Von Torsten Franken
In der letzten Bundesligasaison wurde Borussia Mönchengladbach bereits mehrfach zum sicheren Absteiger erklärt. Ein halbes Jahr später überwintert die Überraschung der aktuellen Spielzeit auf dem Qualifikationsplatz für die Champions League. Jannik Sorgatz hat in seinem Buch „So weit die Raute trägt – Als Gladbach wieder auferstand“ die turbulente letzte Saison der Borussia zusammengefasst.
Das Besondere dabei: Das Buch wurde nicht erst im Nachhinein verfasst. „So weit die Raute“ trägt ist eine Sammlung der verschiedenen Blogeinträge zu den einzelnen Saisonspielen von Jannik Sorgatz‘ Weblog Entscheidend is aufm Platz. Die Beiträge, die nun die Kapitel des Buches bilden, wurden direkt im Anschluss der Partien verfasst, wodurch größere Nähe, Emotionalität und eine höhere Authentizität der Ereignisse erreicht wird, als es bei einem nach der Saison verfassten Werk der Fall wäre. Zu keiner Zeit des Schreibens wusste Sorgatz, wie das „Kapitel Borussia 2010/11“ enden würde. Die Ereignisse werden nicht durch den wissenden Blick zurück verfälscht und so kann man die verrückte Gefühlsachterbahn des Gladbach-Fans noch einmal miterleben. Dies führt natürlich aber auch dazu, dass regelmäßige Leser seines Blogs mit „So weit die Raute trägt“ nichts Neues geboten bekommen und das Buch wirklich nur kaufen sollten, wenn sie eine nette Zusammenfassung als Sammlerstück im Bücherregal stehen haben wollen. Allerdings erhalten alle anderen einen sehr interessanten und sprachlich guten Überblick der vergangenen Saison geliefert. Gladbach-Fans, die noch einmal die verrückte letzte Spielzeit erleben wollen, kommen daher nur schwer an diesem Buch vorbei. Natürlich sind einige Kapitel etwas schwächer als andere, weil man Sorgatz anmerkt, dass es ihm nach der fünften Niederlage in Folge deutlich schwerer fällt seine Aufgabe aufrecht zu erhalten und weiterhin auf gleichmäßig sprachlich gutem Niveau, etwas zu beschreiben, was ihn emotional bewegt.
Fans der Gladbacher Borussia können das sicherlich nachvollziehen, doch zieht sich „So weit die Raute trägt“ in diesen Phasen, in denen Gladbach von Niederlage zu Niederlage dem Abstieg entgegen schlingert, deutlich träger. Dadurch wird allerdings auch die Sensation des Klassenerhaltes noch greifbarer, da man sich beim Lesen dieser Siegesdurststrecke fragt, warum die Borussia nicht schon längt punktemäßig abgestiegen ist. Dieses Hinauszögern des überraschenden Endes könnte man in der Literaturkritik bei einem fiktiven Werk der Belletristik als geschicktes Stilmittel einordnen; doch auf die Dramatik der realen Bundesligasaison hatte Sorgatz natürlich keinen Einfluss. Was er aber blendend versteht, ist es die Gefühle und den wöchentlichen Wahnsinn eines Fußballfans in Worte zu fassen. Nick Hornby schaffte dies mit dem Klassiker aller Fußballbücher, „Fever Pitch“ ,vor allem für Fans von Arsenal London; Sorgatz erreicht dies für echte Borussen, die sich in einigen Beschreibungen sicher wiedererkennen werden. Um nicht vollends den Verstand wegen seiner großen Fußballliebe zu verlieren, flüchtet Sorgatz bei der Beschreibung von Niederlagen häufig in Galgenhumor. Mit Wissen über das Ende der Saison kann man nun amüsant beschriebene Episoden, wie das gefaustete Eigentor von Logan Bailly am 27. Spieltag im Heimspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern, mit einem Schmunzeln lesen. Zum damaligen Zeitpunkt konnten wohl nur die wenigsten Borussen über dieses Missgeschick lachen:
Wenn man in einer einzigen Sekunde absteigen kann, dann war es diese eine zwischen 21.48 und 21.49 Uhr.
Dies ist aber gerade eine Stärke von Sorgatz: Er lässt seine Wut oder Enttäuschung über den Saisonverlauf niemals einfach an der Mannschaft oder dem Trainer aus, sondern verpackt seine Emotionen in Erklärungsversuche, Sarkasmus oder Durchhalteparolen. Man hat manchmal das Gefühl, dass man beim Lesen seines Buches Zeuge eines Projektes zur Katharsis-Hypothese wird, weil es wahrscheinlich auch Sorgatz selber geholfen hat, seine Emotionen in Worte zu verpacken.
Eine weitere Besonderheit des Autors: Jannik Sorgatz ist erst 22 Jahre alt. Vielleicht werden einige Fans der älteren Generation denken, dass sie sich von einem solchen Jungspund zu ihrem Lieblingsverein doch nichts erzählen lassen. Aber gerade dies macht die Gefühle zum Klassenerhalt der Borussia so ehrlich:
Viele werden es nicht verstehen, wie man das schnöde Überleben in der Liga auf eine solche Stufe heben kann. Aber ich habe niemals Inter Mailand 7:1, Borussia Dortmund 12:0 oder Real Madrid 5:1 geschlagen. Meine größten Erfolge, an die ich mich voll und ganz erinnere, sind ein aberkannter Sieg beim DFB-Hallenmasters, weil ein Niederländer in der Silvesternacht gekifft hatte. Hinzu kommen zwei Wiederaufstiege, ein zehnter Tabellenplatz und eine 9:1-Derbysaison gegen Köln. Aber ich habe „Ja“ gesagt zu diesem Verein. Und deshalb würde sich der Klassenerhalt nach einer solchen Saison anfühlen wie für die Fans des BVB die Meisterschaft.
Jannik Sorgatz füllte vier Jahre lang seinen Blog mit seinen persönlichen Erlebnissen zu den Spielen der Borussia. Am Ende der letzten Saison fasste er den Entschluss, aufgrund der emotionalen Achterbahnfahrt erst einmal mit dem Betreiben des Blogs zu pausieren. Er wünschte sich nichts sehnlicher als eine emotional „langweilige“ neue Saison: „Ich will einen 11. oder 12. Platz mit 42 Punkten, ganz langweilig, wunderschön langweilig – und möglichst ganz anders als 2010/2011.“ Hätte er den jetzigen Stand zur Winterpause nur geahnt…
Jannik Sorgatz
So weit die Raute trägt. Als Gladbach wieder auferstand
Books on Demand, 1.Auflage 2011
11.99 Euro
Anscheinend kann Jannik Sorgatz doch nicht ohne seine Borussia. Ab der Rückrunde wird er auf seinem Blog wieder über Mönchengladbachs Spiele berichten.
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