Nicht nur Opern, Schauspiele und Märchen können den Großen Saal des Theaters Trier füllen, auch Frank Schirrmacher schaffte das am Dienstagabend. Eingeladen zur 14. Gemeinschaftsveranstaltung von der Vereinigung Trierer Unternehmer e. V., dem Kreis Junger Unternehmer Trier und dem Marketing-Club Trier-Luxemburg e.V. sprach der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor großem Publikum an dem Abend über den Kontrollverlust des eigenen Denkens in einem Zeitalter, in dem Maschinen eben das für den Menschen übernehmen.
Dr. Frank Schirrmacher ist bekannt als Querdenker und beweist mit diesem Vortrag wieder einmal, wie kritisch er die Ereignisse des 21. Jahrhunderts hinterfragt. Seit einiger Zeit ist im Bereich der Medien eine erhöhte „Skandalierungs- und Empörungsbereitschaft“ deutlich spürbar. Laut Redner werden die Begriffe Skandal, Katastrophe und Überlebenskampf sowohl im Zusammenhang mit der ADAC-Affaire als auch dem aktuellen Konflikt in der Ukraine verwendet. Nachrichten verbreiten sich im fortgeschrittenen digitalen Zeitalter nahezu in Echtzeit und werden zusätzlich durch ebenso rasche Schnellschussreaktionen der Empfänger „gepusht“. Hier ist statt gewissenhafter Überlegung schnelle Reaktionszeit gefragt. Was früher nur von Börsenmaklern bekannt war, betrifft heutzutage fast jeden.
Anscheinend werden dabei zahlreiche Denkprozesse aus der Hand gegeben. Internet und internetfähige Geräte liefern nicht nur angeforderte Informationen, gleichzeitig werden auch alle verfügbaren Daten über unsere Person abgespeichert und bei Bedarf abgerufen und zum weiteren Informationsangebot genutzt. Auf bestimmte Parameter eingestellte Maschinen werden nicht nur für die Funktion der Suchmaschinen im weltweiten Netz verwendet, sondern auch im Bereich der Medizin oder bei der Kreditvergabe. Da muss sich zwangsläufig der selbstsicherste Mensch fragen, ob er in der Lage ist, diesen Kontrollverlust überhaupt zu erkennen. Entscheiden wir wirklich selbst über unsere bevorzugte Lektüre, oder wird sie von Robotern der Suchmaschinen oder der Online-Versandhäuser bestimmt? Legt der Arzt unsere Medikation fest, oder sein Computer, der die Symptome auswertet?
Der Redner spricht von einem zukünftigen „Internet der Dinge“; wenn alle denkbaren Gegenstände wie Zahnbürste oder auch das Heizungsthermostat mit dem Internet verbunden sein werden und sämtliche empfangenen Daten übertragen können. Eine Entwicklung, der sich wohl auf Dauer niemand entziehen kann. Von Bedeutung sind hier die geplanten „Google-Glasses“. Selbst der größte Gegner des digitalen Zeitalters wird spätestens mit der Erscheinung dieses Produkts auf dem Markt keine Kontrolle mehr über die Daten seiner Person wahren können.
Schon jetzt sind viele Menschen müde von diesem permanenten Informationsfluss und der ständigen Abrufbereitschaft. Das Gefühl der abendlichen Schlappheit; nicht mehr fähig sein, etwas zu lesen; einfach nur von der Welt abschalten wollen… all das sind Reaktionen des Körpers auf die aktuellen Entwicklungen. Hier bietet der Redner einen spannenden Vergleich: Schon bald nach der industriellen Revolution waren derartige Reaktionen der Bevölkerung trotz scheinbarer Entlastung durch die Dampfmaschinen bekannt! Somit werden die heutigen technischen Möglichkeiten, unter anderem die komplette Übernahme von Produktionsprozessen durch Maschinen, der Entwicklung der Dampfmaschine gleichgesetzt.
Analog dazu fordert Frank Schirrmacher eine gesamteuropäische, gesellschaftliche Debatte; ein Bewusstsein und eine Entscheidung dafür, wie weit wir uns dieser Entwicklung hingeben wollen. Auch müssen Möglichkeiten der Kompensation gefunden werden. So werden wohl in Zukunft die schon jetzt erkennbaren Trends der Meditation, Pilates, Yoga und zahlreichen weiteren Entspannungstherapien zunehmend wichtiger als Ausgleich zum angespannten Alltag.
Viele seiner Worte kommen einem ganz schnell vertraut vor. Es ist kein Geheimnis, dass die Technik der Informationsweitergabe rasant fortschreitet. Auch nicht, dass zahlreiche alltägliche Abläufe fest mit den neuen Medien verbunden sind. Doch wie ernst ist die Sache mit dem Kontrollverlust? Was gibt uns Frank Schirrmacher mit auf den Weg? Er weiß einige Sachverhalte zu nennen, die ohne weitere Recherche nicht unbedingt zur Kenntnis genommen werden. So zum Beispiel, dass wir unser Handy im Schnitt den ganzen Tag nicht mehr als sieben Meter von uns entfernt aufbewahren und seinen Verlust schon nach durchschnittlich sieben Minuten bemerken, während dies bei einer Kreditkarte unter Umständen sechs Stunden dauert. Nicht nur seine gut verständliche, freie Art zu Sprechen macht den Vortrag unterhaltsam. Ebenso überzeugt der Inhalt, der nicht missionarisch aufzufassen ist, sondern vielmehr zur teilweise fassungslosen Aufnahme der Informationen und zum Weiterdenken anregt. Der Veranstaltungsort bietet dazu einen guten Ansatz: Einfach mal öfter mit Freunden das Theater oder Ähnliches besuchen, statt zu häufig an der digitalen Welt aufgehalten zu werden!
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