Von Florian Schlecht
Die letzte Saison der Regionalliga West ist Geschichte. 5vier blickt auf ein Jahr zurück mit einem verrückten Meisterschaftskampf, Torjägern, Zuschauern und Kuriositäten.
Die letzte Saison der Regionalliga West ist Geschichte. Bevor sich die Wege der Vereine im Südwesten und in Nordrhein-Westfalen im Sommer durch die Spielklassen-Reform in verschiedene Richtungen trennen, blickt 5vier auf ein turbulentes Jahr zurück.
972 Tore fielen in insgesamt 324 Spielen. Ein Traditionsverein wie Rot-Weiss Essen kehrte mit einem massiven Fan-Aufkommen aus den Niederungen der Insolvenz zurück. Borussia Dortmund II landete einen Höhenflug, der in die 3. Liga führte. Leidtragender waren am Ende die Sportfreunde Lotte, die sich über einen Wettskandal ärgern, durch den sie noch auf einen Aufstieg am „Grünen Tisch“ spekulieren.
Bei aller Dramatik in den höchsten Sphären der Regionalliga war der größte Verlierer des Jahres aber der sportliche Wettbewerb. Die Planung des DFB im Hinblick auf den Übergang zu den neuen Spielklassen war mehr als verkorkst. Durch die fehlenden sportlichen Absteiger blieb die Spannung im Tabellenkeller aus, was viele Fans dazu animierte, im Zweifel eher nicht in die Stadien zu gehen. Wer nicht um die Meisterschaft kämpfte, der erlebte Spiele, die von ihrer Bedeutung so fade waren wie Knäckebrot mit Leitungswasser.
Wir haben die Saison noch einmal mit ihren Höhepunkten, Enttäuschungen, Rekorden und Kuriositäten zusammengefasst.
BVB-Überflieger krönen grandiose Rückrunde
Es gibt sicherlich erfolglosere Jahre, die Borussia Dortmund in seiner Vereinsgeschichte erlebt hat. Erst wurde in der Bundesliga die erfolgreiche Verteidigung des Meistertitels gefeiert. Dann demontierte die hungrige Mannschaft von Jürgen Klopp noch Bayern München im Endspiel des DFB-Pokals mit 5:2. Und als letzte Krönung feierte die Reserve in Wuppertal den Aufstieg in die 3. Liga mit über 3.000 Fans im Rücken.
Damit knüpften die BVB-Bubis an die Erfolgsstory von Vorbildern wie Shinji Kagawa, Mats Hummels und Co. an, indem sie besonders in der Rückrunde eine einzige Gala-Show auf den Rasen zauberten. In der Hinrunde nur mit mickrigen fünf Heimpunkten meilenweit von Tabellenführer Sportfreunde Lotte entfernt, fuhr Dortmund II im Jahr 2012 ganze 52 von 57 möglichen Zählern ein.
Das Gesicht der Mannschaft war dabei häufig eine Wundertüte. Wohl kaum eine andere Regionalliga-Reserve schöpfte so reich aus dem Füllhorn der Bundesliga-Verstärkungen. Ilkay Gündogan, Patrick Owomoyela, Mohamed Zidan, Moritz Leitner und Chris Löwe spielten unter anderen auf den Amateurplätzen des Landes. Auf der anderen Seite setzte Trainer David Wagner auf viele junge Talente von morgen, darunter auch auf A-Jugend-Torjäger Marvin Ducksch.
Terrence Boyd (20 Treffer) feierte gar sein Debüt in der US-Nationalmannschaft. Mit 84 Toren stellt Dortmund II so die gefährlichste Offensive der Regionalliga. Das rettete den BVB-Bubis auch am letzten Spieltag beim 5:3-Sieg beim Wuppertaler SV den Aufstieg. Zwischenzeitlich klappten die Server der Internet-Liveticker zusammen, doch die Leitungen liefen wieder pünktlich zum letzten Eintrag der Saison. Der gratulierte Dortmund zur Meisterschaft. Und Wagner schwärmte in einer feucht-fröhlichen Pressekonferenz: „Ich bin der größte Fan dieser Mannschaft.“
Lotte beweint verpassten Aufstieg
„Die Offensive gewinnt Spiele. Die Abwehr die Meisterschaften.“ Die Floskel für das Phrasenschwein traf auf die Sportfreunde Lotte nicht zu. Die Mannschaft von Maik Walpurgis stellte mit nur 31 Gegentreffern die beste Defensive der Regionalliga, legte in der Hinrunde eine beeindruckende Serie vor, kassierte erst am 17. Spieltag die erste Niederlage mit einem 2:3 gegen Eintracht Trier.
