner Junkie-Freunde, im Edinburgh der 80er Jahre. Damit ist das vielleicht wichtigste Thema des Romans auch schon angesprochen: Drogenabhängigkeit. Heroin, Alkohol, Amphetamine, Acid – jeder frönt seiner eigenen Sucht so sehr, wie er sie verflucht. Der nächste Schuss bestimmt den Alltag, in dem es an alternativen Lebensentwürfen mangelt.
Dann, andererseits, geht es doch um viel mehr als Drogen: Um Freundschaft zum Beispiel, echte und falsche; Popkultur und Subkultur; Musik von Iggy Pop („America takes drugs in psychic defence„) bis zu The Clash; Fußball; Sex in allen seinen Stilblüten; Geld, Armut, Arbeitslosigkeit, Elend und Tristesse. So kann man Trainspotting auch als Arbeiterklassenroman ausdeuten, tatsächlich gibt es wissenschaftliche Arbeiten darüber. Oder eben als Gesellschaftskritik im großen Stil, wie es das Eingangszitat schon nahelegt. Trotz oder gerade wegen ihrer Abhängigkeit haben Rents und Konsorten eine Lebensphilosophie, der man zuweilen kopfnickend beipflichten will.
Höllentrip in sechs Episoden
Ganz einfach zu lesen ist Trainspotting freilich nicht. So etwas wie einen strikten Handlungsverlauf sucht man hier vergebens, aber – die Fans der grandiosen Verfilmung mögen mir verzeihen – den braucht es auch gar nicht. Die Ereignisse der einzelnen Episoden bewegen sich auf einer nebulösen Zeitschiene, man ahnt, dass zwischen Anfang und Ende des Buches einige Jahre ins Land gegangen sein müssen, aber präziser lässt es sich kaum sagen. Wir erleben, wie Rents sich aus dem Junkie-Dasein erheben will, plastischer und wirklichkeitsnaher, als uns lieb sein kann. Er entzieht, wird zum Entzug gezwungen, wird rückfällig, wieder und wieder, Freunde vegetieren und sterben. Andere schaffen den Absprung. Und dann, nach einem Höllenritt über 380 Seiten, gibt es tatsächlich so etwas wie ein Finale. Lieblingskapitel? Alle!
Achtung: Wer des Englischen mächtig ist, muss das Original lesen. Nicht, dass es viel helfen würde – Welshs Charaktere kauderwelschen (haha) im schlimmsten Edinburgh-Schottisch – aber das Leseerlebnis intensiviert sich nur noch. „Still, failure, success, what is it? Whae gies a fuck. We aw live, then we die, in quite a short space ay time n aw. That’s it; end ay fuckin story.“ So ist es, Mr Renton!
- Das Taschenbuch ist im Goldmann-Verlag erschienen (ISBN 3442436885).
Silke Meyer meint
Zählt Trainspotting eigentlich auch zu den sogenannten Generation X – Romanen? 🙂 Der Film ist jedenfalls super.
Matthias Spieth meint
Der Nachfolger „Porno“ ist wohl auch empfehlenswert, sagt zumindest mein ehemaliger Englischlehrer 😀
… Zuletzt von Welsh: „Dann lieber gleich arbeiten“. Ist ganz ok, aber irgendwie pointless.
Seb meint
ich auch 🙂 Dein Artikel macht da gerade richtig Lust drauf:)
jorni meint
Drive boy, dog boy, dirty, numb angel boy
In the doorway boy, she was a lipstick boy
She was a beautiful boy and tears boy
And all in your inner space boy
You had chemicals boy and steel boy
You had chemicals boy, I’ve grown so close to you
Boy and you just groan boy
She said, „Come over, come over“, she smiled at you boy
… aber das Buch muss ich auch noch lesen, das stimmt 🙂