Fast eine halbe Millionen Menschen machten sich im ersten Halbjahr 2010 selbstständig und begegneten dabei allerlei Problemen. Der selbstständige 5vier-Reporter Lars Eggers sprach – aus Zeitgründen – mit sich selbst.
Trier. Es ist 23:30, Samstagabend. Die Wohnung könnte wirklich ein Stück ordentlicher sein. Das Büro ist überladen mit Papieren, Kameras und Aktenordnern. Es dominiert der Computer. Lars Eggers ist selbstständig und arbeitet weitesgehend von zu Hause aus. Weil er wieder mal vor Deadlines kaum geradeaus schauen kann, entschließt er sich für diesen Artikel zu einem spontanen Anfall von Persönlichkeitsspaltung und interviewt sich selbst. Er hat schon Seltsameres für seinen Job getan.
Eggers für 5vier: Hallo Herr Eggers. Schön, dass Sie Zeit für sich haben.
Eggers (lacht): Ja, das kommt ja auch selten genug vor.
Eggers für 5vier: Sie haben sich dazu entschlossen, einen klinischen Zustand einem normalen Interview mit einer anderen Person vorzuziehen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Eggers: Aus Zeitgründen. Die Zeitplanung meines Jobs bestimmt einen Großteil meines Lebens und ich hatte einfach keinen Termin mehr frei – außer heute Abend. Und ich bezweifele, dass sich jemand anderes um diese Zeit freiwillig mit mir unterhalten hätte.
Eggers für 5vier: Sie sind als Texter, Übersetzer, Videofilmer und Journalist seit Beginn letzten Jahres selbstständig. Wie sind Sie auf die Idee gekommen sich selbstständig zu machen?
Eggers: Ganz richtig ist das, was Sie sagen nicht – erstaunlicherweise. Eigentlich bin ich schon seit 2008 selbstständig – aber dazu gleich mehr. Ich habe zuvor in einer Werbeagentur als Texter gearbeitet und bin dort aus internen Gründen ausgestiegen. Die Arbeit an sich hat mir viel Spaß gemacht und ich wollte dabei bleiben, aber der Arbeitsmarkt sah Ende 2008 für Vollzeittexter nicht so rosig aus. Als ich dann über einen Kunden stolperte, der mir anbot, dass ich als Freier für ihn arbeiten könne, begann die Idee der Selbstständigkeit in mir zu keimen. Ich habe alles dann aus der Hartz IV-Unterstützung heraus vorbereitet und stehe seit Januar 2009 auf eigenen Beinen. Im Nachhinein gesehen eigentlich ein ziemlich idiotischer Einfall.
Eggers für 5vier: Warum das?
Eggers: Nun, die Wirtschaftskrise hatte Ende 2008 noch nicht so richtig an Fahrt gewonnen, aber absehbar war es schon. Auch meine persönliche Situation war nicht ideal. Ich hatte keine Rücklagen und startete im wahrsten Sinne des Wortes mit gar nichts.
Eggers für 5vier: Haben Sie denn keine Unterstützung erhalten?
Eggers: Die ARGE hat mich zur Beratung in die Handwerkskammer geschickt und dort auch einen Kurs für Existenzgründer finanziert. Das war eine große Hilfe. Ich konnte in der HWK meine Idee und wie ich mir das Ganze vorgestellt habe präsentieren. Der Berater dort hat mir dann den Kopf zurechtgerückt und begonnen ein richtiges Geschäftskonzept mit mir auszuarbeiten. Ohne die Beratung und den Existenzgründerkurs wäre ich wohl ziemlich hinüber gewesen.
Eggers für 5vier: Wie sieht es mit finanzieller Zuwendung aus?
Eggers (lacht humorlos): Ich habe keinen Cent von niemandem bekommen. Sämtliche Institutionen lehnten eine Anfrage auf Existenzgründungsunterstützung ab. Die Antworten waren unterschiedlich freundlich, liefen aber im Prinzip auf „Da könnte ja jeder kommen!“ hinaus. Vor einer erfolgreichen Jahresbilanz in der Selbstständigkeit bräuchte ich nicht wiederkommen, hieß es. Seitdem kämpfe ich dafür, dass der „Existenzgründungszuschuss“ in „Existenz-bereits-gegründet-Zuschuss“ umbenannt wird. Bis dato habe ich auf meine diesbezüglichen Anfragen allerdings keine Antwort erhalten.
Eggers für 5vier: Jedes Jahr machen sich Tausende von Menschen selbstständig. Die aktuellen Zahlen sprechen von 453.000 allein im ersten Halbjahr 2010. Fast dreißig Prozent der Selbstständigen scheitert im ersten Jahr. Was glauben Sie woran das liegt?
Eggers: Man kann sich kaum ausmalen, was da auf einen zukommt. Zum Ersten glaube ich daran, dass viele vollkommen unvorbereitet und mit völlig falschen Vorstellungen in eine solche Sache reingehen. Es regnet kein Geld und halbnackte Models für Selbstständige. Ich habe während meiner Arbeit öfter mit jungen Unternehmern zu tun und bemerke immer wieder, wie verzogen da häufig die Wahrnehmung ist und wie sehr es da an konkretem Geschäftkonzepten fehlt. In diesem Sinne ein Aufruf: „Ich mach dann mal Internet un‘ Handy.“ ist kein Geschäftskonzept!
