Von Martin Köbler
„Man muss sehen, wo man herkommt“ – die Worte des Trainers noch im Ohr, hieß es für André Poggenborg ausgerechnet bei seinem früheren Arbeitgeber, den Sportfreunden Lotte, zum ersten Mal in dieser Saison Pflichtspielminuten für die Blau-Schwarz-Weißen zu sammeln. Doch die Art und Weise, wie er zum Einsatz kommen sollte, läutete am Lotter Kreuz einen Steinwurf zu Niedersachsen entfernt die erste Niederlage nach vier Partien ohne dreifachen Punktverlust ein. Als beide Mannschaften gerade erst auf dem Feld standen, leistete der sich ansonsten in dieser Hinrunde als konstante Größe etablierte Torge Hollmann mit Andreas Lengsfeld einen kapitalen Aussetzer, der in einer Notbremse des Trierer Schlussmannes mündete – Platzverweis, Elfmeter, 0:1. Freude hübenbeim heimischen Anhang, Frust unter den knapp 100 mitgereisten Trierer Fans, die den weiten Weg auf sich nahmen – wohlwissend, dass bislang sämtliche Pflichtspiele gegen den Emporkömmling aus der Nähe Osnabrücks in etwa soviel Ertrag brachten wie eine unangekündigte Physik-Prüfung: Null – und eine Besserung ist auch im September 2010 nicht in Sicht, als eine Viertelstunde vor dem Spielende Josef Cinar den rabenschwarzen Tag der Trierer Innenverteidigung sowie der gesamten Mannschaft mit einem klassischen Eigentor „krönt“.
Foto: Da nützt auch Diskutieren nichts – Rot für Andreas Lengsfeld in Lotte, die Niederlage kommt frei Haus.
Der September, er schließt also mit einer Auswärtsniederlage – doch die errungen zehn Punkte dieses Monats werden auch vom Anhang löblich registriert – unwissend, dass der Oktober rein statistisch gesehen einer der erfolgreichsten der Trierer Vereinsgeschichte sein wird und sich die Stimmung im Verein und im Umfeld endgültig wandeln wird. Waren einige bislang noch skeptisch, was Eintracht Trier anno 2010/2011 bewegen würde, sind sich nach dem „goldenen Oktober“ fast alle einig: Diese Saison kann etwas bewegt werden. Etwas Großes. Es kann. Wenn alles passt.
Foto: Der Trierer Anhang, er wünscht sich nichts mehr als den Erfolg des Vereines – „Für immer zusammen“ – Wohin führt der gemeinsame Weg?
Dabei hat die Eintracht am 1. des neuen Monats direkt eine schwere Bürde vor sich, wartet doch mit dem FC Schalke 04 II der bis dato ungeschlagene Tabellenführer unter Flutlicht darauf, im Moselstadion die heimischen Kicker etwas auf Distanz zu halten. Doch die Losung der Knappen, sie geht nicht auf -selbst der ehemalige Bundesliga-Profi und „enfant terrible“ der Königsblauen, Albert Streit, kann dies nicht verhindern. Die Absurdität der Regionalliga, sie ist an diesem Freitagabend greifbar wie nur selten zuvor. Faktisch keine Gäste-Fans zählt ja schon zum Standard-Repertoire, doch wenn ein Spieler wie Albert Streit sprichwörtlich lust- und emotionslos über den Rasen tingelt und hierfür mehr Jahresgehalt erhält (zwei Millionen) als die erste Mannschaft von Eintracht Trier als Etat aufstellt, bleibt den knapp 2.200 anwesenden Zuschauern gar nichts anderes übrig, als ungläubig den Kopf zu schütteln. So ist es für alle Anwesenden eine innere Genugtuung, als Lukas Mössner zehn Minuten vor dem Ende einen millimetergenauen Pass von Thomas Kraus nur noch über die Linie drücken muss. Der Tabellenführer, er war gestürzt – das obligatorische „Döp, Döp, Döp…“ aus den Lautsprechern kämpfte gegen den ohrenbetäubenden Jubel an, der den so wichtigen 1:0-Erfolg sichern sollte. In der anschließenden Pressekonferenz ist es dann soweit – Peter Pries teilt mit einem leichten Funkeln in den Augen den Anwesenden mit: „Also vor mir haben ein paar Schalker gesessen. Die behaupten, dass sie Eintracht Trier als einen der Aufstiegsfavoriten ansehen.“ Da war es also raus, das Wort mit „A“.