Bitter war der Ausfall von Marcus Fischer, der mit seiner Torgefahr (14 Treffer) so oft den Unterschied machte. Alekandar Kotuljac fügte sich als Winter-Neuzugang vom VfL Osnabrück ordentlich ein, aber die fünf Rückrunden-Tore konnten nicht an Fischer anknüpfen, der mit einem Kreuzbandriss passen musste. Obwohl Lotte auch in der Rückrunde 37 Punkte einfuhr, reichte es dank stürmender Dortmunder nicht zum erhofften Aufstiegscoup.
Obwohl die Sportfreunde mit vier eingesetzten Torhütern im gesamten Jahr einen ganz eigenen Rekord aufstellten. Verletzungen (Görrissen), Sperren (Maczkowiak) und Patzer (Tantow) sorgten für Bewegung zwischen den Pfosten.
Nach dem 2:1-Sieg gegen den SC Wiedenbrück flossen dennoch bittere Tränen. Zumal ein Wettskandal für Aufregung im 4000-Einwohner-Ort sorgte. Vor der 0:4-Heimpleite von Rot-Weiss Essen gegen Borussia Dortmund II hatten drei RWE-Spieler gegen ihre eigene Mannschaft gewettet und wurden mittlerweile rausgeworfen. „Solche Akteure gehören nicht in den Fußball, nicht in den Sport überhaupt hinein. Manche scheinen den Hals nicht voll zu kriegen. Man kann heutzutage mit ehrlicher, guter Arbeit im Fußball gutes Geld verdienen und den Weg sollte man auch gehen“, schimpfte Trainer Walpurgis gegenüber „Reviersport“. Lotte hofft nun den Aufstieg am „Grünen Tisch“. Beim DFB wurde der Antrag auf eine Aufstockung der 3. Liga auf 19 Vereine gestellt.
Ein Torjäger wie Gerd Müller
Hans-Günter Bruns wagte sich an den ganz großen Vergleich mit dem wahrscheinlich besten Stürmer, den Deutschland jemals gesehen hat. Der Trainer des Wuppertaler SV adelte seinen Angreifer Christian Knappmann mit den Worten: „Er ist ein Typ wie Gerd Müller.“ Zwar ist der Torjäger körperlich eine andere Hausnummer als der „Bomber der Nation“, erinnert eher an den Ex-Wrestler Hulk Hogan. Aber die Quote ist vorzeigbar: Knappmann hängte mit 30 Toren alle anderen Angreifer der Regionalliga weit ab. Hinter Knappmann folgten echte Talente: US-Nationalspieler Terrence Boyd (Dortmund) und Andrew Wooten (Kaiserslautern) kommen auf 20 Buden.
Zuschauerhype bei Rot-Weiss Essen
„Oooooh, RWE.“ Der Einlaufsong sorgt bei Rot-Weiss Essen immer für Gänsehaut. Gänsehaut gibt es dort übrigens so viel wie nirgendwo sonst in der Liga. Vor zwei Jahren noch finanziell abgestürzt, NRW-Ligist und in den Ruinen der Insolvenz, ist der Deutsche Meister von 1955 wieder zurück auf der Fußballbühne. Zwar reichte es sportlich nur zu einem Platz im Mittelfeld, aber die Fans blieben treu.
122.877 Zuschauer strömten insgesamt in allen Spielen an die Hafenstraße. Im Schnitt waren das 6.815 Fans pro Partie – Rekord in der Regionalliga West. Und natürlich steht ein Heimspiel von RWE auch in der absoluten Bestenliste ganz weit vorne. Das 1:1 gegen Fortuna Köln besuchten 10.907 Zuschauer. Es war zugleich das letzte Heimspiel im alten Georg-Melches-Stadion, in dem bereits Helmut Rahn und Horst Hrubesch für den Traditionsverein aufliefen. In der neuen Saison wird der RWE in einem 28-Millionen-Euro-Neubau auflaufen. Auch da winken dem ehemaligen Bundesligisten weitere Rekorde.
