„Last Christmas“ von Wham! war durch die jahrelange Dauerbeschallung in der Vorweihnachtszeit von vielen regelrecht gehasst. Das war es auch dieses Jahr, bis die Nachricht um die Welt ging, dass „Wham!“-Sänger George Michael am ersten Weihnachtstag verstorben ist. Von jetzt auf gleich schlug die Anti-Stimmung in weltweite Betroffenheit um und setzte ein – hoffentlich – letztes trauriges Ausrufezeichen unter ein Jahr, in dem eine Menge Musik-Ikonen von uns gegangen sind. Und dann muss auch noch Leia gehen…
Trier. „We’re Motörhead and we play Rock ’n Roll!“, grunzte die wohl größte Warze der Rockgeschichte im Dezember 2006 ins Mikrofon in der Messeparkhalle Trier. Auf der Bühne wirkte Lemmy Kilmister einschüchternd, unnahbar und doch irgendwie liebenswert: wie ein dunkler Rock-General aus einer anderen zeit. Im normalen Leben fand man den Frontmann der britischen Krachmacher-Institution am ehesten in einer schmuddeligen Bar am weltberühmten Sunset Strip in Hollywood: Dem Rainbow Bar & Grill. Hier gibt es einen unscheinbaren schwarzen Hocker, den Stammplatz von Lemmy . Wann immer er zuhause in L.A. war, konnte man ihn mit einem Jacky-Coke an der Bar antreffen und ein bisschen Small Talk mit einem der geerdetsten Rockstars überhaupt machen. Heutzutage ist der Hocker leer, Lemmy verstarb heute vor einem Jahr für viele schockierend plötzlich an Krebs.
Das Rainbow Bar & Grill ist noch immer eine schummrige Rocker-Spelunke in der Glitzerwelt Hollywoods, auch der Kellner, den man aus zahlreichen Interviews mit der Rocker-Legende aus dem Hintergrund kennt, ist noch immer der gleiche. Mit nahezu Schlaf-wandlerischer Präzision wuselt er in dem Flaschenlabyrinth herum und schmeißt den ganzen Laden quasi im Alleingang. Und doch klafft eine schwer greifbare Lücke. Auch eine in Bronze gegossene Lemmy-Statue nahe seinem Stammplatz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der kantige Bassist mit unverwechselbarer Warze im Gesicht nicht mehr unter uns weilt. Lemmys Tod war der gefühlte Startschuss eines regelrechten Rock- und Poplegenden-Sterbens, welches die Musikwelt das ganze Jahr 2016 über beschäftigte. In den sozialen Netzwerken bekundeten tausende Fans dieses Jahr viele Male ihr Beileid und wurden nicht selten dafür kritisiert. Darf man um einen Menschen trauern, den man nicht kennt, während gleichzeitig täglich Menschen in Kriegen sterben?
Kaum waren die Lemmy-Erinnerungs-Beiträge verstummt, wurde am 10. Januar das traurige Musikjahr 2016 mit dem Tod der britischen Musik-Ikone David Bowie eingeläutet, dessen neuestes, äußerst experimentelles Album „Blackstar“ erst zwei Tage vorher – an seinem 69sten Geburtstag – erschienen war. Bowie starb nach 18 monatigem Kampf an Leberkrebs, den er vor der Öffentlichkeit geheim hielt.
Nur acht Tage später folgte Glenn Frey, der Mitgründer der Eagles, im Alter von 67 Jahren. Die Band teilte auf ihrer Website mit: „Glenn kämpfte in den vergangenen Wochen einen mutigen Kampf, aber er erlag traurigerweise den Komplikationen einer rheumatoiden Arthritis, einer akuten Dickdarmentzündung und einer Lungenentzündung“.
Gerade Altrocker stellte das Jahr 2016 auf eine harte Probe. Der legendäre Beatles-Produzent George Martin verstarb ebenso wie gleich zwei Mitglieder der legendären Prog-Rockband „Emerson, Lake and Palmer“ und „Status Quo“-Gitarrist Rick Parfitt.
