Aus dem Moselstadion
von Martin Köbler
Fußball, ein Paradoxon im Trierer Moselstadion – ja, man ist geneigt zu sagen: in der gesamten Trierer Fußballwelt der vergangenen zwei Spielzeiten. Da gibt es zum einen den Prototypen des klassischen emotions- und kampflosen Absteigers – die Marke der Saison 2009/2010, die eben jene mit dem hochnotpeinlichen Tabellenrang 18 beendet. Schlechtester Sturm, schlechteste Abwehr, schlechteste Punktausbeute – schlechteste Pokalleistung? Denkste. Achtelfinale. Hannover raus, Bielefeld raus, ausverkauftes Haus gegen den FC aus Köln. Zwei Welten liegen zwischen den Auftritten in der ach so ungeliebten Regionalliga und dem glamourösen, weil so medial präsenten und umkämpften deutschen Vereinspokal. Die Kredite der letzten Jahrzehnte, sie schienen spätestens in der abgelaufenen Rückrunde verspielt gewesen zu sein – der sportlichen Abstieg in die Fünftklassigkeit schien über die Sensation des DFB-Pokalhalbfinales 1998 zu triumphieren, die durchschnittliche Zuschauerresonanz sich dem Pegel regionaler Derbys im unterklassigen Fußball anzugleichen.
Zum anderen gibt es den Prototypen der Saison 2010/2011, die gerade erst aus den Startlöchern gekommen ist. War der Vorgänger noch mangels Masse kreditunwürdig, legt die neue Eintracht von Spiel zu Spiel mehr und mehr Sicherheiten auf den Tisch, spielt sich in die Herzen des Trierer Publikums zurück. Berauschende Vorbereitung, befreiter Auftritt zum Saisonauftakt in Kaiserslautern, phasenweise stürmischer und erfrischender Drang auf das Tor von Raphael Schäfer im gerade erst abgepfiffenen DFB-Pokalspiel gegen den „Club“ aus der Lebkuchenstadt.
Pokalerfolg? Denkste. Und doch – Standing Ovations nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Winkmann, tosender Beifall auch zur Halbzeit und nach jeder gelungenen Aktion. Es ist schade für diese – wirkliche – „Mannschaft“, dass sie den verdienten Lohn für ihre Mühen nicht ernten konnte. Denn anders als ihre Vorgänger, die sich mit zunehmender Dauer der Spielzeit immer mehr über den Platz schleppten und dafür sorgten, dass die blau-schwarz-weiße Eintracht in Trier fast zum roten Tuch wurde, hätten es die Kohlers, Saccones, Kraus‘ und Patschinskis wirklich verdient gehabt. Aber – und das rundet das Paradoxon vollends ab: In der Niederlage liegt die Chance für diesen Verein, für diese Mannschaft, für diesen „Spirit“, der auch den mit noch so vielen Scheuklappen umherwandernden Schaulustigen im Moselstadion heute um die Nasen wehte. Die Niederlage ist eine Chance. Eine Chance, an der man wachsen kann. Die Marschrichtung dieser Gelgenheit haben die in der Vergangenheit ach so gebeutelten weil oft – teilweise zu Recht, teilweise zu Unrecht – gescholtenen Ultras des Trierer Traditionsvereines eindrucksvoll vor der Partie vorgegeben: „FÜR IMMER ZUSAMMEN“ prangte die wunderschöne Nachricht zum Einlauf an eben jenem Zaun, an dem vor acht Jahren noch die „Helden von Trier“ zum Zweitliga-Aufstieg gerühmt worden sind. Für immer zusammen – „ganz egal wat passeert!“
Foto: „Für immer zusammen!“ – was vergangene Saison zerstört schien, ist wieder zusammengewachsen. Der obligatorische Schulterschluss zwischen Fans und Mannschaft.
