Eine schrecklich nette Familie, diesen Ausdruck kennt jeder aus dem Fernsehen. Lassen wir das ’nett‘ weg und schon haben wir die Version für’s Theater erschaffen. Tracy Letts‘ „Eine Familie“ feierte am 15. Mai Premiere im Theater Trier. 5vier.de-Redakteurin Stefanie Braun war dabei.
Schrecklich. Furchtbar schrecklich. Furchtbar schrecklich gut. Furchtbar schrecklich sehr gut! Das sind eigentlich die Worte mit denen man die neue Inszenierung im Großen Haus des Theaters am besten beschreiben kann. Denn zwar ist Tracy Letts Stück „Eine Familie“ als Komödie bezeichnet, doch hier zeigt sich wie nah Komödie und Tragödie eigentlich beieinander liegen.
Beverly Weston (Hans-Peter Leu) ist das männliche Oberhaupt seiner Familie, also von seiner Ehefrau Violet Weston sowie den drei Töchter Barbara, Ivy und Karen. Er trinkt, dafür nimmt seine Frau Tabletten, ein Abkommen zwischen den beiden, das für ihn völlig in Ordnung ist. Bis er verschwindet. Um sich umzubringen, wie sich nachher herausstellt. Nach seinem Verschwinden rückt die komplette Sippschaft an um seine zurückgelassene Frau, die zudem unter Mundhöhlenkrebs leidet, zu unterstützen und ihr in dieser schweren Zeit beizustehen. Ein schwieriges Unterfangen, denn in dieser Familie herrscht ein rauher Ton, noch rauhere Umgangsformen und zahllose düstere, zerstörerische Geheimnisse. Ein Cocktail, der so manchen Zuschauer hart schlucken lässt.
Doch nicht allein die Story, die zwischen Witz, niederschmetternden Brüchen und Abgründen schwebt, macht hier das Besondere aus. Es ist vor allem die überragende Leistung der Darsteller, die einem den Atem raubt. Allen voran eine grandiose Diana Körner, die vielen noch aus dem Fernsehen bekannt sein sollte. Sie spielt die bittere, bissige, schreiende, tyrannisierende Mutter Violet so fantastisch, echt und packend, dass es zurecht minutenlange, stehende Ovationen für sie gab. Selten machte die alleinige, dauerhafte Präsenz einer Figur soviel aus, selten wirkt eine reglose Pose so krass und selten wird man von den Aufs und Abs einer Figur so mitgerissen. Sie schreit, sie verletzt, sie torkelt und liegt weinend am Boden, sie ist verletztlich und gleichzeitig stolz, ist grausam und wieder unsicher.
Besonders im Umgang mit ihren Töchtern, die selbst genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen haben. Die eine führt eine Beziehung mit dem ungeliebten Cousin, die andere meint ihr Glück in einem Mann gefunden zu haben, der ein Auge auf ihre 14-jährige Nichte wirft, die dritte im Bunde muss sich damit abfinden, dass ihr Mann eine jüngere liebt und auch ihre Tochter ihr entgleitet. Kerstin Thielemann, die die Barbara spielt, liefert sich ein gnadenloses Gefecht mit Mutter Violet und ist neben Diana Körner der zweite Star des Abends.
Doch auch die hausinternen Schauspielerinnen Vanessa Daun (Karen) und Barbara Ullmann (Ivy) verstehen es ihren Figuren Leben einzuhauchen und komplementieren diesen weiblichen Reigen der Gemeinheiten. Doch die Leistungen der anderen Schauspieler sind nicht weniger zu loben, da hätten wir beispielsweise eine lieblose, gemeine Tante Mattie Fae, gespielt von Angelika Schmid, die nichts als Enttäuschung für ihren Sohn Little Charles (dargestellt von Jan Brunhoeber) empfinden kann. Einen Peter Singer, der immer zwischen den Fronten zu stehen scheint oder einen Michael Ophelders, der fair bleiben will, selbst wenn die Welt um ihn herum zusammenbricht. Einzig Helge Gutbrod als Indianerin Johnna Monevata bleibt der ruhende Pol inmitten des Chaos und schafft so eine ganz eigene Figur. Kurzum, die Schauspieler bringen hier eine Leistung – und diese kann sich sehen lassen.
Regisseur Alexander May hat eine Inszenierung geschaffen, die unter die Haut geht, vor allem auch deshalb, weil Witzigkeit, niederschmetternde Wahrheiten und Tragik so dicht beieinander liegen, dass einem das Lachen im nächsten Moment im Halse stecken bleiben kann. Zusammen mit Licht und Bühnenbild, gestaltet von Susanne Weibler, gelingt es ihm immer wieder neue Räume aufzumachen und doch eine Simultanität zu schaffen. So wird eine private Unterhaltung zwischen zwei Figuren möglich, obwohl alle anderen hinter ihnen sitzen. Die Kostüme von Carola Vollath passen hervorragend zu den einzelnen Figuren und Situationen, sodass sie einem als solche gar nicht mehr auffallen.
Summa summarum: Harter Tobak. Eine außergewöhnliche Inszenierung, mit hervorragenden Schauspielern und einer Geschichte, die zwar kein menschliches Drama auslässt, dabei aber nie in die Klischee-Schublade abrutscht, Mittelpunkt und Highlight des Abends dabei ganz klar Diana Körner. „Eine Familie“ erfordert starke Nerven, belohnt aber dafür mit seltenem Theater-Vergnügen und der genugtuenden Erkenntnis, dass die eigene Familie, dann doch nicht so schlimm sein kann.
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