Zu übersehen ist der rote Glaskasten vor dem Dom beileibe nicht und in ihm verrichtet ein Roboter pausenlos seine Aufgabe, nämlich bis zum Beginn der Heilig-Rock-Wallfahrt im April 2012 die gesamte Heilige Schrift einmal komplett und kunstvoll abzuschreiben. 5vier-Redakteur Andreas Gniffke sprach mit Wallfahrtsleiter Msgr. Dr. Georg Bätzing und dem Kulturbeauftragten des Bistums Trier Micha Flesch bereits über das Vorbereitungsjahr zur Wallfahrt (hier geht’s zum ersten Teil). Nun geben beide Auskunft über Symbolik hinter dem eigentümlichen Schreiber und die vielfältige Resonanz aus der Bevölkerung.
5vier.de: Hat sich eigentlich schon einmal jemand über den doch sehr auffälligen und modernen Kasten direkt vor dem Dom beschwert?
Dr. Georg Bätzing: Die ein oder andere kritische Stimme bekommt man schon mit, wenn man über den Domfreihof geht, aber letztendlich wollten wir ja auch Diskussionen anregen. Insgesamt ist die Resonanz auf den Bibelroboter aber sehr positiv und besonders auf Kinder und Jugendliche wirkt er wie ein Magnet. Er macht dem Domstein richtiggehend Konkurrenz! Es gibt auch Bürger, die sich dort jeden Tag ihren Bibelspruch ‚abholen‘, und dies dann richtig in ihren Alltag integriert haben.
Micha Flesch: Das gibt es schon. Zum einen natürlich die Frage, woher die Kirche denn das viele Geld für so etwas nimmt und ob man dieses nicht besser anlegen könnte. Dann natürlich die herausfordernde Optik. Aber der Löwenanteil gibt uns sehr positives Feedback und wir erreichen zum Teil Menschen, die nun keine regelmäßigen Kirchgänger sind. Was den künstlerischen Aspekt angeht, so ist für mich das wertvollste, dass niemand zu irgendetwas gezwungen wird. Der Roboter ist da, er lädt ein, sich mit ihm auseinanderzusetzen, aber niemand ist zu irgendwas verpflichtet.
5vier.de: Wer hatte denn die Idee zu diesem doch recht mutigen Projekt, woher kam der Impuls?
Flesch: Wir hatten im Vorfeld eine Vor- und Querdenkergruppe eingerichtet, wo Personen und Künstler aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenkamen. Dort saß auch der Karlsruher Kunsthistoriker Prof. Bernhard Serexhe am Tisch, der das Projekt und die Künstlergruppe robotlab kannte, die den Roboter entwickkelt hatten.
5vier.de: Das Projekt hat einen gewissen Countdown-Charakter, denn zu Beginn der Wallfahrt soll ja die gesamte Bibel fertig abgeschrieben sein. Aber es geht doch auch um deutlich mehr, vor allem was die geistliche Perspektive angeht?
Flesch: Der Bibelroboter ist ein elementarer Teil unseres Vorbereitungsjahrs und wir wollen zeigen, dass das Lesen und die Beschäftigung mit der Bibel eine gute Art der Vorbereitung ist. Durch diese sehr ungewöhnliche Sichtweise wollen wir Impulsgeber sein. Das scheint auch sehr gut zu funtionieren und der Roboter bewegt die Menschen, über die Bibel nachzudenken. Daneben gibt es aber auch künstlerische Aspekte. So zum Beispiel das Thema ‚Mensch-Maschine‘, künstliche Intelligenz und das Thema Buchkultur wird ins Bewusstsein gerückt. Es gibt allerdings auch ein deutliches Signal in Richtung Ökumene, denn immerhin wird der Text der Luther-Bibel abgeschrieben.
5vier.de: Warum hat man nicht die Einheitsübersetzung gewählt?
Flesch: Das wurden wir schon häufig gefragt, letztendlich halten wir den Luther-Text aber für sehr gut geeignet, über ihn ins Gespräch zu kommen. Es gibt mittlerweile sogar schon Kommentare von Domherren, dass an einigen Stellen dieser Text sogar griffiger sei.
5vier.de: Der Roboter schreibt ja auf eine Papierrolle. Was passiert denn mit dieser, wenn er sein Werk vollbracht hat? Wir ein klassisches Buch daraus gemacht?
Flesch: Es werden letztendlich mehrere Rollen eines extra entwickelten Spezialpapiers sein, wohl so zwischen vier und sechs. Wir wollen tatsächlich eine ‚Trierer-Bibel‘ als erstes von einem Roboter geschriebenes Buch als gebundenes Exemplar bewahren. Es gibt auch mehrere Ideen, was dann mit dem Buch passieren soll, das ist aber alles noch nicht spruchreif. Es steht lediglich fest, dass es nicht verkauft werden soll, weder als Gesamtbuch, noch die Einzelseiten. Anfragen hierfür gibt es bereits reichlich.
