Am Samstag, 2. März, hatte das Stück „Kleiner Mann, was nun?“ Premiere im Theater Trier, in den Hauptrollen Alina Wolff und Matthias Stockinger unter der Regie von Gerhard Weber – mit Glitzer und Farbenrausch eine „typische“ Weber-Inszenierung und dennoch weit mehr.
Johannes Pinneberg, gespielt von Matthias Stockinger, hat seine Freundin, die Arbeitertochter, Emma Mörschel, gespielt von Alina Wolff, geschwängert. „Dass er ja keine Schande über das Lämmchen bringe“ wird geheiratet. Das wiederum schmeckt dem Chef des noch-Angestellten Pinneberg gar nicht, der wollte selbigen nämlich eigentlich mit seinem verwöhnten Töchterchen Marie verheiraten. Pinneberg wird entlassen.
Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit kommen „gute“ Nachrichten von Pinnebergs Mutter Mia aus Berlin. Ihr neuer Freund, mit dem sie laut eigenen Angaben „schlafen geht“, hat da was aufgetan. Verkäufer soll er sein, für Herrenmoden. Bis auf Weiteres leben die beiden Pinnebergs bei Mama Pinneberg, die sich ihren Lebensunterhalt im horizontalen Gewerbe verdingt. Bis die eine ziemlich doppeldeutige Annonce für ihr eigenes „Geschäft“ in der Tageszeitung herausgibt. Das wird dem Chef von Pinneberg nun gar nicht gefallen. Lämmchen zieht hochschwanger los um eine neue Wohnung zu finden, doch ihr offensichtlicher „Zustand“ erschwert die Wohnungssuche nur noch zusätzlich, übrig bleibt eine Bruchbude, die nur unter der Hand und heimlich vermietet werden darf. Zu gefährlich ist sie in den Augen der „Wohnungspolizei“. Unterm Weihnachtsbaum kommt schließlich das Kind, dafür geht der Job erneut. Pinneberg ist arbeitslos, seine Frau geht Nähen und Flicken.
Während das Paar am Rande des Existenzminimums herumkrebst, sich mit Gelegenheitsjobs und wer weiß, mit was noch über Wasser halten muss, sind die zarten Fortschritte des Kindes Murkel die wenigen zarten Hoffnungsblumen, pardon Hoffnungsschimmer, die am Horizont erstrahlen.
Pinke Glitzerhosen und Aufblas-Flugzeuge
Das Thema gerät nie aus der Mode: Soziales Elend, ungewollte Schwangerschaften gepaart mit verlorenen Existenzen. Was Lämmchen und Pinneberg widerfahren ist, kann jederzeit jeden treffen. An welch seidenem Faden Glück und Unglück hängen, müssen die Zwei, beziehungsweise Drei, immer wieder erleben. Dabei scheitern sie nicht an großen, dramatische Tücken, wie es sie oft, aber auch nur dort, im Theater gibt, sondern an den kleinen „Widerwärtigkeiten“ des Lebens.
Gerade das könnte das Geschehen auf der Bühne unerhört tragisch machen, doch diesmal nicht. Während Pinneberg verzweifelt und sein Lämmchen alles tut, um ihn aus seiner Angst herauszuholen, sind seine und ihre Umwelt so bezaubernd ekelhaft und überdreht, dass der Zuschauer nicht anders kann, als verstohlen zu schmunzeln. Pinke Glitzer-Jogginganzüge, gepaart mit Schlagerhits und Chansons, dazu aufblasbare Flugzeuge und fertig ist der Trash. Doch was sonst an guten Botschaften vorbei, in andere Örtlichkeiten gegriffen scheint, macht hier bei näherer Betrachtung durchaus Sinn.