Auch in der deutschen Musikszene verschwanden große Musiker. Der Jazzmusiker und Medien-Liebling Roger Cicero starb völlig unerwartete im Alter von nur 45 Jahren an den Folgen eines Hirninfarkts. Wolfgang Rohde alias „Wölli“, der ehemalige Schlagzeuger der Toten Hosen, erlag einem langjährigen Krebsleiden, nachdem er in vergangenen Sommer vor 70.000 Fans in Leipzig nochmal mit der Band „Steh auf, wenn Du am Boden bist“ gespielt hatte.
Mitte April traf es dann Ausnahme-Gitarrist und Pop-Rock-Ikone Prince, der im Alter von 57 Jahren an den Folgen einer Überdosis des Schmerzmittels Fentanyl starb. 1992 war die Legende im Moselstadion in Trier aufgetreten und hatte ganze Heerscharen von Zuschauern begeistert.
Ende des Jahres verließen dann noch zwei weitere Weltstars das Rampenlicht ein für alle mal. Zuerst der kanadische Sänger, Komponist und Lyriker Leonard Cohen, dessen Hit „Hallelujah“ ihn unsterblich machte. Einen Monat vor seinem Tod erschien das letzte Album des 82-jährigen. Makaberer Titel: „You Want It Darker“.
Und nachdem auf den Weihnachtsmärkten und Weihnachtsfeiern der ultimative Weihnachts-Popsong „Last Christmas“ nochmal so richtig zu Tode gespielt wurde, war es dann bitterböse Ironie, dass George Michael 2016 sein letztes Weihnachtsfest erleben musste. Laut seinem Publizisten sei der 53-Jährige „friedlich entschlafen“.
Und während diese Zeilen geschrieben wurden, erreichte uns schließlich die Meldung vom Tod Carrie Fishers. Obwohl sie Musikerin war und in mehreren Musicals auftrat, war sie vor allem für eine Rolle bekannt, die jeden der auch nur ansatzweise etwas mit Popkultur zu tun hat ehrfürchtig erstarren lässt: Prinzessin Leia in der legendären „Star Wars“-Trilogie. Zuletzt war sie in dem Neustart der Reihe, „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ im vergangenen Jahr in den Kinos zu sehen.
Die faszinierendste Tatsache dieser traurigen Todesfälle ist dabei, dass wahrscheinlich niemand hinter den unzähligen Beileidsbekundungen im Netz die Verstorbenen persönlich kannte. Und doch fühlt man ungewöhnlich stark mit wenn bedeutende Künstler gehen, während Tag für Tag tausende Menschen schreckliche Tode sterben und nicht global betrauert werden. Ich stand 2006 selbst in der Messeparkhalle, verfolgte meine erste „Motörhead“-Show und blickte zufrieden grinsend auf zu diesem undeutlich grunzenden Original, dass rund um den Globus Menschen mit einer Musik verzauberte, die einem mit ihrem Double-Bass-Donner jedes Mal auf’s Neue die Magenschleimhaut umschichtete. Ob man Lemmy, Bowie, Prince, Cohen oder George Michael nun mochte oder nicht, sie alle zauberten kaum greifbaren Heerscharen von Fans ein Lächeln ins Gesicht und sorgten dafür, dass Menschen zusammen kamen und friedlich ihre Musik erlebten, ungeachtet der Nationalität, Hautfarbe oder Religion. Dafür darf man ihnen durchaus Respekt zollen und sei es nur durch ein simples „RIP“ bei Facebook. Wenn man dann noch ihre Musik in Erinnerung behält, sei es nun „Overkill“, „Life on Mars“, „Purple Rain“, „Hallelujah“ oder „Faith“, kann man vielleicht sogar etwas von ihrer Magie für kommende Generationen bewahren…
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