5vier Reporter Lars Eggers fuhr mit der Antonia Ruut Stiftung (5vier.de berichtete bereits) nach Äthiopien, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Ein Reisebericht.
Da sitze ich nun am Flughafen in Frankfurt und gucke meinem Gepäck nach – einem Reiserucksack mit persönlichem Gepäck und einem großen schwarzen Koffer, der die Gewichtsvorschriften für Reisen nach Äthiopien bis hart an das Maximum belastet. In letzterem Gepäckstück befindet sich meine Filmausrüstung.
Ganz fassen kann ich es noch nicht – ich fliege nach Äthiopien und drehe einen Dokumentarfilm. Mein Gemütszustand rangiert zwischen ruhiger Selbstreflektion („Du schaffst das! Du kannst das!“) und offener Panik („Was hast du dir dabei gedacht!?“). In den nächsten zehn Tagen werde ich Äthiopien von einer Seite kennenlernen, die man als Tourist nie zu Gesicht bekommt: Die Reise geht nach Afto, im Shashogo Woreda, SNNPR, Äthiopien. Mit anderen Worten: weitab vom Schuss. Was es da zu filmen gibt? Die beiden Solarbrunnen in Afto und Jemaya, erdacht, geplant und gebaut von der in Trier ansässigen Antonia Ruut Stiftung.
Es soll einen kurzen Imagefilm und eine Dokumentation über das Projekt geben, um anderen Menschen die Arbeit und den Nutzen des Projektes näherzubringen. Und ich soll all das mit meiner Kamera festhalten – keine leichte Aufgabe. Begleitet werde ich von drei Mitgliedern der Antonia Ruut Stiftung, die den Stand der Lage checken und Verhandlungen mit anderen Entwicklungsorganisationen und der äthiopischen Regierung zwecks einer Erweiterung des Projektes führen wollen.
Der lange Weg
Aber dafür müssen wir erst einmal in Afto ankommen. Bis dahin steht uns eine zweitägige Reise bevor, die aus zwei Teilen besteht: dem Flug von Frankfurt nach Addis Abeba (5355 Kilometer, Dauer: sechs Stunden) und der Jeepfahrt von Addis nach Afto (ca.170 Kilometer, Dauer sechs bis zehn Stunden). Wir fliegen über Nacht, aber an Schlaf ist für mich nicht zu denken. Zu viele Gedanken halten mich wach – neben der Tatsache, dass Flugzeuge einfach nicht für King-Size Menschen gebaut sind. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf:
Wird das Equipment – ich habe kurz vor der Reise auf eine neue Kamera umgestellt – den heftigen Belastungen eines Afrikadrehs standhalten? Werde ich? Wie werden die Menschen in Afto auf mich und mein Gefilme reagieren? Diese und ähnliche Fragen, gepaart mit einigen Katastrophenszenarien und recht seltsamen Kopfkino-Momenten, die mit der Müdigkeit kommen, gestalten den Flug recht kurzweilig.
Addis
Pünktlich zum Sonnenaufgang setzen wir zur Landung in Addis Abeba an. Kaum, dass wir aus dem Flugzeug raus sind, merke ich schon: Es wird heiß, deutlich heißer als Deutschland im Oktober – erstaunlich, dass mich das so überrascht.
Nach der Abfertigung am Zoll und dem allseits fröhlichen Gepäckeinsammeln treffen wir auf Mulugeta und Degeva Sedoro von der NGO (Non-government Organization) SMART, welche die Brunnen in Äthiopien betreut. Die beiden werden mich in den folgenden Tagen begleiten und vor allem mit ihren amharischen Sprachkenntnissen zur Seite stehen.
Aber zuerst müssen wir quer durch die Hauptstadt Addis Abeba, um meine offizielle Journalisten ID abzuholen. Das gibt mir Gelegenheit mich mit einigen Eigenheiten des äthiopischen Straßenverkehrs vertraut zu machen: Wer zuerst hupt hat Vorfahrt. Wo zwei Autos hinpassen, passt immer auch noch ein Bus zwischen. Egal, wie groß die Kreuzung ist, es gibt keine Ampel.