Foto: Das 1:0 gegen Schalke 04, es ist soeben gefallen. Torschütze Lukas Mössner (vorne, im Sprung) ist auf dem Weg zu Vorbereiter Thomas Kraus, der seine Freude schon herausschreit.
Der Erfolg gegen die kleinen Gelsenkirchener, er wirkt wie eine Befreiung. Das anschließende Gastspiel beim VfL Bochum II wird mit 3:0 (0:0) gewonnen (Patschinski, Meha, Mössner) – und der Trierer Anhang liegt sich nach dem Schlusspfiff im Wattenscheider Lohrheidestadion in den Armen. Nicht zu toppen? Von wegen. Eine Woche später. Tatort Ecke Zurmaiener Straße / Zeughausstraße. Das Opfer: Aufsteiger SC Wiedenbrück 2000. Der Täter: Alban Meha. Seine Waffe: zentimetergenaue Freistöße (27./86.). Das Motiv: Die Tabellenführung, welche nach dem Schlußpfiff ausgiebig gefeiert werden kann, da zeitgleich Preußen Münster Punkte liegen lässt. Die Eintracht, sie ist wie im Rausch, beflügelt vor allem durch einen in diesen Wochen überragenden Alban Meha, der auch beim 1:0-Auswärtserfolg eine Woche später gegen Bayer Leverkusen II seine enorme Fußfertigkeit beweist und mit seinem genialen Freistoßhammer die Tabellenführung verteidigt. 30. Oktober, zwölf Spieltage sind Geschichte – Eintracht Trier ist Tabellenführer. Wer hätte das noch gedacht, am Vormittag des 9. Juni desselben Jahres.
Doch der November, er startet mit einer bedrückenden Meldung: Nachdem sich Mittelfeldspieler Tolgay Asma im Training eine Verletzung zuzog, herrscht Anfang des Monats traurige Gewissheit: Kreuzbandriss. Die Saison, sie ist für den Deutsch-Türken auf der rechten Außenbahn schon jetzt beendet.
Dessen ungeachtet setzt sich die Siegesserie der Eintracht zunächst fort, ist auch Aufsteiger FC 08 Homburg kein echter Gradmesser für den Spitzenreiter der Regionalliga. Steht es zur Halbzeit bereits hochverdient 2:0 (Kraus, Saccone) und befinden sich die Saarländer nach einem Handspiel kurz vor der Pause bereits in Unterzahl, kehrt an diesem 6. November das ein, was das Trainergespann um Roland Seitz, Rudi Thömmes und Sascha Purket auch noch unter dem Weihnachtsbaum beschäftigen wird: Der Schlendrian nach der Pause, er hat Einzug erhalten in den Köpfen der Eintracht – doch zählbaren Nutzen kann der ehemalige Bundesligist nur in Form des Anschlusstreffers durch einen Foulelfmeter ziehen. Eine knappe Viertelstunde später stellt Alban Meha – man ist geneigt zu sagen: „Wer sonst?“ – den alten Abstand wieder her. 3:1, fünfter Sieg in Folge, Verteidigung der Spitzenposition. Da allerdings auch Preußen Münster in dieser Phase der Saison den viel zitierten „Lauf“ hat, ergibt sich für die Moselaner nie die Gelegenheit, sich entscheidend abzusetzen.
Foto: Sagenhafte Unterstützung in der Fremde – der Trierer Anhang im Saarland.
Knapp 500 Eintrachtler begleiten ihren Verein zum Auswärtsspiel in Elversberg – und haben schon eine Vorahnung, wie dieses Spiel laufen könnte, hat ihre Mannschaft an der Kaiserlinde doch traditionell fast nie gut ausgesehen. Die Eintracht, sie dominiert zwar das Spiel, kann sich aber in der ersten Hälfte nur wenige Chancen herausspielen. Und wenn, wird sie vom Schiedsrichter zurückgepfiffen – Anhang und Trainerbank toben, als nach einer guten halben Stunde ein für alle sichtbares Handspiel auf der Linie der Saarländer nicht gewertet wird. Was mit Rot und Strafstoss hätte fortgesetzt werden müssen, zog keinerlei negative Konsequenzen nach sich – zumindest nicht für den SV Elversberg. Denn die Eintracht, sie verschläft schon wieder die ersten Minuten des zweiten Durchganges und gerät durch die erste wirklich nennenswerte Aktion der Saarländer in Rückstand. Es ist einer jener Tage, an dem nichts gelingt. Thomas Kraus hat den Ausgleich auf dem Fuß – doch dieser macht schlicht nicht das, was sein Kopf ihm sagt. Kurz vor dem Abpfiff fällt das 2:0 – die Entscheidung und somit die erste Niederlage seit über einem Monat. Doch die Mannschaft, sie wird von den Fans gefeiert. Noch Minuten nach dem Ende feiern die Mitgereisten ihre Helden – die immer noch Spitzenreiter sind, da das Spiel Preußen Münsters gegen Borussia Mönchengladbach II den Witterungsbedingungen zum Opfer fiel. Das Vereinslied wird intoniert und immer und immer wieder wiederholt – einen besseren Beweis für den zurückeroberten Kredit des Vereines durch diese Mannschaft lässt sich landauf, landab nicht finden.
