Trier. Warum ist es gut, wenn Frauen arbeiten gehen? Über diese Frage haben sich arabische und deutsche Frauen bei der ersten interkulturellen Schulung über Berufsbilder in der arabischen und westlichen Welt am Jobcenter Trier Stadt Gedanken gemacht.
Dabei wird schnell klar: Jede Frau ist einzigartig. Ob sie in Deutschland geboren ist, oder nach Deutschland gekommen ist. Ob sie Kopftuch trägt, oder nicht religiös ist. Ob sie jung ist und eine Ausbildung sucht, oder älter ist und lange Zeit die Familie umsorgt hat. Jede Frau, die an der Schulung teilnimmt, ist eine Bereicherung für die Gesellschaft, macht Referentin Dr. Mirjam Schneider früh deutlich. „In Deutschland brauchen wir Frauen wie Sie, die dabei helfen, dass sich die Menschen aus den verschiedenen Kulturen gut verstehen.“
Als Islamwissenschaftlerin hat Mirjam Schneider viele arabische Länder bereist und im Libanon gelebt. Die Dozentin hat lange an der Uni Trier gewirkt, mittlerweile ist sie an der Universität in Graz. Sie spricht die Teilnehmerinnen zunächst auf Arabisch, ihrer Muttersprache, an. Ein Gefühl von Heimat stellt sich ein. Für den Verlauf der Schulung wird dann aber ins Deutsche gewechselt. „Das können Sie sicher schon sehr gut“, motiviert Mirjam Schneider die Frauen, sich hier in einem geschützten Raum zu Wort melden zu können.
Die Frauen erzählen, was sie in Syrien gearbeitet haben, ob sie verheiratet sind, Familie haben, und was sie gerne in Deutschland arbeiten möchten. Die meisten haben bereits konkrete Vorstellungen. Eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-Technischen Assistentin möchten zwei junge Frauen beginnen. Eine 26-Jährige hat in Syrien Medizin studiert und wartet auf die Anerkennung ihres Studiums. Sie sucht nach einem Praktikumsplatz. Eine Psychologin, die mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat, möchte gerne ein Anerkennungsjahr in Trier machen. Drei ehemalige Grundschullehrerinnen möchten in Zukunft im Kindergarten arbeiten.
Schnell wird klar, bei aller Berufserfahrung im Heimatland: Ohne das bestandene C1-Sprachniveau und die schriftliche Anerkennung der Berufsabschlüsse geht nicht viel vorwärts. „In Syrien bekommt man eine Stelle über Bekanntschaften und persönliche Kontakte“, erklärt Mirjam Schneider. „Der schriftliche Bewerbungsprozess ist für viele neu und deutsche Bürokratie wirkt schnell kompliziert.“
Während die deutsche Gesellschaft sehr individualistisch geprägt sei, sei die arabische Gesellschaft vielmehr kollektivistisch aufgebaut. In Deutschland werden die Kinder früh zur Selbstständigkeit, freier Berufswahl und Meinungsbildung erzogen, während in der arabischen Welt die Großfamilie und der feste Platz jedes Mitgliedes darin Bedeutung habe. „Junge Menschen lernen den Beruf, den die Familie für geeignet hält“, erklärt die Dozentin. „In der Heimat liegt die Aufgabe vieler Frauen hauptsächlich in der Kindererziehung. Hier in Deutschland tun sich die Frauen dann schwer, ihre Kinder früh in staatliche Obhut zu geben. Zum einen, weil man sich gerne so lange wie möglich selbst kümmert, und zum anderen, weil man dem Staat misstraut, da man in der Heimat einfach keine guten Erfahrungen mit Staatsgewalt gemacht hat.“
Während in den Städten wie Damaskus und Aleppo Frauen durchaus einen Beruf haben, ist der Einfluss der Großfamilie auf dem syrischen Land viel stärker. Motivation und Zukunftsperspektiven haben die Frauen in der interkulturellen Schulung durchaus. „Eine gebildete Mutter ist auch ein gutes Beispiel für ihre Kinder“, sagt eine Teilnehmerin. Und: „Ich möchte arbeiten, damit ich mehr Kontakte habe und hier auch Freundinnen finden kann“, sagt eine andere.
Mirjam Schneider ist ganz ehrlich und sagt: „Natürlich wird Sie die Arbeit in Deutschland verändern. Sie werden einen Einfluss auf Ihr eigenes Leben haben und lernen mit beiden Welten zu leben.“
Hintergrund
„Die interkulturelle Schulung über Berufsbilder für Frauen in der arabischen und deutschen Gesellschaft hat das erste Mal im Jobcenter stattgefunden. Arabisch sprechende Kundinnen bekommen Informationen zur hiesigen Kultur und den Berufsbildern für Frauen in unserer Gesellschaft. Diese sind explizit auf den regionalen Arbeitsmarkt abgestimmt“, sagt Marita Wallrich, Geschäftsführerin des Jobcenters Trier Stadt.
Da Integration ein Weg ist, der in beide Richtungen beschritten werden kann, hat Islamwissenschaftlerin Mirjam Schneider ebenfalls ein interkulturelles Training für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Trierer Jobcenters angeboten. Die Vermittler wurden darin geschult, besser zu verstehen, welche Berufe arabische Frauen machen können, welche familiären und kulturellen Rahmenbedingungen es gibt und wie Frauen aus arabisch-islamisch geprägten Ländern motiviert werden können, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Sensible Themenfelder, „Stolpersteine“ im Gespräch und Strategien für eine gelungene interkulturelle Kommunikation wurden ebenfalls besprochen.
Bildnachweis: Jobcenter Trier Stadt
Kommentar verfassen