In den letzten Jahren wirkte die Konzert-Szene in und um Trier oft ein wenig verschlafen, war die Mosel-Metropole in den 90ern und frühen 2000ern doch immer wieder fester Fix-Punkt in den großen Tour-Kalendern internationaler Stars. Seit einigen Jahren ist Besserung in Sicht, wozu das bereits zum dritten Mal stattfindende „Porta Hoch 3-Open Air“ maßgeblich mit beiträgt. Dieses Jahr gab es mit „Fury In The Slaughterhouse“ und „Jennifer Rostock“ gleich zwei große Highlights. Wir waren bei den frechen Berlinern mit der provokanten Front-Frau am Start…
Trier. Viele junge deutsche Nachwuchs-Stars überschwemmen die nationalen Charts geradezu mit vermeintlich tiefsinnigen Texten (wir berichteten: „Mit 5 Schimpansen in den Pop-Himmel“), aber nur wenige zeigen klare Kante und beziehen deutlich Stellung. Die Band, die an diesem Abend die geschichtsträchtige Location vor der Porta Nigra angeführt von einer beinahe einschüchternden Femme Fatale betritt, singt selten von „Menschen, Leben, Tanzen und Welt“ und machen seit Beginn ihrer Karriere den Mund auf gegen Rechts, gegen die AfD, gegen Homophobie. Auch „Radio Havanna“, die den Abend eröffnen, steigen mit deutlichen Ansagen gegen Rechts mit der gleichen Attitüde ein und heizen das Publikum mit tollem Gesang und donnernder Performance an. Wenig später ist es Zeit für den Haupt-Act des Abends…
Heute ist es nicht nur die musikalische Darbietung, die bei den rund 2000 Zuschauern hängen bleibt, sondern auch die beinahe epischen Bilder einer Frontfrau, die sich mit einer Regenbogen-Fahne schwingend vor der pechschwarzen Porta Nigra räkelt, während die Lichtbatterien aus dem Bühnenhintergrund der Sonne Konkurrenz machen. Die Präsentation, die Parolen für mehr Toleranz und die gigantische Kulisse brennen sich ein und bleiben im Gedächtnis. Somit kreieren „Jennifer Rostock“ einen schwierigen Spagat zwischen rebellischer Punkrock-Attitüde und Blockbuster-Bildsprache, die vom ersten Moment an herausragend gut funktioniert.
Um die Live-Qualität des eigenen Musik-Arsenals muss man sich bei der 5-köpfigen Kombo aber auch keine Gedanken machen. Jennifer Weist rangiert spielend zwischen gefühlvollen Momenten, breit ausgewalzten Sing-Along-Refrains und hard-rockigen Screams, die selbst Bon Scott durch Mark und Bein gefahren wären. Der Rest der Band spielt tight und ist ganz offensichtlich mit viel Spaß bei der Sache, auch der Elektronik-Einsatz der neueren Songs harmoniert gut mit den anderen Musikern. Bassist Christoph Decker ist auf der Bühne besonders aktiv und lässt es sich auch nicht nehmen, zwischendurch mal mit Bass in den Moshpit zu klettern und die feiernde Meute um sich kreisen zu lassen.
Apropos Moshpit: An der altehrwürdigen Porta geht an diesem Abend die Post ab. Die Security im Frontgraben hat sichtlich Mühe mit der feierwütigen Menge, die im Minutentakt Crowdsurfer nach vorne trägt und wirkt wenig begeistert, wenn Weist die Meute zu noch mehr Action aufpeitscht. Von „Und jetzt alle hinhocken und gleich losspringen“ bis hin zur offensichtlichen Circle-Pit-Aufforderung arbeitet die punkige Rock-Röhre das ganze 1×1 der Publikums-Animation ab. Nur als in einem Haus in der Simeonstraße eine Zuschauerin im zweiten Stock eines Wohnhauses direkt am Porta Nigra-Vorplatz feiernd auf der Fensterbank steht, bettelt Jennifer Weist sie geradezu an, doch bitte wieder rein und in Sicherheit zu klettern.
Ansonsten ist den ganzen Abend von Zurückhaltung keine Spur und das ist gut so! Manchmal setzt die Kombo vielleicht etwas zu sehr auf den „Sex sells“-Faktor ihrer knapp bekleideten Frontfrau, aber selten wirkt das im Musik-Business so wenig sexistisch wie hier. Weist ist kein inszeniertes Pop-Sternchen in knappen Kleidern, sondern eine auf der Bühne geradezu Überlebens-groß erscheinende Lichtfigur, die provozierend offen mit ihrer Sexualität umgeht. Das muss man nicht mögen, aber dieser Faktor gehört seit Beginn ihrer Karriere genauso zu „Jennifer Rostock“ wie die spektakulär raubeinige Stimme der Frontfrau.
Wenn ein sichtlich bunt durchmischtes Publikum am Ende des Abends zu tausenden die Mittelfinger gegen rechts in die Höhe fahren lässt, ist die positive Signalwirkung der Band endgültig klar. Wenn dies vor jahrtausende alter Kulisse geschieht, ist das Ergebnis umso beeindruckender! „Jennifer Rostock“ ist eine der wenigen großen deutschen Bands, die mit rotzfrecher Punk-Attitüde und eigenwilligem Stilmix klar Stellung beziehen, ohne dabei im mainstreamigen Chart-Sumpf zu versacken. Gerne mehr davon! Und gerne mehr Konzerte an der Porta Nigra, die eine der atemberaubendsten Konzert-Kulissen der Region ist! Glücklicherweise kann man sich auch noch beim kommenden Altstadtfest davon überzeugen, wo die transparente Bühnenkonstruktion wie in den Jahren zuvor noch für weitere Aha-Momente sorgen wird.
Setlist:
Baukräne
K.B.A.G.
Kopf oder Zahl
Mein Mikrofon
Irgendwas ist immer
Kaleidoskop
Irgendwo anders (akustisch)
Jenga (akustisch)
I love you, but I’ve chosen Dispo
Neider machen Leute
Feuer
Ein Schmerz und eine Kehle
Deiche
Wir waren hier
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Wir sind alle nicht von hier
Schlaflos
Es war nicht alles schlecht
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Hengstin
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