5vier.de: Auch die Schrift, in der der Roboter schreibt, wirkt ja traditionell. Woran haben sich die Künstler hier orientiert?
Flesch: Es wurde bewusst eine Frakturschrift aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gewählt, eine sog. Schwabacher. Die Besonderheit des Roboters ist ja, dass er die Schrift nicht druckt, sondern sorgfältig mit der kalligraphischen Feder schreibt. Jede Strichkoordinate muss also vorher genau festgelegt sein, denn jeder Einzelbuchstabe besteht ja aus mehreren Strichen. Da kommen dann auch unglaubliche Datenmengen zusammen, in diesem Fall rund fünf Terabyte.
5vier.de: Gab es denn schon Pannen oder Systemabstürze?
Flesch: Da liegt die Wahrheit irgendwo zwischen ‚Hin und Wieder‘ und Laufend… Im Ernst: Es ist ein sehr empfindliches System mit einer gewissen Wetterfühligkeit. Abhängig von der Luftfeuchtigkeit wellt sich das Papier mehr oder weniger, was dazu führte, dass die Feder gelegentlich knapp über dem Papier und nicht auf dem Papier lag. Dann kam es leider zu weißen Seiten, da er zwar fleißig schrieb, aber nichts davon auf dem Papier landete. Wir haben es aber mittlerweile gut im Griff und wenn es Probleme gibt, können wir uns sehr gut selbst helfen, ohne gleich Hilfe aus Karlsruhe anfordern zu müssen.
5vier.de: Was passiert mit den Fehlseiten?
Flesch: Der Roboter wird in diesen Fällen nicht zurückgefahren, sondern schreibt ganz normal weiter. Per Kamera werden alle Seiten online nach Karlsruhe übertragen, wenn dort Fehler erkannt werden, können die Seiten nachträglich neu geschrieben werden, so dass das Buch am Ende vollständig sein wird.
Bätzing: Interessant sind auch die Reaktionen der Menschen. Gleich zu Beginn gab es einmal eine ganze Nacht, in der er nicht geschrieben hat. Am Morgen haben Leute dann gleich Sturm geklingelt und uns informiert. Der Roboter ist von der Bevölkerung geradezu adoptiert worden. Neben dem beeindruckenden Schreibprozess gibt es aber auch Menschen, für die der Roboter eine Art geistliches Zentrum geworden ist, die sich einen Impuls über den geschriebenen Text holen. Wir übertragen ja auch die aktuell geschriebene Seite über Bildschirme an der Seite, so dass die Menschen auch den Text lesen können. Für viele ist das wie schon erwähnt eine Art tägliches oder zumindest regelmäßiges Ritual geworden. Auch unser Bischof geht ganz bewusst regelmäßig hin, um ins Gespräch mit den Menschen zu kommen.
5vier: Nun hat gerade der Container ja auch eine soziale Komponente. Was wird mit ihm nach Abschluss des Projekts passieren?
Flesch: Der Container war von Anfang an umstritten und für uns war klar, dass wir nicht nur für ein Jahr so viel Geld in die Hand nehmen, sondern ihn in der Folge einem anderen Zweck zuführen müssen. So kam uns die Idee, das Jugendhilfewerk Helenenberg anzusprechen, die das mit Begeisterung aufgenommen haben. Zum einen wurde der Container in ihren Werkstätten gebaut und zum anderen werden wir ihn auch wieder dorthin zurückgeben, um einen Schulungs- oder Besinnungsraum daraus zu machen. Dadurch dass er von Jugendlichen hergestellt wurde, hat das Objekt für uns noch einmal eine ganz andere Qualität bekommen. Und auch die Jugendlichen haben in der Werkstatt gemerkt, dass sie an etwas Besonderem arbeiten. Es hat sich eine richtige Beziehung entwickelt, denn wenn die Jugendlichen nun einen Ausflug nach Trier machen, gehen sie zu ihrem Container.
Bätzing: Das war für mich auch einer der berührendsten Momente bei der Eröffnung am 6. Mai, als die Jugendlichen ihr Werk übergeben haben, das nun für alle sichtbar direkt vor dem Dom steht.
Für die Heilig-Rock-Wallfahrt 2012 werden immer noch freiwillige Helfer gesucht. Eine Info-Broschüre kann hier heruntergeladen werden.
Triererin meint
Mich hat die Entscheidung für den Luther-Text sehr positiv überrascht.
Hier hat man ein sehr schönes Zeichen in Richtung Verständigung gesetzt!