Foto: Kopf hoch, Käpt’n – die jüngsten drei Spiele mit nur einem Punkt können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eintracht Trier eine gelungene Hinserie gespielt hat.
Doch der goldene Oktober, er ist vorbei. Was nicht nur kalendarisch zutrifft, wird auch auf dem Rasen sichtbar. Zu eng ist die Personaldecke nach den anstrengenden letzten Wochen – auch bedingt durch Ausfälle wie die Tolgay Asmas oder die kurze Verletzungspause Stefan Kohlers. Gegen Borussia Mönchengladbach II sieht es lange nach einem Sieg aus, als sich in der ersten Halbzeit ein fast schon typisches Spiel entwickelt. Die Eintracht ist dominant, spielt gut – aber das Tor macht Alban Meha (7.). Der Verschleiß ist allerdings nicht zu verleugnen – zwei bittere Gegentore kurz vor dem Ende (83./90.) besiegeln die zweite Niederlage in Serie. Auch das Glück steht kein Pate mehr, als in der Nachspielzeit nur der Pfosten zwischen dem Ausgleich und dem dreifachen Punktverlust steht. Die Tabellenführung, sie ist eingebüßt – und kann im Jahr 2010 nicht mehr zurückerobert werden. Denn der Winter, er hat Einzug erhalten in den deutschen Landen und legt den Spielbetrieb des Deutschen Fußball-Bundes unterhalb der Dritten Liga in schöner Regelmäßigkeit lahm. Heimspiel gegen Verl, Heimspiel gegen Kaiserslautern – zwei Partien, die eigentlich noch hätten absolviert werden sollen, finden nun erst 2011 statt.
Dass doch noch eine Partie angepfiffen wird, liegt vor allem daran, dass die Eintracht schon einen Tag früher zum Auswärtsspiel nach Köln angereist war und somit für das Spiel trotz erheblichen Wintereinbruchs im Laufe des Tages zur Verfügung stand. Das Schiedsrichtergespann, es war der Meinung, dass trotz Schneetreiben und fast geschlossener Schneedecke im Franz-Kremer-Stadion zu Köln gespielt werden könne – was auf Seiten der Eintracht bis zur Pause auch hervorragend gelang, gerade wegen eines Kölner Platzverweises, aber trotz eines verschossenen Strafstosses durch Lukas Mössner. 2:0 zum Pausentee (Zittlau, Mössner) – doch die Anzeichen der letzten Wochen, sie sind auch im Schneetreiben zu Köln hinlänglich sichtbar: Wiederanpfiff, Gegentreffer, 1:2. Zu allem Überfluss eine unverständliche Rote Karte gegen Mössner, direkt im Gegenzug 2:2 (55.) – der Endstand. Preußen Münster verliert parallel sein Nachholspiel gegen Mönchengladbach mit 0:1 – die erste Niederlage der Fascher-Elf seit Wochen – und kann sich somit nicht weiter entscheidend absetzen. Nur vier Punkte liegt die Eintracht hinter dem Aufstiegsfavoriten, fünf hinter Spitzenreiter Mönchengladbach – bei allerdings zwei Partien weniger im Vergleich mit den kleinen Fohlen.
