Am Samstag, 1. Juni, hatte Bedrich Smetanas Komische Oper „Die verkaufte Braut“ Premiere im Theater Trier. Ein etwas eingestaubtes Liebesschmankerl rund um clevere Bräute und stehen gelassene Verlobte. Unter der Regie von Thomas Münstermann erhielt die Inszenierung jedoch einen frischen, dafür bitteren Beigeschmack.
Er ist irgendwie zu nichts zu gebrauchen, der Wenzel. Das muss selbst sein Vater zugeben. Wenzel, eine Figur, wie es sie in Komischen Opern kein zweites Mal gibt: Stotterer, ungeliebter Freier, von der übermächtigen Mutter malträtierter Sohn, im Dorf Verlachter. Er wird ausgetrickst, bekommt im schönsten Happy End keinen Platz, wird von der eigenen Mutter von der Bühne geprügelt und somit „dramaturgisch entsorgt“, wie Regisseur Thomas Münstermann es nennt. Keine besonders heldenhafte Figur, mit der man sich gerne identifizieren möchte, dennoch erkannte Münstermann, dass gerade Wenzel eine Figur ist, mit der sich mehr und mehr (junge) Menschen identifizieren können:
Intelligente, fesselnde Inszenierung
Der von der Gesellschaft Ausgestoßene, der Nerd, das Mobbingopfer, der hoffnungslose Träumer, der Träumer ohne Hoffnungen. Das Schicksal von Wenzel ein viel Aktuelleres, als das von Marie, die verheiratet werden soll, obwohl sie eigentlich einen anderen liebt. Ihre Geschichte lässt sich nur auf einer ganz anderen Schiene ins Heute transportieren. Münstermann versucht dies und macht aus der etwas eingestaubten verkauften Braut eine moderne entstaubtere Fassung.
So wird aus dem schönen, armen Mariechen (Joana Caspar), das verkauft werden soll, eine Prostituierte; aus ihren armen, guten Eltern werden auf jung geschminkte Mütter (Kristina Stanek) und vom Alkohol gezeichnete Väter (László Lukács). Aus dem Fremden Hans (Carlos Aquirre) wird ein Idol à la Edelpirat und aus dem Dorfdeppen Wenzel (Luis Lay) wird ein nicht akzeptierter Träumer. Aus der ländlichen, märchenhaften Idylle wird ein Budenzauber; unter dem Banner „23. Fest der Heimat“ wird die Inszenierung eröffnet, mit Bierbuden und Punks auf einem Baumarkt-Parkplatz. Unter den Laternen stehen die „käuflichen Bräute“, in Trachten sind nur die Budenbesitzer und die Punks unterwegs.
Budenzauber statt Märchen
Keine Spur von Heimatlichkeit, allerhöchstens von der Sehnsucht danach. Mitten in all dem Wenzel; er ist es, der die Figuren zum Leben erweckt, nur um danach von ihnen schikaniert zu werden und sich erneut Traumwelten aufzubauen. Symbolisch dafür erwächst aus dem Bühnenbild eine Blume, Zufluchtspunkt für alle Träumer. Denn nicht nur Wenzel träumt von einem besseren Leben. Auch Marie hat sich mehr vom Leben versprochen, ihr einziger Fluchtpunkt: Hans.
Der erscheint in der Inszenierung mehr wie ein schönes Trugbild, als wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Er tritt aus einem Bild heraus, dass Marie anhimmelt wie ein Teenie das Poster seines Idols. Ein Typ, dem alles zu gelingen scheint und zudem Wenzels Halbbruder, mehr noch, sein Alter Ego. Denn wo Hans ist, ist Wenzel auch, allerdings im Hintergrund. Ein Schatten, der Bewegungen nachahmt und dennoch nie ganz im Geschehen sein kann. Wo Hans ist, muss Wenzel weichen und umgekehrt.
