Von Andreas Gniffke (Text und Fotos)
„Schwarzer Hals Gelbe Zähne“ – bereits beim Titel des Buches von Veit Pätzug kann man erahnen, dass es alles andere als sauber zugeht in seinem Buch über die Geschichte der Fanszene von Dynamo Dresden. Fast wäre der Verein wegen des Verhaltens seiner Fans beim DFB-Pokalspiel in Dortmund vom Wettbewerb im kommenden Jahr ausgeschlossen worden. Erst gestern wurde die Strafe zurückgenommen und durch ein Geisterspiel und eine hohe Geldstrafe ersetzt.
Veit Pätzug lässt seine Interviewpartner sprechen, für jeden Zeitabschnitt befragt er einen Gewährsmann, der seine persönliche Einschätzung der Vergangenheit beschreibt. Das ist nicht immer schön. Es wird marodiert, geprügelt und mancherlei Unsinn getrieben, aber die Schilderung wirkt authentisch. So authentisch, dass Peter Richter in seinem FAZ-Artikel „Fasching im Gehirn“ (zum Artikel) von „großer, erschütternder Protokoll-Literatur“ spricht, „wie es sie seit den Siebzigern nicht mehr gegeben hat.“
Fußball und Gewalt sind zwei Dinge, die seit vielen Jahrzehnten gefährlich eng miteinander verbunden sind. All diejenigen, die aufgrund der Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate von einer Gewaltexplosion und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Stadien geschrieben haben, sollten dieses Buch einmal in die Hand nehmen und sich an die Situation in den deutschen Stadien – in Ost und West – vor zwanzig oder dreißig Jahren erinnern. In der ehemaligen DDR entwickelte sich eine besondere Fankultur, die rund um den Fußball eine Freiheit auslebte, die so im SED-Staat ansonsten unmöglich war und mit der der „moderne Fußball“ scheinbar nur schwer umgehen kann.
Hervorragende Stimmung in der „Glücksgas-Arena“. An diesen Namen wird sich in Dresden wohl nie jemand gewöhnen.In einer Meldung der Dresdner Staatsanwaltschaft aus dem Jahr 1983 wird ausführlich Stellung zu den Vergehen der Fußballrowdys genommen. Gegen zwanzig von ihnen wurde ein Verfahren eingeleitet, am Ende standen für einige von ihnen bis zu dreieinhalb Jahre Haft. Von Tätlichkeiten gegen Volkspolizisten und Fahrten ohne Fahrausweis zu Auswärtsspielen ist die Rede, von zerbrochenen Gläsern und dem verbotswidrigen Überqueren von Gleisen. An der Spitze der Verfehlungen dann Folgendes: „Nicht zu übersehen ist dabei das negative Verhältnis zu ordentlicher Arbeit. Die meisten der Täter verletzten die Arbeitsdisziplin und erreichten nicht die geforderten Arbeitsleistungen. Sie unterschieden sich damit von der großen Mehrheit ihrer Altersgefährten.“ Hier wird deutlich, dass Ausschreitungen bis zu einem gewissen Moment durchaus toleriert wurden, eben bis die grundsätzliche Ordnung des Staates in Gefahr geriet. Dieser Eindruck erhärtet sich auch beim Lesen der frühen Berichte, in denen sich die Fans nahezu unbehelligt von der Staatsmacht blutige Duelle liefern konnten, in einem Maße, das heutigen Stadionbesuchern, für die allgegenwärtige, hochgerüstete Polizeieinheiten zum normalen Bild gehören, absurd vorkommen muss.
Pätzug baut sein Buch chronologisch auf und zeigt so deutlich die Probleme, die für die Dresden-Anhänger mit der Einheit und dem jähen Einbruch kommerzieller Elemente in den Fußball einhergingen. Nichts war mehr wie vorher und manch einer dürfte den Abstieg Dynamos in die damals drittklassige Regionalliga und später sogar in die Oberliga Nordost erleichtert zur Kenntnis genommen haben, da man in vertraute Gefilde und Konkurrenzsituationen der alten DDR-Oberliga zurückkehrte. Das Aufkommen der Ultra-Bewegung in den europäischen Fankurven veränderte auch die Fanszene Dynamo Dresdens entscheidend, und in zwei zeitversetzten Interviews aus den Jahren 2004 und 2005 zeigt sich die Entwicklung innerhalb der neuen Fangeneration.
