Von Andreas Gniffke
Spätestens die erfrischende Vorstellung der deutschen Kicker bei der WM in Südafrika zeigte deutlich: Die Zeit des Rumpelfußballs ist endgültig vorbei. Als hauptverantwortlich für die positive Entwicklung wird Trainer Joachim Löw wahrgenommen, der in der Nationalmannschaft die Voraussetzungen findet, seine Philosophie des modernen Fußballs umzusetzen. Christoph Bausenwein zeichnet in seiner gerade erschienenen Biographie „Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel“ die Stationen nach, auf denen Löw diese Art Fußball spielen zu lassen entwickelte.
Zehn Spiele, zehn Siege. Die Bilanz der gerade abgeschlossenen EM-Qualifikation ist mehr als beeindruckend. Ob der Titel von Christoph Bausenweins Biographie des Erfolgstrainers Löw wohl anders gelautet hätte, wäre die Qualifikation weniger souverän bewältigt worden? Der Journalist aus Nürnberg, Gründungsmitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur, zeichnet souverän den Lebensweg des Bundestrainers nach, ohne diesen selbst wirklich zu Wort kommen zu lassen. Lediglich ein kurzes Interview zu Beginn des Autors lässt Nähe zum „Untersuchungsobjekt“ erkennen, ansonsten arbeitet sich Bausenwein an den Fakten ab und lässt Zeitgenossen zu Wort kommen. Das ist vor allem für die frühen Stationen Löws durchaus interessant, denn kaum einer mag sich noch an dessen mäßig erfolgreiche Spielerkarriere und die ersten Trainerstationen erinnern. Oftmals ist in der Schilderung dieser Ereignisse Bausenweins Blick aber durch die aktuellen Erfolge verstellt oder zumindest getrübt. So werden dem Spieler Löw bereits die Qualitäten des späteren Trainers vor allem hinsichtlich Menschenführung und taktischem Verständnis zugeschrieben, alles hat sich im Prinzip bereits damals abgezeichnet. Überhaupt überstrahlt die Lichtgestalt Löw das Buch:
Den Traum vom perfekten Spiel hegte Joachim Löw schon zu einer Zeit, als er von der großen Öffentlichkeit noch gar nicht wahrgenommen wurde. Heute entfaltet er ihn in gereifter Form an höchster Stelle mit einer frappierenden Selbstverständlichkeit. Er interpretiert den Job des Bundestrainers inzwischen in einer Art und Weise, dass Amt und Person zu verschmelzen scheinen. Man kann sich kaum vorstellen, von wem er jemals ersetzt werden könnte.
Der Mann, „der wie ein natürlicher Herrscher über dem deutschen Fußball zu thronen scheint“, ist dabei aber ein Kind seiner Zeit und Region. Durchaus bemerkenswert ist, wie Bausenwein die Verflechtungen innerhalb der Badisch-Schwäbischen und schweizerischen Trainerconnection aufzeigt. Vor allem einige Schweizer Trainer wirkten in taktischer Hinsicht als Vorbild für eine ganze Generation von aktuell erfolgreichen deutschen Trainern, der Biograph spricht gar von einer ‚“Helvetisierung der deutschen Nationalelf“. Unter Rolf Fringer und dem heutigen Chefscout der Nationalmannschaft, Urs Siegenthaler, erhielt Löw wichtige Impulse, die auch andere Trainer inspirierten. So auch eine Reihe von südwestdeutschen Trainern, von denen heute einige große Erfolge feiern. Der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Taktikfuchs Helmut Groß wirkte bereits in den frühen neunziger Jahren zusammen mit Ralf Rangnick beim VfB Stuttgart und prägte auch Trainer wie Wolfgang Frank, dessen Spieler Jürgen Klopp und dessen Nachfolger Thomas Tuchel, selbstverständlich alle aus Baden Württemberg.
Insgesamt beschreibt Christoph Bausenwein chronologisch die einzelnen Stationen Löws, wobei vor allem die großen Erfolge seit dem Sommermärchen 2006 einen breiten Raum einnehmen. Etwas kritischer geht der Autor mit ihm aber bei der Schilderung der Ereignisse nach der EM 2008 um. Die schleichende Entmachtung etablierter Führungsspieler wie Frings und Ballack zeigte eine neue Facette am Führungsstil des „netten Herrn Löw“. In der Causa Frings verhielt sich der Nationaltrainer wie jemand, der sich erst dann von seiner besseren Hälfte trennt, als er die potenzielle Nachfolgerin auf Herz und Nieren getestet und für gut befunden hatte. Frings wurde monatelang hingehalten, bis man sich im Trainerstab sicher war, dass der junge Sami Khedira die Anforderungen als Nachfolger erfüllen konnte. Komplizierter stellt sich die Situation im Fall des ‚Capitanos‘ dar. Auch bei Michael Ballack drückte sich Löw trotz des immensen medialen Drucks um eine Entscheidung herum, bis ihm vor der WM 2010 der Zufall in Person von Kevin Prince Boateng zur Hilfe kam, der Ballack schwer verletzte und dessen Nationalmannschaftskarriere beendete.
Die konkrete Beantwortung der Frage, wie denn Löws Traum vom perfekten Spiel genau aussieht, steht am Ende des Buches. Wie hat sich das Spiel der Nationalmannschaft in den letzten Jahren verändert, was sind die taktischen Konzepte, die der Trainer versucht umzusetzen. Wie schafft er es, diese Ziele in der Trainerarbeit zu erreichen, selbst wenn er die Nationalspieler nur eine begrenzte Zeit auf dem Trainingsplatz zur Verfügung hat? Hier leistet Bausenwein Gutes, denn er versteht es, die komplexen Ideen durchaus griffig darzustellen und zu zeigen, dass hinter Löw nicht nur der sympathische Nivea-Botschafter, sondern vor allem ein akribischer Arbeiter steckt, dem der Autor gar künstlerische Züge attestiert:
Wer ihn bei der Trainingsarbeit beobachtet, sieht einen passionierten Künstler am Werk. […] Wenn dieser Trainer auf dem Platz arbeitet, gibt es kein Showgehabe, sondern es herrscht eine schöpferische Intensität, ähnlich der im Atelier eines Bildhauers – es geht um den Feinschliff seines Kunstwerks, dem schönen Spiel seines Teams.
Christoph Bausenwein
Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel
Werkstatt Verlag, 24,90 €
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