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Ultras. Das ist das richtige Stichwort. Der „Fan-Prozess“, der nicht nur im medialen Interesse der alten Römerstadt Einklang fand, sondern auch einen Bericht im Südwestfernsehen wert war. Frei nach dem Motto: „Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten!“ ZWei Wochen Jugendarrest, Sozialarbeit, Stadionverbot. Sinnvoll oder nicht, das sei dahingestellt. Worauf ich hinaus will: Gute, erfreuliche Meldungen hingegen werden gerne einmal unter den Tisch gekehrt oder als selbstverständlich erachtet. So soll es an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass im Rahmen des heutigen Pokalspieles am Eingang eben jene Vertreter der „Insane Ultra“ mit Klingeldose in der Hand standen, deren Gruppe landauf, landab verschrien und (vor-) verurteilt wurde. Was diese Klingeldose bewirkt? Sammeln für den guten Zweck – für die krebskranken Kinder in der Region. Daumen hoch, „IU“!
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Das schöne an solchen Ereignissen wie dem eines DFB-Pokalspieles sind meines Erachtens nach auch die Begegnungen mit den „Anderen“ – nein, keine unglaubliche Begegnung der dritten Art, sondern das Aufeinandertreffen mit eben jenen Anhängern eines Fußballvereines, der nicht alltäglich im heimischen Stadion vorbeischaut. Der Sport – und der so geliebte Fußball insbesondere -, er trägt seinen ganz eigenen Teil zur Völkerverständigung bei. Als der Verfasser dieses Artikels etwa zwei Stunden vor Spielbeginn seinen PKW an der „Perle des Rokkoko“, der St.-Paulin-Kirche unweit des heiligen Rasens des Moselstadions abstellt, bemerkt er hinter sich einen Lieferwagen mit Nürnberger Kennzeichen. Zwei Damen mittleren Alters steigen aus diesem grinsend aus, betrachten die blau-schwarz-weiß gezierte Brust ihres Gegenüber und bemerken im besten Fränkisch weit und breit: „Ah, da sinn uns’re Geschnä!“ Auf die Antwort, dass es schön sei, die Eintracht als „Gegner“ anzusehen, können die beiden Damen aus „Nännbärrsch“ nur lachen. Wo die Eintracht denn nun spielen würde, wollen sie wissen. „Vierte Liga – und das auch nur mit viel Glück!“ – „Schau ah mol doo – wärds ihr net beinoh mohl in die erscht Liga aufgestiege? Füdde Liga – des isch a weng wenig für Drrriaa! Da hoffe mer mohl, dassats ihr mo wieder im Frrrrankestadion spillt!“. Es sind diese Begegnungen, diese vielleicht fünf Sätze, die zwei wildfremde Menschen miteinander austauschen, die diesen Sport so einzigartig machen. Die ihn so schön machen – und die dafür sorgen, dass zwei Damen mittleren Alters an einem Sonntagnachmittag, an dem so ziemlich alles vom Regen runterprasselt, was der gesegnete Trierer Stadtpatron gerade so entbehren kann, lieber kreuz und quer durch die Republik streifen als beim Bridge-Abend über die neue Herbstmode zu diskutieren. Der Fußball, er macht es möglich – auch an der Mosel, auch – oder erst recht? – in Trier.
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Ja, genau – es regnete. Und zwar Backsteine. Passend dazu – wieder einmal mit höchstem Feingefühl ausgestattet – die Stadiontechnik im weiten Rund an der Zeughausstraße, als vor der Partie sowie in der Halbzeit Supertramp durch die Lautsprecher jodelt: „Oh no, it’s raining again! Oh no, my love’s at an end! Oh no, it’s raining again! And you know it’s hard to pretend!“ Doch das schöne ist, dass die „Love“ der Zuschauer, die nicht gerade mit einem rot-schwarzen Schal in der Westkurve unter der riesig flimmernden Anzeigentafel standen, nicht an ihrem Ende ist. Denn ihre Liebe zu diesem Verein, der ihnen so viel Geduld nahm und in letzter Zeit fast ausschließlich Trauer schenkte, sie wird langsam, aber sicher, wieder erwidert. Denn wie heißt es noch in den folgenden Zeilen von Supertramp? „C’mon you little fighter! No need to get uptighter! C’mon you little fighter! And get back up again!“
And get up back again.
Mit diesen Worten ein langes „Tschööö“ mit „Ö“ aus dem Trierer Moselstadion. Wir sehen uns – beim Spiel gegen den Wuppertaler SV. Wetten?
Foto: Daniel Prediger
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