Mit Trash gegen die Tragik, so könnte das Motto dieser Inszenierung lauten und vielleicht sogar die Moral hinter der Geschicht‘ sein. Hier sieht das Trierer Publikum auf den ersten Blick wieder einen „typischen“ Weber, wie er von Mcbeth noch in lebhafter Erinnerung sein könnte – bunt und schrill, mit jeder Menge Requisiten. Doch auf den zweiten Blick bemerkt man viel mehr. Zum einen, dass die überdrehte Inszenierung durchaus Spaß macht, spätestens beim Auftritt der Jacobs-Sisters musste auch der Letzte etwas schmunzeln. Zum anderen, dass die Revue von Tankred Dorst und Peter Zadek, nach dem Roman von Hans Fallada, diese Absurditäten durchaus vertragen kann. Zuviel Tragik wäre fehl am Platz. Je absurder das Drumherum, umso absurder erscheint das Scheitern und ständige Unglück der Pinnebergs.
Absurd und doch tragisch
Die Schauspieler, obwohl bei dem Ensemblestück fast alle mehrere Rollen übernehmen mussten, kitzelten doch wunderbare, neckische Details aus den teils abstrusen Figuren heraus. Da muss man schmunzeln, wenn Lämmchen und das selbst ernannte „Schaf“ Pinneberg den ganzen Raubtieren gegenüberstehen. Besonders hoch zu schätzen sind dann aber doch die Lämmer.
Alina Wolff und Matthias Stockinger glänzen als Pinnebergs. Er als Musicaldarsteller wirkt auf den Brettern der Schauspielwelt nicht fach-, dafür aber passend weltfremd. Stockingers Pinneberg ist, wie Lämmchens Spitzname so schön sagt, ein „Junge“, seine mangelnde Menschenkenntnis macht ihn unter den Raubtieren zur leichten Beute. Die Arbeitertochter „Lämmchen“ hat da schon etwas mehr Biss und ist es schließlich, die das wacklige Gerüst zusammenhält. Wolff zeigt als Emma Mörschel, verheiratete Pinneberg, was sie in der kurzen Zeit als fest engagierte Schauspielerin gelernt hat. Ihr Lämmchen ist wenig zart, aber nicht lieblos, hoffnungsvoll, aber nicht blauäugig, mit beiden Beinen im Leben stehend, aber doch nicht ohne Träume. Wolff spielt facettenreich und lebendig, dahin sind hölzerne Konzentration auf Text und saubere Aussprache. Die Emma fluppt, der Hannes fluppt, im Angesicht von pinkem Glitzer wirken die beiden entspannt unangespannt.
Das Bühnenbild von Dirk Immich erinnert mit Eisengeländern an geschäftige Einkaufsmeilen, dann wieder an Fabrikhallen, gibt aber auch einen sehr schönen Schrebergarten ab und sogar einen recht brauchbaren Amüsierbetrieb. Die Kostüme von Claudia Casera tragen einerseits viel zur trashigen Atmosphäre bei, andererseits gliedern sie die Darsteller in Arbeiter mit gelben Gummistiefeln oder Verkäufer mit Anzug. Die musikalische Einrichtung der Songs übernahm Sebastian Matz. Seine Gestaltung der altbekannten Lieder wie „Wochenend und Sonnenschein“ und „Die Berliner Luft“ auf Techno gemacht, setzen dem ganzen noch die Krone auf.
Fazit: Wer es lieber dezent mag, sollte der Aufführung fern bleiben. Der gleichbleibende, fast etwas mechanische Applaus des Premierenpublikums sagte schon vieles: Irgendwie hat’s gefallen, auch wenn viele nicht genau wussten, wieso. Die vielen Farben, der teils oberflächliche Akzent, die vielen komödiantischen Anspielungen sind nicht für jeden was. Doch wer sich drauf einlässt, erlebt vielleicht sein pinkes Wunder, denn sobald die Trash-Überdosis mal nachlässt, wird die absurde Tragik dahinter spürbar. Neben zwei guten Hauptdarstellern gibt’s ordentlich was auf die Ohren und noch mehr auf die Augen.
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