Doch nicht nur Fans kommen zu Wort. Am Ende des Buches beschreibt der Autor auch die alles andere als einfache Situation der Polizei und begleitet die Einsatzleitung beim Spiel gegen Eintracht Braunschweig im September 2005. Im Interview mit Beamten, die bei den extremen Ausschreitungen im Derby zwischen Dynamo und dem Dresdner SC im Jahr 2002 vor Ort waren, zeigt sich, wie schnell Gewalt eskalieren und zu hemmungslosen Exzessen führen kann, mit schrecklichen Folgen auch für die zur Zielscheibe gewordenen Einsatzkräfte.
Zu den weit verbreiteten Vorurteilen gegenüber den Anhängern Dynamo Dresdens wie auch vieler anderer Vereine aus den nicht mehr besonders neuen Bundesländern gehört die rechte Gesinnung. In einem längeren Gespräch lässt Pätzug aber einen Gewährsmann zu Wort kommen, der ausführlich beschreibt, wie sehr sich ein breiter Konsens in der Fanszene durchgesetzt hat, dass entsprechende Elemente dem Verein schaden und somit rechte Propaganda nichts im Stadion zu suchen hat. Entsprechend hat sich auch die Fanszene geändert und ist bunter geworden. Als Abbild der Gesellschaft versammeln sich nun alle Farben, von bunt bis braun. Rechtsradikalismus und Fußball ist ein komplexes Thema, Vorurteile aus welcher Richtung auch immer können dieser Realität nicht gerecht werden.
Spiele von Dynamo Dresden und anderen „Risikovereinen“ vor allem aus dem Osten der Republik stehen häufig unter besonders strengen Sicherheitsauflagen. Nicht immer grundlos, dies sei betont, aber häufig führt gerade diese Vorverurteilung zu Aggressionen und Konflikten, die von vornherein hätten vermieden werden können. Ein Beispiel hierfür ist das bereits erwähnte Pokalspiel in Dortmund, als allein die pure Masse an angereisten Dynamo-Fans und eine auch in anderen Stadien durchaus häufiger anzutreffende Pyroshow zu einer Medienhysterie sondergleichen führte und die Strafe für den Verein letztendlich im Vergleich zu den eigentlichen Geschehnissen als pure Willkür anmuten muss. In einem Gespräch mit einem Dynamo-Ultra aus dem Jahr 2005 wird die Rolle der Medien und der Sonderstatus Dynamos bereits kritisch beleuchtet:
Im Westen ist das ganze Bild vom Osten voller eigenartiger Klischees, und da gehört ein verzerrtes Bild über Dynamo eben auch dazu. Und mit den Medien ist es ganz einfach, es ist eben wirklich ’ne Menge passiert. Medienträchtige Ereignisse bringen Schlagzeilen und Schlagzeilen bringen Leser. Das dürfte in der nächsten Zeit auch so bleiben, denn es wird weiterhin zu Vorkommnissen kommen. Die kritische Masse ist einfach da und wächst weiter bei Dynamo Dresden. Na, und dann wird sich die Presse wieder draufstürzen und so weiter.
Es ist nicht immer ein reines Lesevergnügen. Doch der Autor bietet einen authentischen und unverstellten Blick auf eine Kultur, die zum Fußball gehört und mit Leidenschaft und Liebe zum Verein einen krassen Gegenpol zum vor allem in den Bundesligastadien allgegenwärtigen Eventpublikum darstellt. Und am Ende kann man sich dem Urteil des bekannten Fußballautors Christoph Dieckmann in einer Besprechung der ZEIT nur anschließen: „Uriges Deutsch, unlackierte Fotos, Ekel und Faszination. Ein seltsames, ein seltenes Fußballbuch.“
Veit Pätzugs Buch war lange vergriffen und im Internet nur als Sammlerstück für mehrere hundert Euro zu haben. Vor wenigen Monaten hat der nofb-shop aber eine Neuauflage auf den Markt gebracht, die dort für 22,90 € erworben werden kann.
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