Einigen Zuschauern von gestern Abend wird der Fall Jürgen Bartsch noch bekannt gewesen sein. Am Donnerstag, 17. November, hatte das Stück, das auf Bartschs eigenen Worten basiert, Premiere: „Bartsch, Kindermörder“.
Aus Interviews und Briefen aus Jürgen Bartschs Gefängniszeit stellte Oliver Reese ein Stück zusammen, dass Einblick gibt in Bartschs Kindheit und Jugend. Als Säugling wurde er nach der Geburt von seiner Mutter verlassen, ein Jahr lag er auf der Säuglingsstation, bis er schließlich vom Metzger-Ehepaar Bartsch adoptiert wurde. Die Ehe der Eltern am Ende, die Eltern selbst extrem gefühlskalt, im schlimmsten Fall gewalttätig, das Familienleben ein psychologischer Drahtseilakt. Dann der Aufenthalt in Marienhausen, einem von Geistlichen geführten Jungen-Internat, selbst damals schon verrufen. Die ersten sexuellen Übergriffe des Pfarrers, der erste Versuch, einen Klassenkameraden unter den Zug zu stoßen.
Das in der Jugend und Kindheit eines Mannes, der vier Jungen auf bestialische Weise umgebracht hat, irgendetwas falsch gelaufen sein muss, konnte man sich ja schon denken. Doch erschreckend bleibt es trotzdem. Besonders die Denkweise Bartschs wird während des Stückes Schritt für Schritt aufdeckt. Es ist die Denkweise eines Mörders, der anfangs selbst ganz überrascht über seine Taten ist, als er mit 14 seinen 10-jährigen Freund aus der Nachbarschaft in einem Wald den blanken Hintern versohlt bis er selbst nicht mehr zuschlagen kann. Vor lauter Schrecken braucht er erst einmal Ruhe, doch bei dieser Ruhe bleibt es nicht. Mit 15 begeht er seinen ersten Mord – weitere folgen. Mit 19 wird er verhaftet, er kommt ins Gefängnis und stirbt während seiner Inhaftierung schließlich an den Folgen ärztlicher Fahrlässigkeit nach einem selbstgewünschten Kastrationseingriff.
Theater im Justizgebäude
In passender Kulisse, nämlich dem Landgericht Trier, brachte Regisseurin Britta Benedetti zusammen mit ihrem Hauptdarsteller Jan Brunhoeber den Monolog auf die Bühne (5vier.de-Interview). Das Publikum saß auf den Plätzen, die sonst von den Zuschauern eines Prozesses besetzt werden. Im Rahmen der außergewöhnlichen Spielstätten haben wir es hier mit einer besonders außergewöhnlichen, weil besonders passenden Spielstätte zu tun.
Jan Brunhoeber betritt als Angeklagter Jürgen Bartsch den Raum durch ein Nebenzimmer, das in die Zellen hinab führt. Er sitzt auf einem harten Holzstuhl, seine Hände sind stets eng beieinander. Keine Handschellen, aber trotzdem nicht frei. Seine Haare sind zurück gegelt, ordentlich, wie von Mama gemacht, seine Kleidung ist die eines braven Oberschülers (eine sehr feinfühlige Leistung von Kostümassistentin Yvonne Wallitzer), die Stimme ist weich, die Haltung ordentlich, aber etwas in sich gesenkt. Alles in allem ein harmloses Bild. Bis er davon erzählt wie er einem 8-Jährigen den Bauch aufgeschlitzt hat.
Jan Brunhoeber ist als Bartsch vor allen Dingen eines: harmlos. Während man sich unter einem Kindermörder einen eiskalten Psychopathen mit der Aura des Bösen vorstellt, ist Brunhoebers Bartsch der nette Kerl von nebenan, der als Kind immer der Kleinste und Schwächste war und der deswegen stets verprügelt wurde. Der Typ, dem man sein kleines Kind zum Babysitten vorbeibringen würde. Ein Bild, das einen zum Nachdenken bringt. So soll es auch sein; zeigt dies doch, dass schlechte Menschen nicht an der obligatorischen Augenklappe zu erkennen sind.
Brunhoebers Spiel bringt einen zum Grübeln, im positiven Sinne, hier kann er sein schauspielerisches Können offen darlegen. Mal etwas weinerlich, dann wieder unbeteiligt bei dem Schmerz anderer. Mal wütend und dann wieder versunken in seiner eigenen Welt. Er ist weich und irgendwie zart, dann wieder der mitleidlose Mörder. Eine Kombination, die irritiert, aber passt.
Intelligente Inszenierung
Ebenso passend ist die Inszenierung der Jungregisseurin Britta Benedetti. Auf kleinem Raum und mit nur wenigen Mitteln kann sie viel bewegen, Bartsch wandert von Angeklagtenstuhl zum Richter und sogar bis zum Publikum. Keine weiten Wege, keine unnötigen Gänge, alles bleibt nah. So kann er sein grausiges Potential entfalten und zwischendurch ein paar kleine Zaubertricks vollführen. Ein gelungener Coup, der auflockert, aber gleichzeitig tiefer in die Psyche des Täters führt.
Zwischenzeitlich kommt man sich als Zuschauer vor wie das Kind, dass das Bonbon von einem Fremden angeboten bekommt. Eine intelligente Inszenierung. Leider könnte es manches Mal etwas mehr Tempo vertragen, die bedeutungsvollen Pausen sind teilweise zu lang geraten, besonders in dem Teil des Stückes, der sich mit der schulischen Laufbahn beschäftigt. Dafür wird das Tempo gegen Ende wieder angezogen, was den Schluss eindrucksvoll macht.
Insgesamt kann sich die zweite Inszenierung von Benedetti in Trier sehen lassen. Was auch das Publikum fand, deren Erwartungen an das Stück mehr als erfüllt wurden. Durchweg wurde begrüßt, dass man auch mal unverdaulichere Kost bekommt – als Zuschauer dürfe man auch nicht immer „weichgespült“ werden, hieß es. Schließlich gäbe es solche Menschen und man müsse sich mit dem Thema befassen, die Frage aber „was man nun mache“ mit solchen Menschen musste jeder für sich beantworten.
Claudia Stephen meint
Ich habe vor langen Jahren eine Dokumentation über Bartsch gesehen. Dort wurden Tonaufnahmen seiner Geständnisse eingearbeitet. Was mir vor allem das Blut in den Adern gefrieren ließ, war die Tatsache, dass er diese schrecklichen Taten mit einer unglaublichen Kälte, Distanz und dem Fehlen jeglicher Empathie auf dieses Band sprach. Daher bin ich sehr gespannt auf diese Inszenierung!