Am Sonntag, den 29. September gab es nach „Die Leiden des jungen Werthers“ und „Der nackte Wahnsinn“ direkt die dritte Premiere für die vergangene Woche: „Theo Lingen – Komiker aus Versehen“. Eine Werner-Tritschler-Inszenierung.
Wer an ihn denkt, denkt an Schulbänke, aufmüpfige Schüler, aus heutiger Sicht niedliche, schulische Zwergenaufstände. Man denkt an einen verkniffenen Gesichtsausdruck, Haare, die mit Pomade zu einem Mittelscheitel gezwungen wurden, nasale Aussprache mit dünnem Stimmchen. Eine Witzfigur, wenn man das so liest. Ein großer Komiker, wenn man ihn kennt.
Dabei ist sein filmisches Lebenswerk seine „schwächste“ Leistung, seine größte Einnahme sicher, aber nicht gerade das, was ihn stolz zurückblicken ließ. Seine Mutter war es, die ihn in die Schauspielerei trieb. Zu Zeiten der Inflation, in der Geld nichts mehr wert war, wurden Schauspieler in Naturalien ausgezahlt. Blutwurst für eine Nebenrolle, Butter für eine Hauptrolle. Anreiz genug, den Sohn ans Theater zu schicken. Eine Bauchentscheidung eben. Mit 25 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen, weiß er rückblickend nur eines darüber zu sagen: „Ich hätte aufhören sollen.“ Wenn’s am schönsten ist, soll man eben aufhören. Denn danach wird’s meistens bloß eines: schlechter. In Theo Lingens Fall erreicht dies sogar ein Maximum: Während der Zeit des Nationalsozialismus muss er alle Register ziehen, um mit seiner Kunst seine Familie zu beschützen. Denn seine Frau ist Halbjüdin.
Tolle Schauspieler und…
Seine Kunst zu verkaufen, um seine Familie zu retten: Eine Rechnung, die Lingen wohl leicht gefallen ist. Dass die Ausführung dann doch schwieriger war, dass der Künstler unter seinem Ruf als Komiker auch gelitten hat, dass Fernseherfolg nicht immer der größte Erfolg ist, all das zeigt die neuste Inszenierung von Werner Tritschler in Trier. Am Sonntag, den 29.September feierte sie Premiere im Studio.
In Rückblicken wird das bewegte Leben Theo Lingens, mit bürgerlichem Namen Theodor Schmitz, gezeigt. Angefangen bei den unbeschwerten Kindertagen, in denen der Drehorgelspieler, der einmal die Woche durch seine Straße zog und Geld aufsammelte, welches ihm aus den Fenstern zugeworfen wurde, ihn zutiefst beeindruckt hatte. Weiter zu den Tagen der Jugend, zu den Zeiten der Inflation, in denen selbst der Vater als Jurist kaum genug verdiente, um sich „eine Briefmarke zu leisten“.
Über die ersten Anfänge im Theater, die ersten Förderer und Kritiker, die erste und einzige große Liebe: seine 15 Jahre ältere Frau Marianne Zoff, damals noch die erste Frau Bertolt Brechts. Bis hin zu den dunkelsten Stunden, der Zeit des Nationalsozialismus und seinen „Erfolgen“ mit den sogenannten „Limonaden-Filmen“, den „Lümmel-aus-der-letzten-Bank“-Reihen.
Die Inszenierung von Werner Tritschler ist (wie gewohnt) zielsicher, bestimmt, bewegungsfreudig, nicht nur in den lauten Tönen. Gekonnt führt er an den Abgrund, lässt einen weiblichen Goebbels, toll dargeboten von Sabine Brandauer, aufhinken, dass einem die Nackenhaare zu Berge stehen. Dagegen wirkt das Hitler-Kasperletheater fast unerträglich lächerlich.
Tritschler und seine Darsteller treffen sowohl die harten, als auch die zarten Nerven des Publikums. Mit wenigen Mitteln werden keine Welten auf die Bühne gezaubert, sondern Erinnerungen. An den mürrischen Vater, die praktisch denkende Mutter, den zerstreuten Intendanten, den inspirierenden Regisseur, die jugendliche Liebe, den eifersüchtigen Noch-Ehemann Bertolt Brecht, den manischen Hitler, den Angst einflößenden Goebbels.
…eine dichte Inszenierung
Dabei schlüpfen sie immer wieder in neue Rollen: Sabine Brandauer als Marianne Zoff, als Mutter Lingens, als Bertolt Brecht und sogar als Joseph Goebbels, dabei kälter und furchteinflößender als ihre männlichen Kollegen sein könnten. Matthias Stockinger als junger Lingen, als Reporter, als SS-Spitzel. Michael Ophelders als Vater Lingens, als Regisseur, als reifer Lingen, auch als Brecht. Alle fantastisch, aber ein besonderes Augenmerk bekam Christian Miedreich, behände schlüpfte er in die Rollen der Intendanten Hellmer und Gründgens und in die Rolle des Hitler. Dabei wirkte sein Hitler als pure Parodie, hektisch, laut, unverständlich, ganz anders als Goebbels in Lingens Erinnerungen; keine Figur, vor der man noch heute eine Gänsehaut bekommt.
Das Bühnenbild von Gerd Friedrich ist bestechend simpel, ein Vorhang, ein bewegliches Element, ein Podest, ein Paravent. Mehr braucht es gar nicht für die großen Auftritte, für das Kasperletheater der Mächtigen, für das Auftauchen der Geister aus der Kindheit. Toll umgesetzt durch eine Handpuppe, die Klein-Theo symbolisiert. Die Kostüme von Carola Vollath reizen durch hohen Wiedererkennungswert: ein schillerndes Kleid, schon befindet man sich in den 20ern, ein blauer Anzug, schon hat man Bertolt Brecht vor sich, ein grauer Trenchcoat, schon sieht man einen SS-Spitzel.
Ein besonderes Schmankerl: Die revueartige Aufmachung, mit vielen musikalischen Beiträgen, in Zusammenarbeit mit Angela Händel. Die Ausstattung sowie die Inszenierung bestechen durch Zielgerichtetheit, genau so wollte man das Ergebnis und genau so hat man es bekommen.
Fazit: Auch wenn man zu jung sein sollte, um Theo Lingen zu kennen, diese Inszenierung ist für jeden was. In Rückblenden erzählt sie einen Ausschnitt aus dem Leben eines interessanten Mannes, einer großen Liebe und einer schrecklichen Zeit. Mit vier hervorragenden Schauspielern, einer mitreißenden musikalischen Darbietung und einer dichten, atmosphärischen Inszenierung. Somit die dritte sehenswerte Inszenierung der vergangenen Woche.
Fotos: Theater Trier
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