In einem Wahlkampf, in dem es für die Kandidaten zwischenzeitlich auf und ab ging, hätte man sich eventuell mehr Konfrontation und weniger Kuchelkurs erwartet. Stattdessen präsentierten sich zwei Anwärter auf das Amt des Bundeskanzlers, die in vielen Punkten derselben Meinung waren.
Das große Aufeinandertreffen der Spitzenkandidaten im Wahlkampf gibt vielen Menschen die Möglichkeit, beide Politiker zusammen zu sehen, zu erleben, wie sie agieren und reagieren und beide zu vergleichen. Um ein breites Feld zur Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen, wurden Außen- und Innenpolitik angesprochen. Martin Schulz, der Kandidat der SPD, sieht sich in der Rolle des Angreifers und versuchte zu Beginn angriffslustig gegen die jetzige Kanzlerin vorgehen. So torpediert er zum Beispiel Merkels bisherige Politik, die die Demokratie geschwächt haben soll. Diese Rechnung geht jedoch nicht auf. Hervorragend vorbereitet, zeigt sich die Kanzlerin souverän und steht hinter ihren Entscheidungen, auch das erste Themenfeld, Migration, betrachtend. In diesem Bereich sehen beide Arbeit, die auf Deutschland zukommen wird, die aber vor allem Arbeit ist, die nur in europäischer Gemeinschaft erledigt werden kann. Dabei habe die Kanzlerin, meint Schulz, Möglichkeiten ausgelassen, um schon früher ein Europa der Souveränität aufzubauen. Beim Thema Integration herrscht Einigkeit: Es müssten weiterhin Infrastrukturen gestärkt und aufgebaut werden und es müsse schnelleres Handeln, zum Beispiel auch bei Abschiebungen, ermöglicht werden.
Im Fall der Türkei sagen beide, dass Sanktionen nötig seien, dabei will Schulz einen härteren Ton anschlagen, während Frau Merkel bekannt diplomatisch arbeiten will, gerade auch in Hinblick auf die in der Türkei inhaftierten Deutschen. Auch beim Thema Trump und seiner Unberechenbarkeit sind sich beide einig, auch dabei, dass die USA alleine nicht zur Lösung der Nordkorea-Krise fähig sein werde und es dabei einer diplomatischen Zusammenarbeit vieler Nationen bedarf.
Im Bereich Innenpolitik eine ähnliche Situation. Beide wollen den Steuerzahler entlasten und am Aufschwung des Landes teilhaben lassen. Interessant der Punkt, als Schulz seine Kontrahentin betont lobt, weil sie, scheinbar untypischerweise, eine klare Aussage in Bezug auf die Rente ab 70 ausspricht, wobei er herausstellt, dass sich die Wähler bei ihm auch dessen sicher sein können, was mit einem Seitenhieb zum Thema Maut ja bei der Kanzlerin nicht zwangsweise der Fall sei. Diese wehrt auch diesen Angriff gekonnt ab und betont, dass ihre ursprüngliche Aussage, dass keine den Pkw-Fahrer benachteiligende Maut eingeführt werden würde, weiterhin Geltung behalte.
Beim Thema Diesel-Skandal erneute Einigkeit darüber, dass die Automobilindustrie einen schwerwiegenden Fehler begangen hat und dafür selbst einstehen und Betroffenen angemessen entgegenkommen muss. Auch, dass diese in der Pflicht stehen, den Fortschritt zu finanzieren, steht für beide fest. Denn wie Merkel betont, ist der wichtige Standpunkt der Automobilindustrie essentiell und gefährdet mit seinem Handeln die gesamte Industrie Deutschlands. Um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, müsse es, so Schulz, Sammelklagen geben und der Entwurf zur Musterfeststellungsklage schnell abgesegnet werden, was die Kanzlerin bestätigt. Innere Sicherheit braucht mehr Unterstützung, wieder Einigkeit.
Zum Schluss haben beide Kandidaten noch eine Minute Zeit, ihr Schlusswort an die Zuschauer zu richten. Schulz nutzt bildhafte Sprache und einen Hauch Pathos, um seiner Idee der gerechteren Zukunft, des Aufbruchs und der Stärkung Europas ein Gesicht zu geben. Die Kanzlerin hebt hervor, dass man durch die Verbindung der Erfahrung mit einer Neugierde die kommenden Veränderungen und einhergehenden Herausforderungen – Stichwort Digitalisierung – gemeinsam meistern kann.
Es bleibt ein fader Beigeschmack. Man hat nicht erwartet, dass die Fetzen wie beispielsweise zuletzt im amerikanischen Wahlkampf fliegen werden, aber ein bisschen mehr Konfrontation und Diskussion hätte dem Zuschauer mehr Abgrenzung ermöglichen können. Wer sich an diesem Abend einen starken Martin Schulz erhofft hatte, wurde enttäuscht. Angela Merkel behielt während des gesamten Duells die Oberhand und überzeugte mit Argumenten während Schulz zuweilen hilflos und uninformiert schien. Auch die Mehrheit der Zuschauer votierte nach der Übertragung für die Bundeskanzlerin. Die kommende Bundestagswahl am 24. September wird zeigen, ob das TV-Duell richtungsweisend war.
Von Bastian Finke
Foto: Karl-Ludwig Poggemann
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