„Fußball ist ein Spiel von 22 Leuten, die rumlaufen, und am Ende gewinnt immer Deutschland“, sagte Gary Lineker einst. Doch der ehemalige englische Nationalspieler irrte sich. Fußball ist kein Spiel von nur 22 Männern. Auch hinter den Kulissen ziehen viele Leute Fäden, damit Fußball erst Menschen auf der ganzen Welt begeistert. 5vier.de will diese Helfer in regelmäßigen Abständen bei ihrer Arbeit begleiten. Mit Martin Köbler, dem Stadionsprecher von Eintracht Trier, unterhielten wir uns beim 0:0 gegen Essen über quadratzentimetergroße Kabinen und Tor-Durchsagen auf der Konsole.
Es ist ein kühler Herbsttag mit einem strahlend blauen Himmel. Die Musik von Jupiter Jones klingt an diesem Samstag im Moselstadion gerade ab, das Lied „Stille“ der Pop-Band aus der Eifel ertönt noch melancholisch durch die Lautsprecher. Dann ist es mit der Stille vorbei. Um 13.37 Uhr steht Martin Köbler auf der Tartanbahn vor den Trainerbänken und greift zum Mikrofon. „Uns erwartet ein echter Leckerbissen“, begrüßt der 26-Jährige die Zuschauer. Seine Stimme ertönt durch die Blöcke, wo Fans Currywurst essen, Bier trinken und im Stadionheft blättern. Für den Stadionsprecher von Eintracht Trier beginnen die Arbeitstage immer mit einer langen Fahrt. Der Steuerfachwirt wohnt in Klotten bei Cochem, über 90 Kilometer reist er immer mit seinem Bruder Markus an, „alleine vom Ende der Autobahn bis ins Stadion haben wir 15 Minuten gebraucht“, stöhnt er vor diesem Heimspiel gegen Rot-Weiss Essen.
Doch wenn Köbler unten im Stadion steht, „auf diesem heiligen Rasen“, wie er mit strahlenden Augen sagt, dann sind alle Anstrengungen ganz schnell vergessen. Läuft Musik durch die Boxen, nutzt er die Pause, um die Atmosphäre aufzusaugen. Er guckt zum Fanblock von Rot-Weiss Essen, wo Fahnen geschwenkt werden, er hört in Richtung der Eintracht-Anhänger, er beobachtet die Mannschaften beim Aufwärmen. Diese Welt dort unten im Moselstadion ist in dem Moment seine Welt, wenn alles singt, wenn die Anspannung vor dem Spiel wächst, die Ränge sich füllen. Wenn die Fans nicht wissen, ob sie am Ende des Tages ein spektakuläres 3:0 feiern, ein langweiliges 0:0 erleben oder ein ernüchterndes 0:3 ihnen das ganze Wochenende verdirbt, dann beginnt der Arbeitstag von Martin Köbler. „Fußball ist ein Anker in der Region“, staunt er. „Es ist ein Wahnsinn, wie der Sport die Menschen bewegt.“ Auch ihn, den Mann aus Klotten.
„Ich kenne jeden Grashalm im Stadion“
Seit August ist Köbler Stadionsprecher bei Eintracht Trier, in der Regionalliga dürfte er mit 26 Jahren zu den jüngsten Stimmen in den Arenen gehören. Wirklich nervös ist er nach den ersten Monaten nicht mehr. Das war beim Debüt im DFB-Pokal gegen den FC St. Pauli noch anders, die 8.400 Zuschauer im Moselstadion überwältigten ihn, verschlugen ihm aber nicht die Sprache. „Als die Melodie ertönte, die mir das Startsignal für die Moderation gab, ging mir schon die Düse.“ Mittlerweile erledigt er den Job wie ein alter Hase. „Die Zuschauer gehen ja wegen des Fußballs ins Stadion, nicht wegen des Stadionsprechers“, ordnet er seine Aufgabe ganz bescheiden ein. Fußball in Trier ist für ihn auch kein Neuland, seit über zehn Jahren besucht er Spiele im Moselstadion, ist glühender Fan „Ich gehe hier ein und aus, kenne jeden Grashalm im Stadion.“
Wehmütig erinnert er an die Fans an die 0:4-Heimpleite gegen Rot-Weiss Essen im Jahr 2009 und muntert die Spieler auf. „Das kriegen wir heute besser hin, davon bin ich überzeugt.“ Dabei hält er seine Aufzeichnungen in der Hand wie Günther Jauch seine Moderationskarten, aber er blinzelt nur rein, wenn es zum nächsten Programmpunkt geht, die schriftliche Anleitung dient als Kompass. „Den Text schreibe ich mir vor wie einen Aufsatz und probe in den Tagen vor dem Spiel, wann ich die Stimme heben muss.“
Einheizer und Seelenklempner
Um 13.42 Uhr erinnert der Stadionsprecher an die traurige Pokal-Nacht gegen den Hamburger SV. Das 1:2 nach Verlängerung sorgte gegen Essen auch mit vier Tagen Verspätung noch für enttäuschte Gesichter. Köbler nutzt die Nähe zu den Spielern, um ihnen Mut zu machen. Er schnappt sich Ahmet Kulabas. „Die Niederlage müsst ihr aus den Köpfen rauskriegen, in Deutschland habt ihr viele Sympathien bekommen für ihre Leistung“, tröstet er den Stürmer, der sich lächelnd bedankt. „Fliegen wir in der nächsten Runde 0:9 gegen Bayern raus, beflügelt das auch nicht für die Liga“, hat Köbler eher den Aufstieg im Visier. Wobei die 120 Minuten vor 10.300 Zuschauern auch beim Stadionsprecher Spuren hinterlassen haben. „Das war für mich das absolute Highlight. Da konnte ich super mit den Fans interagieren.“