Durch die gekonnte Inszenierung von Thomas Münstermann ergibt sich ein Blickwinkel, von dem aus man die „Verkaufte Braut“ von Smetana in einem ganz anderen Licht sehen kann. Zugegeben kein sehr schmeichelhaftes Licht, aber auf Dauer reizvoller als eine schmachtende, süßliche Inszenierung. Eine Inszenierung aus der Sicht von demjenigen, der sowieso nie richtigen Platz in der Oper hatte. Und ein Vorausblick darauf, was passieren kann, wenn Menschen langfristig ständiger Abneigung ausgesetzt sind. Für Wenzel bleibt in dem Moment, da seine Traumwelten mit den Realitäten schmerzhaft zusammenprallen, nur ein Ausweg. In dieser Inszenierung wird Wenzel nicht „dramaturgisch entsorgt“, sondern er entsorgt sich selbst und die Mutter gleich mit. Eine Tat, auf die die Dorfbewohner nur mit Kopfschütteln reagieren können, er wäre ja eh nie zu was zu gebrauchen gewesen, muss auch sein Vater einräumen. Das Happy End scheint perfekt, wäre da nicht die kleine tickende Bastelei, die Wenzel als Abschiedgruß hinterlassen hat, doch hier muss der Vorhang fallen. Wer den Wink mit dem Zaunpfahl noch nicht verstanden hat, für den lässt Münstermann die letzten Worte eines Amokläufers zitieren, schafft somit in den letzten Minuten der Oper eine bedrückende Enge in der Brust, wo sonst süße Happy-End-Stimmung geherrscht hätte.
Endzeitstimmung statt Happy End
Eine starke Inszenierung, die an sich schon fasziniert, hinter der die Musik aber keinesfalls zurückblieb. Eine Premiere in der Premiere war der erste Auftritt von Carlos Aquirre nach seinem Stimmfachwechsel in einer Hauptrolle. Wo er schon als Barriton zu begeistern wusste, schafft er dies nun auch als Tenor und liefert damit einen erwartungsgemäß sicheren Auftritt ab. Joana Caspar als Marie wusste das Publikum zu begeistern und Luis Lay als Wenzel stolperte, neben seiner mitreißenden Darbietung, nicht über das komponierte Stottern von Wenzel. Luis Lay in der eigentlichen Hauptrolle. Besonders beeindruckend das Spiel von László Lukács, sah man ihn diesmal doch in einer gänzlich anderen Rolle, als vom Alkohol gezeichneten Vater wusste er zu überzeugen und bewies so eine schöne Vielfalt in seinem Spiel.
Ein Lob an den Chor, der komplett durch choreografiert war und eine nicht weg zu denkende Größe darstellte, mal Zirkusartisten, mal Dorfbevölkerung, mal Kirmesbesucher. Joongbae Jee glänzte als Dirigent und lieferte mit dem Orchester eine fabelhafte Leistung ab.
Das Bühnenbild von Dirk Steffen Göpfert, eine Zusammenarbeit mit dem Theater Koblenz und die, nur zum Teil folkloristischen, Kostüme von Ruth Groß, sind mehr als geschickte Verpackung. Durch sie wird die Inszenierung erst lebendig und farbenreich, trennen sie doch Traum und Realität. Punks neben Trachtenmädels, Bierbude neben Zirkuswelt, eine riesige, rot leuchtende Blume und ein blauer Vogel, mit dem Wenzel für einen Moment seinem Dasein entfliegen kann.
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Fazit
Eine intelligente Inszenierng, die neue Schwerpunkte zu setzen weiß. Weg vom idyllischen Schein, hin zu einer bedrohlich gewordenen Realität. Alles in allem eine Inszenierung, die es wert ist gesehen zu werden: Für Opern-Freunde und Freunde gekonnten Schauspiels.
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Fotos: Theater Trier
Heike Eiden meint
Die „Verkaufte Braut“ ist ein absolut sehenswertes Stück und ich kann jedem Trierer (und selbstverständlich auch den Nicht-Trierern 😉 ) nur empfehlen es sich anzusehen.
Dem Ensemble gelingt es durch Engagement und Schauspielkunst (allen voran ein unglaublich guter Luis Lay!) eine vom Inhalt her eigentlich altbackene Story neu und aussagekräftig auf die Bühne zu bringen – und das ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Die Inszenierung schafft es, in einer komischen Oper, ein Statement gegen Mobbing zu verpacken (Liebe Lehrer, hier wäre was wo ihr mit euren Schülern rein gehen könntet und nachher dann drüber redet wie es dazu kommen konnte!) – und Luis Lay’s Darstellung des Wenzel ist so ausdrucksstark, dass ich – auch Tage später – noch angerührt bin. Außerdem hat er das eigentlich Unmögliche erreicht: ich habe ein gewisses Verständnis für die Entstehung eines Amoklaufs erlangt und habe die Verantwortlichkeit der gesamten Gesellschaft nicht nur vom Verstand her verinnerlicht – das „normale“ Ende (wo der Wenzel weg geht) hätte hier nicht gepasst und wäre kitschig gewesen.
Also, liebes Publikum – geht in die Verkaufte Braut! Nicht „nur“ um unser Ensemble-Theater zu retten, sondern um eine tolle Vorstellung zu sehen!