Die stellten in diesem Jahr im negativen Bereich andere Klubs auf. Die wenigsten Zuschauer im Schnitt (235) kamen zu Heimspielen des SV Elversberg. Wenig Faszination übte scheinbar das Spiel zwischen Fortuna Düsseldorf II und dem FSV Mainz 05 II. Ganze 45 Fans verirrten sich dazu ins Paul-Janes-Stadion…
Eine Regionalliga-Mannschaft für 43 Millionen Euro
Bundesliga-Stars wurden auch in dieser Saison oft in der Regionalliga geparkt. Meistens, um lange verletzten oder chancenlosen Profis wieder Spielpraxis zu gönnen. Dabei kommt ein echtes Ensemble aus bekannten Namen zusammen, die ein fast unschlagbares Team stellen würden. Im Tor mit Ex-Nationaltorhüter René Adler, in der zugegebenerweise antiken Dreierkette mit Bastian Oczipka (Leverkusen), Zdenek Pospech und Malik Fathi (beide Mainz). Im Mittelfeld würden sich die Dortmunder Ilkay Gündogan und Moritz Leitner, die Mainzer Eugen Polanski und Nicolai Müller, der Mönchengladbacher Patrick Herrmann und Leverkusens Tranquillo Barnetta tummeln. Im Angriff dürfte sich Mohamed Zidan da über genügend Bälle freuen.
Bei Transfermarkt.de hat dieses Dreamteam einen Gesamtwert von 43,25 Millionen Euro. Von solchen finanziellen Möglichkeiten in der Etatplanung können alle anderen Regionalligisten nur träumen.
Karten-Könige und Mehrgenerationen-Mannschaften
Bitter lief die Saison für Jeron Hazaimeh (Fortuna Düsseldorf II), der einen kleinen Rekord aufstellte. Drei Mal flog der Fortune vom Platz – immer wegen einer Gelb-Roten Karte. Stefan Schwellenbach (1. FC Köln) sah dagegen in gleich zwei Spielen glatt Rot. Als echte Mehrgenerationen-Mannschaft trat die TuS Koblenz in Erscheinung. Während der brasilianische Oldie Minerio (36) noch Geschichten aus seiner Zeit bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und gemeinsamen Auftritten mit Didier Drogba beim FC Chelsea erzählen kann, könnte Youngster Enrico Köppen (17) altersmäßig sogar sein Sohn sein. Ein Vertreter der jüngeren Generation ist Torwart Kadir Yalcin (19), der alle 3240 Minuten in dieser Saison durchspielte. Das gelang von den Feldspielern nur Denis Linsmayer (1. FC Kaiserslautern II).
Festungen, Reisegruppen, Punktelieferanten und gesparte Kosten
Bei den Heimspielen stellte besonders Borussia Mönchengladbach II eine Festung dar. Mit 41 Punkten sammelten die jungen Fohlen, die lange aussichtsreich im Titelrennen lagen, die meisten Zähler. Dahinter liegen die Sportfreunde Lotte (40). Die TuS Koblenz trotz eines starken Fan-Interesses und Bayer Leverkusen II (je 14) stellen daheim keine Bastion. Borussia Dortmund II kommt nach mageren fünf Pünktchen in der Hinrunde insgesamt noch auf 32 Punkte. Dagegen sind die BVB-Bubis auswärts mit 45 Zählern eine echte Macht und hängen Lotte (36) und Trier (35) ab. Die Reisekosten sparen durfte sich meistens der SV Elversberg (11 Punkte).
Kuriose Ergebnisse
Natürlich gibt es bei 324 Spielen auch einige Ergebnisse für das Kuriositätenkabinett. Den höchsten Saison- und zugleich Auswärtssieg feierte Borussia Dortmund II mit einem 7:1 beim SC Wiedenbrück. Daheim legten mit 6:0-Erfolgen die Sportfreunde Lotte (gegen Fortuna Köln) und der Wuppertaler SV (gegen Idar-Oberstein) die Bestmarken auf. Das torreichste Spiel gab es zwischen dem 1. FC Köln II und dem SC Idar-Oberstein (6:3).
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