Ein Jahr lang lag Rot-Weiss Essen am Boden. Doch mit Waldemar Wrobel als Trainer gelang die fulminante Rückkehr in die Regionalliga. Nun hofft der Traditionsverein wieder auf glorreiche Zeiten, bleibt dabei vor dem Spiel in Trier (Samstag, 14 Uhr) aber bescheidener als in der Vergangenheit.
Wenn die Hafenstraße in Essen wenige Minuten vor dem Anpfiff immer aus allen Nähten bricht, die Fans sich auf den vollen Rängen auf die Heimspiele einstimmen, dann packt der Stadionsprecher immer das Lied von „Opa Luscheskowski“ in den CD-Spieler. Der Fußball-Opa aus dem Ruhrpott steht für die bedingungslose Liebe zum Verein. Er bricht mit seiner leidgeplagten Frau einen Urlaub in den Bergen ab, um ein Spiel von Rot-Weiss Essen zu sehen, er lässt sie alleine auf der Goldenen Hochzeit sitzen, um beim Endspiel im Stadion zu sein, sie trägt den sturzbetrunkenen Opa auf ihrem Rücken von der Kneipe nach Hause, weil er total berauscht ist von der Deutschen Meisterschaft 1955. Und nach seinem Tod singt er mit den Engeln und dem lieben Gott im Himmel: „Wir werden Essen nie vergessen, wir sind die Fans von Rot-Weiss Essen.“
Waldemar Wrobel hat das Lied schon oft gehört, auch bei ihm stellt sich die Gänsehaut auf, wenn er Tausende von RWE-Fans die Zeilen schmettern hört. „Der RWE-Virus infiziert einen ganz schnell, davon kann sich keiner freisprechen, der das hier erlebt“, findet der Trainer des Regionalligisten nicht ohne Stolz. Als der Polizist vor 15 Monaten das Amt an der Hafenstraße übernahm, lag der Traditionsverein am Boden, ausgelaugt von Jahren der Misswirtschaft und vergeblicher Hoffnungen auf einen so notwendigen Neubau des maroden Georg-Melches-Stadions. Im Juni 2010 musste Rot-Weiss Essen zwangsabsteigen in die NRW-Liga, steckte mitten im Insolvenzverfahren, millionenschwere Berge mit Schulden türmten sich auf, Tribünenteile im Stadion waren bereits abgerissen angesichts des vermeintlich geplanten Umbaus. Riesige Löcher klafften in der Landschaft, in der Rot-Weiss Essen seine größten Erfolge feierte, in der 1992 Jörg Lipinski Schalke 04 im DFB-Pokal demütigte, indem er mit dem Ball auf das leere Tor zulief, fünf Sekunden in Sieger-Pose vor der Linie verharrte, den Jubel genoss und erst dann die Kugel zum 2:0 über die Linie schob. „So was habe ich überhaupt noch nicht erlebt“, krächzte Rolf Töpperwien ins ZDF-Mikrofon. Das Video wurde auf Youtube fast eine Million mal geklickt – lange ist es her.
Ein Stadion für 31 Millionen Euro
Die Rückkehr innerhalb eines Jahres ist daher spektakulär. Am Mittwoch unterlagen die Essener im DFB-Pokal zwar Hertha BSC mit 0:3, doch die Fans feierten ein Fußball-Fest, das Comeback auf die große Bühne. Schuldenfrei, zurück in der Regionalliga nach der souveränen Meisterschaft in der Fünftklassigkeit und mit dem Versprechen der Stadt, endlich das lang ersehnte Stadion zu errichten, das 31 Millionen Euro kosten und 20.000 Zuschauer fassen soll. Das Magazin „Reviersport“ brachte zum Aufstieg ein Sonderheft mit 64 Seiten heraus, nur wenige Oberligisten in Deutschland konnten das für sich behaupten.
