5vier Reporter Lars Eggers fuhr mit der Antonia Ruut Stiftung (5vier.de berichtete bereits) nach Äthiopien, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Ein Reisebericht.
An meinem ersten Morgen in Afto mache ich eine sehr interessante Erfahrung: Selbst in Afrika ist Wasser aus einem tiefen Brunnen eiskalt. Macht nichts, macht nämlich wach. Das ist auch notwendig, stehe ich doch um vier Uhr morgens auf, um den Sonnenaufgang zu filmen. Es ist kalt, die Nacht sternenklar. In der Ferne heulen Hyänen. Als die Sonne schließlich über die Hügel klettert bekomme ich Afrika in seiner vollen Pracht vor die Kamera. All die Sorgen von gestern sind vergessen, jetzt geht es an die Arbeit. Ich habe vier Tage Zeit, um Interviews zu führen, Landschaftsaufnahmen einzufangen und die Brunnenanlage im Detail auf Film zu bannen.
Filmen aus nächster Nähe
Von normalen Drehbedingungen – das merke ich bereits bei meiner ersten Aufnahme am frühen Morgen – kann hier keine Rede sein. Schon kurz vor Sonnenaufgang füllen sich die Wege mit Menschen und Eseln, die mit ihren gelben Plastikkanistern in Richtung des Brunnens pilgern. Viele bleiben stehen, kommen ohne Scheu auf mich zu. Ich stehe zum ersten Mal ohne Übersetzer den Hadia und Amharisch sprechenden Menschen von Afto gegenüber. Die vier oder fünf Worte, die ich beherrsche bringen mich nicht wirklich weiter – aber das macht nichts.
Ich schließe erste Kontakte – es bleibt mir kaum etwas anderes übrig. Vor allem die Kinder haben keinerlei Berührungsängste. Immer wieder werde ich am Arm oder im Gesicht berührt – einige von ihnen haben noch nie einen Weißen von Nahem gesehen. Es ist ein seltsames Gefühl zur Minderheit zu gehören und es dauert, bis ich mich daran gewöhne, dass ich ständig begleitet werde. Aber die ehrliche Freundlichkeit der Menschen in Afto macht es leicht. Schon bald filme ich mit einem Kind am Arm und teile die Aufnahmen Wange an Wange mit den Brunnenbesuchern.
Geschichten aus der Fremde
In den folgenden Tagen spreche ich (zunehmend auch selbst) mit den Menschen in Afto, höre mir ihre Geschichten an und mache mehr neue Erfahrungen an einem Tag, als in Deutschland in einem ganzen Jahr. Langsam aber sicher wird mir klar, was für einen fundamentalen Einschlag auf die Gegend die beiden Brunnen haben – jeden Tag geben sie über 15.000 Liter Wasser aus – die Wasserqualität verhindert Krankheiten, die kurzen Wege ermöglichen vor allem den Frauen, den Tag mit etwas anderem als dem Wasserholen zu verbringen. Immer wieder stoße ich auf echte Dankbarkeit über unser Hiersein.
Was für mich aber die größte Erkenntnis ist: Die Menschen sind arm, aber sie fühlen sich nicht so. Wir gehen fast automatisch davon aus, dass die Menschen in solch armen Lebensumständen sich elend fühlen. Dem ist nicht so. Die Bewohner in Afto klagen nicht den ganzen Tag über ihre Situation. Natürlich betrachte ich bereits eine verbesserte Situation: Seit einem Jahr sind die wasserbezogenen Krankheiten auf dem Rückzug und die Menschen haben genug Wasser, um in der Landwirtschaft einen Mehrertrag zu erwirtschaften. Dennoch sind die Lebensumstände hier für uns nicht vorstellbar. Mit jeder Minute wächst meine Achtung vor den Menschen in Afto, für ihre Haltung dem Leben gegenüber, ihr Erfindungsreichtum und die Fähigkeit dabei so gute Laune zu haben. Es dauert einen Tag, einen Teller der lokalen Küche und eine Tasse des besten Kaffees der Welt – und ich bin verzaubert. Nun kann ich beginnen, das Land kennenzulernen.