Eggers für 5vier: Mangelt es immer nur an der Planung?
Eggers: Natürlich nicht. Sehr viele Einsteiger sind gut vorbereitet, aber der Belastung einfach nicht gewachsen. Allein die Kosten für Versicherung und Steuern, die da auf einen zukommen! Von solchen Sachen, wie privater Altersvorsorge und Kosten für Steuerberater und Co will ich gar nicht anfangen. Gerade wenn man ohne Kapital beginnt, kann jedes Schreiben von der Krankenkasse zur Existenzbedrohung werden. 2009 war das härteste Jahr meines Lebens und ich habe glaube ich so ziemlich alle Formen von Existenzangst durchlaufen – von brütender Lethargie, bis hin zum „Es hat doch alles keinen Sinn!“ schreien und Ordner an die Wand werfen.
Eggers für 5vier: Das klingt ja ziemlich harsch. Gibt es noch mehr Dinge, auf die man sich vorbereiten sollte?
Eggers: Ja. Gerade am Anfang kann man sich von so was wie Freizeit und Urlaub eigentlich vollständig verabschieden – zumindest war das in meinem Falle so. Man ist selbstständig: Das heißt man arbeitet selbst und ständig.
Eggers für 5vier: Warum machen Sie das dann überhaupt?
Eggers: Weil es Spaß macht. Ich weiß, das klingt nach allem, was ich gerade gesagt habe kaum zu glauben, aber allein das Maß an Selbstverwirklichung, das man erfährt, wenn man sein Geschäft auf die Beine stellt, ist den ganzen Ärger wert. Ich bin mein eigener Herr und erlebe jeden Tag die tollsten Sachen im Job. Ob ich nun Werbung für guten Whisky mache, Fußballreportagen drehe, oder meine Persönlichkeit spalte und mit mir selbst rede – jeder Tag bringt neue Herausforderungen und das mag ich.
Eggers für 5vier: Man muss also lieben, was man tut?
Eggers: Ja, ganz sicher. Ich würde niemandem empfehlen sich in einem Feld selbstständig zu machen, das er nicht von Herzen liebt. Auch Leute, die gerne ein geregeltes Leben führen und lieber etwas weniger arbeiten möchten sind da wohl nicht die richtigen. Aber wer die Herausforderung nicht scheut, der kann als Selbstständiger wirklich glücklich werden – mit etwas Übung.
Eggers für 5vier: Mit Übung?
Eggers: Ja, es braucht einige Zeit, bis man sieht, wie gut man es hat, wenn man der Chef ist. Ich habe lange damit gekämpft, dass die Arbeit immer da ist – mein Büro ist ja hier zu Hause. Ich habe dann einen arbeitsfreien Raum erschaffen. In mein Wohnzimmer kommt keine Akte, da gibt’s nur Feierabend.
Ich mag auch, dass ich für alle meine Fehler gerade stehen muss. Wenn jetzt was danebengeht, dann kann ich das nicht auf meinen Chef, oder die unfähigen Kollegen schieben. Das hat mich nicht nur zu einem besseren Texter und Journalisten, sondern ich glaube auch zu einem besseren Menschen gemacht. Eine solche Verantwortung zu haben ist etwas, an dem man wächst – und auf das man, wenn denn alles klappt, man auch getrost verflucht stolz sein darf. Aber das so zu sehen braucht eben ein bißchen Übung.
Eggers für 5vier: Was darf man denn vom selbstständigen Lars Eggers in der Zukunft erwarten?
Eggers: Ich würde gern die Zeit finden ein Buch zu schreiben. Auch möchte ich meine journalistischen und filmischen Tätigkeiten weiter ausbauen. Wer weiß? Vielleicht biete ich ja auch Beratungskurse für Selbstständige an.
Eggers für 5vier: Herr Eggers, ich danke für das Gespräch.
Eggers: Ja, ich auch. Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss meinem Mitbewohner erklären, mit wem ich die ganze Zeit gesprochen habe – und dann schreibe ich noch ein paar Anzeigen fertig.
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KingoftheRing meint
geil! mehr davon!
Lars meint
@john doe: Damit war natürlich gemeint, dass ich als freier Texter arbeiten könne, nicht als freier „Freier“ – ganz so käuflich bin ich dann ja doch nicht… 😉
Kaiser meint
Bitte ab und an davon eine weitere Dosis an die 5vier-Leser verabreichen! 🙂
john doe meint
Saugeiles Interview! Und eine brilliante Idee. Weiter so.
Frage: Was meinst du damit „ich habe als Freier für ihn gearbeitet“? 🙂
A. Bauer meint
Das ist echt mal ein cooles Interview…Kompliment, Herr Eggers! 🙂
Sabs meint
Leider nur zu wahr… ich habe heute auch noch ein oder zwei Stunden vor mir. LG Sabine
Claas meint
Sehr genialer Artikel! Muss mich meinem Vorredner anschließen!
Benni meint
Bravouröser Artikel! Gekonnter Balanceakt zwischen Satire und Wirklichkeit! Freue mich auf weitere zwiegespaltene Interviews und Einblicke…