Das macht er auch zehn Minuten vor dem Anpfiff gegen Essen. Köbler schreitet mit großen Schritten in Richtung des Ultra-Blocks und brüllt „Eintracht“ ins Mikrofon. „Trier“, antworten die Fans. Mehrfach wiederholt sich der Wechselgesang zwischen Publikum und Stadionsprecher, dem leidenschaftlichen Anheizer und einfühlsamen Seelenklempner. Wenig später laufen die Mannschaften zu „Hells Bells“ von AC/DC ein, Köbler ordnet seine Brille auf der Nase und lächelt erleichtert. Sein Programm ist geglückt, nun sind die Spieler gefragt. „Es ist schön, wenn alles so gut geklappt hat.“
„Tor durch Mehmet Schooooollllll…“
Danach klettert er über die Haupttribüne in seine Sprecherkabine. Es ist kleiner Raum mit vielleicht acht Quadratmetern, in der Ecke steht ein kleiner Heizkörper, durch den es bullig warm ist. Köbler öffnet die Tür, damit es etwas frischer ist. Mit ihm sitzen Jürgen Wollmann und Horst Bolitor in der Kabine. Der Stadionsprecher zieht sein Sweatshirt aus, unter dem er ein weißes Eintracht-Trikot trägt. Vor ihm liegt eine kleine Uhr mit der sekundengenauen Spielzeit und das Mikro. „Hier hat jeder seinen Quadratzentimeter für sich“, scherzt der 26-Jährige, der nicht klagt. „Es ist klein, aber gemütlich hier.“
Die 90 Minuten guckt Köbler stehend, während seine Kollegen sitzen. „Aus Aberglaube“, meint er. Nach dem 0:3 gegen Mainz II und der dritten Heimpleite in Folge musste er was ändern. Seitdem ist die Kabine für ihn ein Stehplatz, seitdem gab es keine Niederlage mehr in der Liga. War Stadionsprecher schon immer sein Traum? Köbler überlegt. „Als Kind habe ich oft an der Konsole FIFA gespielt, da habe ich nach Toren schon Ansagen gemacht“, grinst er und hebt die Stimme an. „7. Minute, 1:0 für den FC Bayern, Torschütze ist Mehmet Schoooolll.“ Das sorgte für gelegentliche Verzweiflung in Klotten. „Irgendwann dachten meine Eltern, ich hätte einen an der Waffel.“ Die kindlichen Moderationskünste halfen ihm aber, als er sich im Frühjahr für das Casting zum Stadionsprecher bewarb. Der Eintracht-Fan überzeugte die Jury. Wo Wimbledon das Wohnzimmer von Boris Becker war, ist es die kleine Sprecherkabine im Moselstadion nun für Martin Köbler.
„Ich bin das Sprachrohr, wenn was passiert“
Im Heimspiel gegen Rot-Weiss Essen vermissen die meisten Fans nach geraumer Zeit aber eher ein Schlafzimmer. Auch für Köbler ist es ein ruhiger Tag. Während der 90 Minuten hat er die Aufgabe, bei Vergehen einzuschreiten. „Da bin ich das Sprachrohr des Vereins, auf das sich Polizei und Sicherheitsdienst verlassen müssen.“ Vom DFB liegt eine Liste auf seinem Tisch mit Musterantworten, was bei bestimmten Fällen von Vergehen durchgesagt werden sollte. Köbler verlässt sich lieber auf seine Eingebung. „Bislang habe ich immer den richtigen Ton getroffen.“ Das ändert sich auch gegen Essen nicht. Nach 17 Minuten ermahnt er die RWE-Fans, weil ein Böller im Block hochgegangen ist, in der zweiten Halbzeit wird ein bengalisches Feuer gezündet.
In der Halbzeit moderiert er den Superschuss. Dabei tröstet er den letzten Schützen, der vor seinem Versuch ausrutscht. „Das Lachen von 1000 Zuschauern ist doch mehr wert als 150 Euro aus dem Jackpot.“ Danach wartet er vergeblich auf Spannung auf dem Rasen und auf Tore. Vielleicht ist das aber auch gut so. „Ich habe mal den Geromel vom 1. FC Köln falsch ausgesprochen“, erzählt Horst Bolitor. „Danach haben mich die Kollegen auf der Arbeit tagelang geärgert.“ Die Sprecher in der Kabine lachen. Mit Aussprachelisten versuchen sie, Lästereien am Arbeitsplatz und lachende Fans im Stadion zu vermeiden, verrät Köbler.
Namen muss er an diesem Tag nicht mehr aussprechen. Um 15.48 Uhr verabschiedet er die Fans, isst danach im VIP-Zelt noch Kartoffelgratin. Danach geht es zurück nach Klotten, 90 Kilometer, mit etwas Wehmut, keinen Torschützen gefeiert zu haben. Etwas fehlt an diesem Tag. Aber schon bald darf der Stadionsprecher gegen Wuppertal wieder den heiligen Rasen betreten. Mit Stille wird es dann wieder vorbei sein.
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