Volkskrankheit: Bandscheibenvorfall. Volkskrankheit: Stress. Volkskrankheit: Burn-out. Um diese und einige andere brisante Themen geht es in dem neuen Schauspielstück des Theater Trier, das am Samstag, 22. Dezember, Premiere feierte.
Fünf Typen, wie man sie in jedem Betrieb antrifft: Der Ehrgeizige, das Mobbingopfer, das Büromäuschen, das Bürobiest, der Emporkömmling. Nicht immer angenehme Zeitgenossen, die man meist verzweifelt zu ignorieren sucht. Auf der Bühne und unter der Inszenierung von Regisseur Anatol Preissler allerdings ein echter Hingucker. Einfallsreich, spielfreudig, immer wieder überraschend, aber vor allem urkomisch mobben und ehrgeizen sich die fünf Hauptdarsteller durch das Stück. Obwohl der Inhalt eher ein tragischer, denn ein komödiantischer ist. Schließlich sind die Probleme, mit denen sich jede der Figuren herumschlagen muss, mehr als alltäglich geworden.
Hufschmid (Tim Olrik Stöneberg), Schmitt (Sabine Brandauer), Kretzky (Jan Brunhoeber), Kristensen (Vanessa Daun) und Kruse (Klaus-Michael Nix) teilen sich ein Büro und ein gemeinsames Hobby: Dem Chef gefallen. Ehrgeizig ist jeder, auf seine eigene Weise, und nicht immer ganz korrekt. Und wer korrekt sein und nicht mit den Wölfen heulen will, wird eben angeknurrt, gebissen und unterworfen. Sogar im wörtlichen Sinne müssen Hufschmid und Kruse doch einmal die „Rangfolge“ auf der Bühne ausfechten. Da wird geknurrt, gebellt und geheult, sich unterworfen und besprungen – und im Publikum darf gelacht werden. Über allem schwebt der allgegenwärtige, aber unsichtbare Chef. Als rot leuchtende Alarmlampe ruft er seine Leibeigenen, Verzeihung, Angestellten zu Ruhe und Ordnung. Verlangt nach Unterlagen, nach „wirklich guten Gesprächen“ und erwidert Kritik mit dem sprichwörtlichen „Messer im Rücken“.
Eine tragische Komödie
Doch interessant sind nicht die Reaktionen des Chefs, sondern die der Kollegen. Während es im ersten Teil um die Karrieregefechte, Mobbingattacken und Büroscharmützel der Kollegen untereinander geht, geht der Blick im zweiten Teil tiefer.
Besonders schön, der weinende Tim Olrik Stöneberg im übergroßen Anzug, verfolgt von den Geistern seiner Kindheit. Zwei übergroßen Elternschatten, die in einer Tour kundtun, wie ungenügend und enttäuschend die eigene Brut doch sein kann. Wer sich hier allzu oft an seine eigene Kindheit erinnert fühlt, sollte über eine Therapie nachdenken.
Immer unterbrochen wird der Bürozwist von bekannten Songs, wie etwa „Was ich will, bist du“ von der Münchner Freiheit, vorgetragen von Jan Brunhoeber als Ode an sein neues iPhone und allerlei andere Apple-Produkte.
Nach der Pause lernt man die schön-schaurigen und allzu bekannten Abgründe der Fünf kennen: Schmitt, die kaputt ist und es gefälligst auch bleiben möchte. Schließlich müssen reparierte Sachen vor allem eines wieder: Funktionieren. Saubermann Kruse, der auf seine große Stunde wartet, um endlich aus dem eigenen biedermeierlichen Schatten zu treten, voller Befürchtungen, dass er sie nicht mehr erleben könnte, weil er bis dahin an einem Herzinfarkt gestorben sein könnte.
Beat, Burn, Bite
Das Ende von Ingrid Lausund ist etwas revolutzerischer gedacht, als das Ende dieser Inszenierung, dafür erscheint einem dieses hier um einiges realitätsnaher. Der Chef wird nicht ignoriert, er ist ja schließlich auch nicht anwesend, der Chef in einem Selbst dagegen gestärkt: „Beat, Burn, Bite.“ sagt Vanessa Daun da so schön. Zurückschlagen ist gut, zuschlagen nicht. Brennen ist gut, aber nicht verbrennen. Durchbeißen ist gut, aber nicht kaputtbeißen. Kämpfen ja, für sich, aber nicht gegen die anderen.
Diese Botschaft hat Regisseur Anatol Preissler für die Zuschauer. Seine Inszenierung ist fast unfreiwillig komisch, sind die Situationen doch eigentlich tragischer Natur. Doch die detailreiche, vielseitige Inszenierung bietet viele Momente, die das Zwerchfell kitzeln und gleichzeitig an unangenehme Situationen im Büro erinnert.
Der Zuschauer sieht sich praktisch selbst am Schreibtisch, den Kaffee ziehen und die Kollegen bespitzeln. Eine verspielte Inszenierung, die nicht nur den fünf klasse Schauspielern sichtlich Spaß macht.
Dazu trägt auch das Bühnenbild von Karel Spanhak bei. Fünf Schreibtische, schön akkurat, schön synchron, nicht gerade gehobene Ausstattung, Büroatmosphäre. Alles wirkt überdimensional, die Figuren darin mal wie ein Uhrwerk, mal wie Bienen im Stock, mal wie Wölfe bei Rollenkämpfen. Die Kostüme von Yvonne Wallitzer erscheinen businesslike: gut sitzende Anzüge neben schicken Kostümen, Biedermann-Outfit neben Galakleid. Passend und stimmig.
Fazit: Ein Stück, nicht nur für Stromberg-Fans. Hier erkennen sich sowohl Mobbingopfer und Burn-out-Patienten als auch übertrieben-ehrgeizige und ewig-positive Büroengel wieder. Eine neue frische Komödie im Theater Trier.
Fotos: Marco Piecuch
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