Auf die Fans konnte sich Rot-Weiss Essen in der Krise immer verlassen. Fast 7.000 Anhänger strömen in der Regionalliga wieder an die Hafenstraße, träumen von glorreichen Zeiten, verstehen aber den neuen Weg des Klubs, der sich vom verrückten Größenwahn der Vorjahre verabschiedet hat. Da stand Thomas Strunz als Sportlicher Leiter in der Regionalliga noch für einen Fünf-Jahres-Plan, der in die 2. Bundesliga führen sollte. Dafür wurde viel Geld investiert. Stars wie Sascha Mölders, der nun fleißig beim FC Augsburg in der Bundesliga seine Tore schießt, kassierten für Regionalligaspieler überdurchschnittlich viel Geld. Eine Tragikomödie war auch die Verpflichtung von Ernst Middendorp als Trainer, dessen Vertrag nach 29 Tagen aufgelöst wurde. Rot-Weiss Essen hatte Tradition, Visionen – aber kein Konzept.
Von Top-Verdienern zum Amateurstatus
Das änderte sich, als der Verein in den Ruinen lag. Wrobel steht als Trainer so für die neue Ausrichtung, die RWE auch in dieser Saison fährt. Er ist berufstätig, Polizist, bildet Sicherheitseinheiten aus und fährt nach dem Feierabend zum Training. „Wir haben viele Studenten, Schüler und Leute, die nebenbei jobben. Das ist Amateurstatus. Wir müssen uns erst konsolidieren.“
So bricht nach den ersten Wochen in der Regionalliga keine Panik aus. Der Coach vertraut der Aufstiegself, gegen Hertha BSC standen mit Kevin Grund und dem zweitligaerfahrenen Markus Heppke nur zwei Sommer-Neuzugänge in der Startformation. Die jüngsten vier Niederlagen in der Liga versetzen Wrobel nicht in Unruhe. „Die Frage ist, wie man Erfolg definiert“, sagt der Trainer nach der krisengeplagten Zeit. Bescheidenheit ist eingekehrt. „Ein Platz unter den ersten zehn Teams wäre ein Erfolg für uns. Die Spitzengruppe ist utopisch, da haben andere Klubs ganz andere Etats.“
Dazu zählt der Polizist auch Eintracht Trier. „Das ist nominell die beste Mannschaft der Liga, bei der kaum ein Spieler jenseits von 30 ist und sich daher auf die alte Tage nur ausruhen würde. Trier ist gegen uns klarer Favorit.“ Wehrlos ergeben wird sich Wrobel mit Essen und dem Ex-Trierer Holger Lemke sicher nicht, er hat im letzten Jahr schon schlimmere Sachen erlebt als Niederlagen auf dem Rasen. „Die Entwicklung bis heute war nicht vorhersehbar“, meint er. Rot-Weiss Essen ist zurück, der Klub von „Boss“ Helmut Rahn, der im WM-Finale 1954 das entscheidende Tor gegen Ungarn schoss. „Opa Luscheskowski“ würde es freuen.
+++++Eintracht in Kürze+++++
Im Rheinlandpokal nach Mehring – Das packende DFB-Pokalspiel gegen den Hamburger SV (1:2 n.V.) vor 10.300 Zuschauern hat Appetit auf mehr gemacht. Um in der Saison 2012/13 erneut in den Genuss eines Bundesligisten im Moselstadion zu kommen, muss Eintracht Trier aber erst den Rheinlandpokal verteidigen. Die erste Hürde wartet dabei in der vierten Runde beim Rheinlandligisten SV Mehring. Das Spiel soll zwischen dem 16. und 23. November auf dem Kunstrasenplatz auf der Lay stattfinden. Dabei kommt es zum großen Wiedersehen mit vielen Ex-Spielern der Eintracht wie Michael Fleck, Tobias Lorig, Jon Becker und Sebastian Ting. Triers Co-Trainer Rudi Thömmes führte Mehring 2008 zur Meisterschaft in der Bezirksliga. Beim ambitionierten Rheinlandligisten, der von Wolfgang Hoor trainiert wird und den Aufstieg im Visier hat, sorgte das Los für helle Begeisterung: „Wir freuen uns sehr auf diese Partie“, hofft der Vorsitzende Günter Schlag auf mehr als 1000 Zuschauern und einen echten Pokal-Fight. „Kampflos werden wir uns sicher nicht ergeben.“ Die TuS Koblenz, Regionalliga-Konkurrent der Trierer und Finalgegner 2011, reist Mitte November zum Rheinlandligisten SG Mühlheim-Kärlich.
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