Die jüngsten drei Partien beschwören fast selbstredend wieder einmal den Wankelmut Einiger und bringt die immer selben Phrasen auf das Tapet, welches in dieser Saison durchaus ein schönes Zimmer schmücken könnte: „Drei Spiele in Serie nicht gewonnen, die Luft ist raus – jetzt geht es runter.“ Eben jenen sei an dieser Stelle zweierlei gesagt. Erstens: Fußball ist ein klassisches Spiegelbild der Gesellschaft, des Lebens und des Leidens. Keine Vita, kein Lebenslauf, keine persönliche Entwicklung verläuft linear – überall gibt es Rückschritte (Niederlagen), gefolgt von Fortschritten (Siege), gefolgt von Selbstzweifeln („Wo steht die Eintracht wirklich?“) und selbst in den Weg gelegten Steinen (die verflixte erste Viertelstunde nach der Halbzeit). Das ist auch im Fußball so, erst Recht bei Eintracht Trier. Zweitens: Eintracht Trier ist vierter. Und zwar in der Regionalliga. Einer Liga, der sie eigentlich gar nicht angehören dürften, wäre am 9. Juni nicht Gegenteiliges entschieden worden. Dennoch. Eintracht Trier hat in diesem zweiten Halbjahr 2010 einiges an Vertrauen und „Liebe“ seiner treuen Anhängerschaft zurückgeschenkt – und steht vor einer vielleicht entscheidenden Rückrunde im ersten Halbjahr 2011. Der Verein hat eine riesengroße Chance, die vielleicht in den nächsten Jahren „dank“ der neuerlichen Reform der Regionalliga nur noch schwer zu erreichen sein wird – die Rückkehr in den Profifußball, in das Licht des deutschen Fußballs. Hierfür muss der Vorstand, muss der Verein, das gesamte Umfeld, allerdings in der verbleibenden Zeit vor dem Rückrundenbeginn die richtigen Weichen stellen. Finanziell (Sponsoren?), sportlich (Neuzugänge, wie unter anderem der Vertragsabschluss mit Farudin Kuduzovic für die Offensive beweist) – aber auch mental. Die Eintracht, sie ist nicht so schlecht, wie sie von vielen (noch) gesehen wird. Das Jahr 2010, es hat Nerven gekostet – aber auch sehr viel gegeben. Was war, was im negativen Sinne geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern – aber die Zukunft, sie lässt sich positiv beeinflussen. Zusammen. In Eintracht.
Nichts ist Unmöglich. Packen wir’s an!
Sievo meint
Triererjung,
du hast natürlich recht, wenn du sagst, dass diese Mannschaft gut genug ist, um aufzusteigen. Aber die ersten Elf werden nicht die ganze Rückrunde durchspielen (Verletzungen, Krankheiten, Sperren). Deshalb brauchen wir noch zwei Spieler.
Und wenn wir dieses Jahr nicht aufsteigen, dann greifen wir, wie du sagst, selbstverständlich wieder an, aber aufsteigen werden wir dann nicht mehr.
Triererjung meint
Wenn wir dieses Jahr nicht aufsteigen, dann greifen wir nächstes Jahr wieder an. Die Spieler werden ausser Meha bleiben. Und selbst für Meha gibt es keine Angebote momentan. Ich persönlich glaube auch nicht das man noch Spieler holen muss. Die Mannschaft ist gut genug zum aufsteigen. Jetzt liegt es an der psychologie und am Glück.
Sievo meint
Wie treffend in diesem Artikel beschrieben, steht die Eintracht in dieser Hinrunde vor einer entscheidenden Rückrunde, vielleicht aber auch der größten Herausforderung ihrer Vereinsgeschichte.
Die große Chance zum Aufstieg wird sicherlich nach dieser Saison ein zweites Mal nicht mehr gegeben sein.
Steigen wir nicht auf, verlassen die überragenden Spieler (ohne oder mit noch gültigem Vertrag) den Verein, was ihnen sicherlich nicht zu verübeln ist. Steigen wir auf, so werden sie sicherlich bleiben.
Die richtigen Weichen hierfür können jedoch weder Trainer und Spieler noch die Fans stellen. Verantwortlich für die weitere Zukunft unserer Eintracht ist einzig und allein die Vorstandschaft.
Werden noch zwei überragende Spieler (flankender Außenstürmer und ein konsequenter Defensivspieler, der im Gegensatz zu einigen unserer Spieler noch gelernt hat, was knallharte Manndeckung bedeutet) geholt dann steigen wir auf.
Werden diese zwei Spieler nicht geholt, dann steigen wir mit absoluter Sicherheit nicht auf.
Nun wird sich zeigen, ob diese in der Vergangenheit so oft gescholtene Vortandschaft zu Recht oder zu Unrecht kritisiert wurde.