Das Internationale Rote Kreuz ist seit dem Erdbeben in Japan permanent im Einsatz. 5vier.de sprach mit dem stellvertretenden Leiter der Notfall-Einsatzgruppe Martin Heinrichs-Hülter.
5vier: Herr Heinrichs-Hülter, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Sie sind nun seit einer Woche wieder in Deutschland. Wie haben Sie ihren vierwöchigen Einsatz im Katastrophengebiet verkraftet?
Heinrichs-Hülter: Ich habe nach Ankunft erst mal zwei Tage geschlafen, dann habe ich ein paar Tage mit meiner Familie verbracht. Nun bin ich wieder im Einsatz.
5vier: Was genau war ihre Aufgabe in Japan?
Heinrichs-Hülter: Wir waren als Erstversorger für die Erdbebenopfer eingesetzt. Unser mobiles Hospital diente vor allem zur Versorgung der Opfer aus den ärmeren Teilen des Landes.
5vier: Wurden diese nicht von den japanischen Behörden versorgt?
Heinrichs-Hülter: Da gab es mehrere Probleme, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Auf jeden Fall waren die Behörden völlig überfordert und die Krankenhäuser, trotz der relativ guten Ausstattung, weder personell, noch organisatorisch auf einen solchen Notfall vorbereitet. Es ist schon überraschend, dass in vielen Krankenhäusern eines Inselstaates noch nicht einmal ein Notfallprotokoll für Flutfälle existiert. Zudem gibt es einen gesellschaftlichen Faktor, der die Unterschicht in Japan zusätzlich behindert.
5vier: Wie sieht der aus?
Heinrichs-Hülter: Ohne jetzt in Klischees sprechen zu wollen, sieht es im Großen und Ganzen so aus, dass die Masse an einfachen Arbeitern als Rädchen im System behandelt wird und man von ihr keine Eigeninitiative erwartet. Wir haben acht Tage nach dem Beben noch Menschen evakuiert, die ihre Häuserruinen nicht verlassen haben, obwohl eine Notfallstation praktisch in Sichtweite lag. Der Grund: Keiner hat es ihnen befohlen. Man verlässt sich auf die Obrigkeit. Diese allerdings hat ein großes Problem, die Lage unter Kontrolle zu halten, nicht zuletzt auch, weil man permanent versucht sein Gesicht zu wahren und es immer wieder Lücken in der Informationskette gibt.
5vier: Der Großteil der Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes bestand aus Spenden. Warum waren Sie mit Ihrer Gruppe direkt vor Ort?
Heinrichs-Hülter: Unsere Gruppe ist zwar in Deutschland stationiert und besteht auch zum Teil aus DRK-Mitgliedern, aber eigentlich unterstehen wir dem IRK, dem Internationalen Roten Kreuz und wurden für eben solche Katastrophenfälle aufgestellt. Wir waren ja auch in New Orleans und auf den Philippinen im Einsatz. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, die Spendenaktion ist das Rückgrat des DRK und das ist auch das Beste, was man tun kann. Das Land und die Helfer werden eine Menge Unterstützung brauchen. Selbst wenn man den Atomreaktor und noch immer mögliche Folgebeben außer acht lässt, ist der Schrecken in Japan ist noch lange nicht zu Ende.
5vier: Inwiefern?
Heinrichs-Hülter: Es fehlt an allem – an Medikamenten in ausreichenden Mengen, um auch die ärmeren Bevölkerungsschichten langfristig zu versorgen, an Baumaterial für den Wiederaufbau, an geschultem Personal… Japan ist da in ein Loch gefallen, dessen Boden noch nicht in Sicht ist. Die Atomkatastrophe ist das eine Beispiel, für das sich der Rest der Welt interessiert, aber es gibt dort noch viele andere Punkte, die der Bevölkerung eine Menge Leid bescheren werden.
5vier: Zum Beispiel?
Heinrichs-Hülter: Die Wasserversorgung. Japan ist zwar eine Insel, aber Trinkwasser, das ohne aufwendige Vorbereitung trinkbar ist, ist selten. Und die meisten Anlagen standen am Meer. Bereits jetzt gibt es in einigen Gebieten Wasserknappheit und keinerlei Plan oder Initiative, um sich dem Problem anzunehmen.
5vier: Das klingt verbittert.
Heinrichs-Hülter: Das ist es auch. Japan ist kein freies Land. Wir wurden von der Polizei abgedrängt und mit den Worten „Helfen Sie woanders!“ nicht an Patienten gelassen. Die Vorbereitungen auf einen solchen Fall waren – es gibt kein anderes Wort dafür – nonexistent. Nein, man hätte die Flutwelle nicht aufhalten können, aber wie auch in New Orleans schon, hätten ein paar Deiche und Wetterschutzmaßnahmen geholfen, die Opferzahl drastisch zu reduzieren. Egal, was Sie in der Presse lesen und wie die Entschuldigungen aussehen: Man hat die Gefahr bewusst jahrzehntelang gekannt und totgeschwiegen.
5vier: Nun gibt es seit der Katastrophe ja auch Positives zu berichten. Breite Schichten der Bevölkerung äußern offene Kritik gegen Regierung und AKW-Betreiber, der Bau des neuen Super-Meilers in Kaminoseki wurde vorerst gestoppt. Haben Sie von diesen Initiativen etwas mitbekommen?
Heinrichs-Hülter: Offen gesagt recht wenig. Es gab allerdings auch eine gewisse Sprachbarriere. Viele von uns konnten nur mit Dolmetscher arbeiten. Dadurch haben wir oft nur das mitbekommen, was wir für unsere Arbeit brauchten. Was ich allerdings positiv vermerken möchte ist die bedingungslose Unterstützung aus der Nachbarschaft und den kleineren Städten. Man hat uns und dem Japanischen Roten Kreuz ohne zu fragen Fahrzeuge gestellt, die Menschen haben Tragen aus Trümmern gebaut und eine kleine Baufirma hat dem JRK sogar einen Bagger geschenkt, um Trümmer zu räumen. Bei uns kam jeden Tag eine alte Frau in die Station und brachte uns kleine Teigtaschen zum Frühstück. Ein japanischer Kollege erzählte, dass sie dafür jeden Morgen um 4:00 Uhr aufsteht. Wenn ich das mit New Orleans vergleiche, wo ich dreimal von Anwohnern mit einer Schusswaffe bedroht wurde, war das eines dieser Dinge, die einem die Arbeit wirklich leichter machen.
5vier: Werden Sie noch einmal nach Japan gehen?
Heinrichs-Hülter: Genau weiß ich das nicht, aber es sieht derzeit nicht so aus. Man ist der direkten Hilfe von außen zwar dankbar, aber es ist nicht einfach, den Kontakt mit den Behörden in Japan konstruktiv zu gestalten.
5vier: Was können die Trierer tun, um zu helfen?
Heinrichs-Hülter: Das gleiche, was jeder tun kann: Spenden. Und zwar nicht beim Spendenaufruf in der Frauenzeitschrift oder dem Kleinverein im Dorf, sondern direkt an uns oder eine andere Organisation, die selbst in Japan im Einsatz ist. Nur so kann garantiert werden, dass das Geld ohne große Abzüge dort zum Einsatz kommt, wo es gebraucht wird. Und jeder kann spenden. Wer sich einmal keine Zigaretten kauft, hat fünf Euro übrig. Das bewegt schon was.
5vier.de: Herr Heinrichs-Hülters, wir danken für das Gespräch.
Wer an das DRK spenden möchte, der findet die alle Details dazu unter folgendem Link: http://www.drk.de/spenden/spendenmoeglichkeiten.html
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