Zu Hause
Schon am zweiten Tag (wieder in der Frühe) stehe ich auf und atme die klare Luft. Ich fühle mich, als sei ich schon seit Wochen hier, ich freue mich auf den Tag, darauf mehr Menschen kennenzulernen, mehr zu erfahren, meinen Wortschatz zu erweitern. Ich beginne, den Menschen hier auf Augenhöhe zu begegnen –etwas, dass vor allem der uneingeschränkten offenen Art der Bewohner Aftos geschuldet ist. Ich bin nun Teil des Landes und schöpfe Kraft und Kreativität aus der Energie, die mich hier antreibt (zusammen mit einer Tasse Kaffe zu viel vielleicht). Das Land präsentiert sich vielseitiger, als ich es gedacht hätte, überall finden sich die seltsamsten Vögel und natürlich die allgegenwärtigen Rundhütten der äthiopischen Bevölkerung.
Neben all dieser Abenteuer-Erfahrungen muss ich mich immer wieder anhalten, mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: Ich bin hier um einen Film zu drehen. Also nehme ich Kontakt mit den Menschen auf, die das Projekt betreuen und benutzen. Die Mitarbeiter der Antonia Ruut Stiftung, ihr Wasserberater und Konstrukteur der Brunnen (der zu diesem Zeitpunkt seit acht Wochen vor Ort ist, um den Bau der Waschhäuser zu beaufsichtigen), ein Permaculture Spezialist, der Manager der äthiopischen Organisation, welche die Brunnen vor Ort betreut, und auch der Governor der Region finden den Weg zu den drei Korbstühlen unter einem Baum zwischen dem Gästehaus und dem Solarpanel – meinem Interview-Studio. Ich spreche mit Bauern, Tagelöhnern, Großeltern und dem lokalen Pastor, lerne wie man „Danke“ auf Amharisch richtig ausspricht und um ein Glas Wasser bittet. Die Journalisten, die ihre Interviews in künstlich beleuchteten Studios mit Klimaanlage und ohne Eselsrufe im Hintergrund führen, tun mir leid.
Ich kann einen Blick auf die Entstehung der nächsten Entwicklungsstufe des Projektes werfen, den Bau der Wasch- und Duschhäuser mit verfolgen und habe sogar Gelegenheit, Einblicke in die äthiopische Politik zu erhaschen. Es entsteht ein Patchwork-Teppich aus Geschichten, Aussagen und Eindrücken, die sich – so zumindest meine Hoffnung – am Schneideplatz in Deutschland zu einem ganzen Bild über dieses außergewöhnliche Vorhaben ergeben wird.
Du gehst nie ganz weg
Ein Kollege sagte zu mir vor der Abfahrt: „Du wirst es in Afrika hassen oder lieben – dazwischen gibt es nichts.“ Peter Hoffenbach, einer der Vorsitzenden der Stiftung, meinte, ich würde nach meiner Heimkehr immer wieder versuchen, den Daheimgebliebenen zu beschreiben, wie es sich anfühlt, in diesem wundervoll fremden Land zu sein – und dabei grandios scheitern. Er hatte recht. Äthiopien spottet im besten Sinne des Wortes jeder Beschreibung. Weder Fotos noch Erzählungen können die Menschen und das Land in seiner Gänze erfassen. Als ich wieder im Flugzeug nach Deutschland sitze und Äthiopien unter mir immer kleiner wird weiß ich bereits: Ein Teil von mir ist noch immer da unten, wo jetzt um diese Zeit der große Andrang an der Wasserausgabe losgeht und die Esel mit den gelben Kanistern auf dem Rücken in der Sonne dösen.
Seit meiner Rückkehr habe ich in Gedanken schon ein Dutzend mal die Koffer gepackt und die Akkus geladen, um die Kamera zu schultern, die Feldflasche zu füllen und hinauszutreten in die warme Sonne. Ich habe einen neuen Blick auf Menschen und Probleme gewonnen, über einen Art von Arbeit gelernt, von der ich zuvor nichts wusste und phantastische Bilder und Filmaufnahmen mit nach Deutschland gebracht. Viel wichtiger aber ist: ich habe Freunde in der Fremde gefunden, von denen ich nicht wusste, dass ich sie habe.
Und ich weiß: Ich komme wieder.
Zum ersten Teil von „Ein Trierer in Äthiopien“ geht es hier.
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