Ich versuche, die Stadt in mich aufzunehmen, aber so richtig will mir das nicht gelingen. In erster Linie kommt sie mir laut und unglaublich voll vor. Überall sind Menschen zu Fuß auf der Straße unterwegs (und das ist durchaus wörtlich gemeint) – Hitze, Smog und Müdigkeit lassen Addis zu einem Meer aus Leuten und Geräuschen verschwimmen. Vielleicht nicht ganz unpassend, ist die Stadt doch ein Schmelztiegel des gesamten Landes.
Offiziell hat Addis 3,9 Millionen Einwohner, die Wahrheit liegt wohl deutlich über 10 Millionen. Es gibt keine Grenze zwischen arm und reich, die über eine stacheldrahtbewehrte Mauer hinausgeht. Ärmliche Wellblechhüten und protzige Villen finden sich direkt nebeneinander und beim Parken vor dem staatlichen Amt für Medien und Kommunikation müssen wir eine Herde Ziegen vorlassen. Addis ist eine Millionenstadt ohne Skyline, ohne Stadtviertel, ohne Straßennamen oder Hausnummern, wie wir es gewohnt sind. Nach nur einer Stunde auf den Straßen von Addis fühle ich mich weit weg zu Haus – aber irgendwie auch verzaubert.
Ein besonderes Highlight für mich als Grautier-Fan ist die ständige Anwesenheit der unzähligen Esel und Maultiere, welche das Transportmittel Nummer Eins der äthiopischen Landbevölkerung darstellen. Esel sind überall : auf Straßen, Wegen und Pisten – und sie haben immer Vorfahrt. Auf der Rückfahrt müssen wir sogar zwei Eseln ausweichen, die in aller Seelenruhe auf der Hauptzufahrtsstraße nach Addis schlafen. Aber das ist zehn Tage hin. Für mich wird es nun ernst – wir machen uns auf den Weg nach Afto.
Auf der Straße
Kaum hat man Addis hinter sich gelassen bekommt man Afrika zu sehen, wie man es sich vorstellt – ein weites Land voller Rundhütten vor grandioser Bergkulisse, Menschen mit Ziegen, Kühen und natürlich Eseln, die durch die Steppe wandern. Hier atmet jeder Strauch die Atmosphäre eines echten Abenteuers. Meine Stimmung hebt sich und ich fühle mich prima. Die großartige Landschaft wechselt sich mit kleinen Dörfern ab. Langsam aber sicher werden die Straßen schlechter und wir sehen immer weniger andere Fahrzeuge. Nach fünf Stunden im Jeep erreichen wir den letzten Abschnitt unseres Weges – den schwersten Teil. Ab sofort gibt es keine Asphaltstraßen mehr und die Pisten sind bald kaum mehr als ein stärker betretener Teil der Steppe. An Fotografie oder Film ist kaum zu denken, ich bin mit damit beschäftigt mich festzuhalten. Langsam aber sicher wird mir klar, was „ganz weit draußen“ eigentlich bedeutet.
Für eine Strecke, die in Deutschland unter zwei Stunden gedauert hätte (inklusive Stau und Pause bei Burger King) brauchen wir den ganzen Tag. Das Wackeln des Jeeps wird immer stärker, und es wird zudem immer dunkler. Langsam aber sicher schlägt der fehlende Schlaf durch und ich werde nervös. Als wir dann in Jemaya, dem Standort des ersten Brunnens, ankommen und von den Menschen mit großer Begeisterung begrüßt werden, kann ich es kaum erwidern. Ich habe mich noch nicht an die unterschiedliche Auffassung von persönlicher Distanz gewöhnt, spreche kein Wort Armharisch und bin einer von drei Ferenjis (Amharisch für Weiße) im gesamten Woreda (Bundesland). Ich ziehe mich in den Jeep zurück und fühle mich ein wenig verloren.
Die letzten Meter durch die Dunkelheit ziehen sich, aber ich werde belohnt. Der erste Blick auf das Gästehaus und den Brunnen in Afto unter dem klaren afrikanischen Sternenhimmel ist einfach phantastisch – und ein kleiner Ausblick auf die nächsten Tage.
Weiter geht es im zweiten Teil von „Ferenji Camera!“ – Ein Trierer in Äthiopien. Teil 2: Freunde in der Fremde
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