Von Andreas Gniffke
Diese Woche wurde der Der Jahresbericht Fußball für die Saison 2010/11 veröffentlicht. Seine Zahlen belegen, dass Gewalt rund um die Stadien immer noch ein Thema ist, eine Eskalation ist aber nicht erkennbar.
Dienstag, Primetime im deutschen Fernsehen. Der Pokalkracher Dortmund gegen Dresden steht an, ein Fest in Schwarz-gelb. Das Spiel: ein Langweiler, doch die Reporter von Sky und ZDF suhlen sich in ihrer Empörung über die Gewalt auf den Rängen. Dortmunds Trainer Jürgen Klopp fordert nach dem Spiel im Interview eine Atmosphäre, in der auch Familien und Kinder ohne Angst ein Fußballspiel besuchen können.
Doch haben wir tatsächlich bürgerkriegsähnliche Zustände in und um die deutschen Stadien? Der Jahresbericht Fußball für die Saison 2010/11 von der zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) ist in dieser Woche veröffentlicht worden und dokumentiert akribisch die statistisch messbaren Auswüchse der Fußballgewalt. Aufgeführt werden u.a. und nach Ligen differenziert die Verletzten, die eingeleiteten Strafverfahren oder die Zahl der ausgesprochenen Stadionverbote. Die Ergebnisse sind interessant, ebenso das Medienecho.
„Unfassbare Brutalität in deutschen Fußballstadien“ hat die WELT nach der Veröffentlichung der Zahlen der ZIS ausgemacht. Allgemein wird die gestiegene Zahl von Verletzten im Umfeld von Fußballbegegnungen beklagt. Und das zu Recht, denn mit 846 verletzten Personen (Unfallopfer ausgenommen) im Bereich des deutschen Profifußballs wurde ein Höchststand innerhalb der letzten zwölf Jahre erreicht, 62 mehr als im Vorjahr. Verletzt wurden dabei 243 Polizeibeamte, 259 sogenannte Störer und 344 Unbeteiligte, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Insgesamt besuchten mehr als 17,5 Millionen Besucher die Spiele der ersten und zweiten Liga. Innerhalb der drei Regionalligen wurden 146 Personen verletzt, davon in der Regionalliga West 47 (19 Polizisten, 17 Störer, 7 Unbeteiligte). Wohlgemerkt 47 Verletzte in insgesamt 306 Begegnungen. Auch hier unfassbare Gewalt?
Ein starker Anstieg der Gewalt?
Allgemein berichten nahezu alle Medien übereinstimmend von einem starken Anstieg der Gewalt in und um Fußballstadien. Die Zahlen belegen dies nur eingeschränkt. Die Zahl der Strafverfahren ging im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Spielzeiten leicht zurück, die freiheitsentziehenden Maßnahmen erreichten den niedrigsten Stand seit 2005/06 (jeweils 1. und 2. Liga). Die Einsatzstunden der Polizeikräfte gingen im Vergleich zum Vorjahr sogar deutlich zurück. Dies liegt allerdings zum Teil darin begründet, dass ein Problemverein wie Hansa Rostock im Vorjahr in der 3. Liga spielte und somit hier nicht erfasst ist. In den Regionalligen gingen die entsprechenden Werte zum Teil deutlich zurück. Somit kann auf Basis der vorliegenden Zahlen von einer explizit gesteigerten Gewalt in deutschen Stadien nicht gesprochen werden.
Vor allem die Gruppe der sog. Ultras steht oftmals im Fadenkreuz sowohl der Medien als auch der Behörden, hat man es hier doch mit einer schwer durchschaubaren und alles andere als leicht in eine Schublade zu steckende Gruppe zu tun. Konnte man den Hooligangruppen in ihrer Blütezeit in den 80er und 90er Jahren noch problemlos das Etikett ‚Fußballgewalttäter‘ anheften, stellt sich das bei den Ultras ungleich schwieriger dar. In nahezu allen Stadien bis in den Amateurbereich hinein prägen Ultras die Stimmung. Aussperren kann man sie allein aus finanziellen Gründen kaum, denn ohne die typische Fußballatmosphäre lassen sich auch Business-Seats und VIP-Logen nur schwer vermarkten.
Ein Teufelskreis für die Vereine, vor allem wenn die Ultras auch noch versuchen, ihren Einfluss hinsichtlich der Vereinspolitik geltend zu machen. Die Zahlen des Jahresberichts Sport deuten aber an, dass ein Großteil der protokollierten Fälle eben im Bereich der Ultras zu finden ist. Mehr als 80% der freiheitsentziehenden Maßnahmen richten sich gegen Personen, die jünger als 31 Jahre sind, was als Indiz zu werten ist, dass vor allem Vertreter der jüngeren Fankultur, also der Ultras, betroffen sind.
Ein Teufelskreis für die Vereine
Dies deutet auch der Jahresbericht so: „Die überwiegende Mehrzahl der Angehörigen der „Ultra“-Gruppierungen ist zwischen 18 und 25 Jahre alt und wird von den berichtenden Polizeibehörden mehrheitlich zwar (noch) in die Kategorie A [normaler Fan] eingestuft, jedoch deutet der […] hohe Anteil der von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffenen Personen in der Altersgruppe der 21- bis 25-jährigen sowie insbesondere die Steigerung in der Gruppe der über 25-jährigen auf deren vermehrte Teilnahme an Störerhandlungen hin.“ Der Gruppencharakter der Ultras veranlasste die Behörden, die entsprechende Einstufung in die Gewaltkategorien nicht mehr an Einzelpersonen, sondern Gruppen festzumachen, was entsprechende Maßnahmen und somit auch statistisch belegbare Verfahren zur Folge hat: „Teile der „Ultra“-Gruppierungen werden durch die berichtenden Polizeibehörden daher ohne Einschränkung in die Kategorien B [gewaltbereit/-geneigt] und C [gewaltsuchend] eingestuft und haben dazu geführt, dass die polizeilichen Einsatzkonzeptionen fortentwickelt und angepasst wurden.“
Zumindest die DFL bewertet die vorgelegten Zahlen im Gegensatz zu den meisten Medien realistisch, so heißt es in einer Stellungnahme: „Das Gesamtbild hat sich auch aufgrund des Engagements aller Beteiligten offensichtlich nicht wesentlich verändert. Wir werden den Weg der Prävention und des Dialogs fortsetzen. Denn jede Verletzung und jedes Strafverfahren ist eines zu viel.“
Ob der Dialog mit den Fans nach dem vorläufigen Scheitern der Pyrotechnik-Legalisierungskampagne noch möglich ist, wird sich zeigen. Aber wenn Liga-Präsident Rauball in der BILD öffentlichkeitswirksam verkündet, „wir streuen uns Sand in die Augen, wenn wir lediglich von ‚ein paar Idioten‘ sprechen. Die gewaltbereite Szene ist deutlich höher als bislang angenommen“, so sprechen die Zahlen doch eine deutlich andere Sprache.
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