Am Samstag, 14. Dezember, gab es wieder zwei Premieren im Theater Trier. „Dantons Tod“ und „Leonce und Lena“ – die beiden Stücke von Büchner nicht nur an einem Abend, sondern gemeinsam auf der Bühne. In szeneweisem Wechsel konnte man die Komödie und die Tragödie in einem Rutsch erleben.
Die Zuschauer verließen das Theater Trier am vergangenen Samstag mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Dies lag nicht allein an der Art der Inszenierung der letzten Premiere in diesem Jahr, sondern vor allem an ihrem besonderen Aufbau. Georg Büchner, genialer Autor, viel zu jung gestorben, schrieb in kurzer Zeit weltbewegende Stücke. Darunter eine Komödie und eine Tragödie, wie sie im Buche stehen. In der Komödie wird nach kurzem, aber unterhaltsamen Verwechslungsspiel der Richtige/die Richtige geheiratet, der alte König darf endlich in seinen wohlverdienten Ruhestand gehen und selbst die biedere Zofe geht nicht leer aus. Die bekommt den dummen August, der natürlich auch nicht fehlen darf. In der Tragödie wird nach kurzem, aber unfairen Prozess der tragische Held hingerichtet, seine Frau nimmt sich das Leben und auch seine redlichen Mitstreiter bleiben nicht verschont. Wäre alles nicht so spannend, wenn es nicht Büchner gewesen wäre, der diese Werke geschrieben hat.
Sowohl „Leonce und Lena“ als auch „Dantons Tod“ klingen in der Beschreibung nicht sonderlich spannend, sind es dafür im Erleben umso mehr. Büchners Sprache schafft es weitaus mehr mitklingen zu lassen, als die einzelnen Worte zu tragen verstehen. Lassen ein tieferes Verständnis der Weltvorgänge erahnen, als man sie im ersten Moment zu fassen vermag. Wie etwa die Figur des Königs in „Leonce und Lena“, der endlich in Ruhe abdanken möchte, um seinen weltbewegend wichtigen Denkversuchen nachzugehen. Dabei schafft er es nicht morgens seine Hose fertig hoch zu ziehen. Oder Dantons Frau Julie, die vor ihrem eigenen Selbstmord, dem allabendlichen Sterben der Sonne hinterher trauert.
Das eine so vordergründig leer, dass dahinter einfach mehr stehen muss. Das andere so weltaufwühlend, dass es nur an der Oberfläche kratzen darf, dass sich Danton als Figur immer wieder im Suff und in den Weibern verlieren muss, um nicht an der Schlechtigkeit der Zeit zu zerbrechen. Und der Zuschauer mit ihm.
Märchenwelt gegen…
Die Doppelinszenierung unter der Regie von Gerhard Weber schafft es an diesem Abend die beiden Stücke zu einem skurillen, weil vollkommen harmonischen Bild zusammen zu fassen. Während das eine daher kommt wie ein Märchen, ein Fiebertraum, ein Wunderland, ausgestattet mit seltsamen Gestalten und merkwürdigen Gesetzmäßigkeiten; erscheint das andere von solch brutaler Wirklichkeit, dass nur der Griff ins Abstrakte bleibt um die Balance zu halten. Weber schafft es über, immerhin satte drei Stunden, diese Balance zu halten und sogar ein merkwürdiges Band zwischen den beiden Inszenierungen zu spannen.
Wird die Weltuntergangsstimmung in „Dantons Tod“ allzu schmerzhaft und bedrückend, kann man sich beim nächsten Vorhang schnell in die traumhafte Märchenwelt von „Leonce und Lena“ retten, wo selbst Schrittabfolgen einem heimlichen Grundgesetz folgen. Der Wahnsinn hat Methode. Und tut keinem weh. Da kann selbst der barfüssige Diener, dessen glorreiche Aufgabe es lediglich ist die Glocke zu läuten, noch munter schmunzeln.
Wo sich die Welt selbst mit den edelsten und vernünftigsten Ambitionen nicht ändern lässt und Gewalt und Terror der Vernunft schließlich den wortgewaltigen Kopf abschlagen, wartet unter einer unsichtbaren Blase schon eine ganz andere Welt. In der selbst aberwitzigen Ideen Kraft und Raum zugesprochen wird. In der die Narren schließlich Staatsminister werden und der Zufall noch gute Dienste leistet, eben ein glücklicher Zufall ist.
…rauhe Wirklichkeit.
Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Atmosphäre trug, neben dem grandiosen Bühnenbild von Thomas Mogendorf, auch die stetige Hintergrundmusik von Manfred Knaak bei. Subtil, aber durchgängig unterstreicht sie die schauspielerischen Darbietungen und hebt sie so auf ein noch höheres Level. Das drehbare Bühnenbild schenkt beiden Inszenierungen den richtigen Raum: Der Märchenwelt eine Innenreich, harmonisch und einfach, aber begrenzt und gleichförmig. Der rauhen Geschichte eine übermannshohe Wand, wenig Spielraum nach vorne, Schlupflöcher zwischen den Wandritzen. Die eine Welt: beruhigendes Blau, reines Weiß. Die andere Welt: kaltes Schwarz, verzehrendes Rot.
Die schauspielerischen Leistungen können bei der Vielzahl an Rollen kaum einzeln betrachtet werden, schon gar nicht im Wechsel mit dem anderen Stück gesehen. Man müsste eine hervorragend verzweifelte Alina Wolff mit einer hervorragend verträumten Alina Wolff vergleichen. Oder eine fabelhafte vom Leben gezeichnete Barbara Ullmann mit einer fabelhaft maskenhaften Barbara Ullmann. Natürlich ebenso bei den Herren der Zunft. Der Mischung macht’s eben. Ein leicht tuntiger, müßiggehener Leonce (Daniel Kröhnert) erscheint im Wechsel mit einem revolutionären Legendre erst besonders, ebenso ein verhuschter König (Peter Singer) im Wechsel mit einem kaltblütigen Richter. Einzig Danton, grandios gespielt von Axel Holst, findet kein Pendant in der Traumwelt. Sein Danton verliert sich in seinen Alpträumen, bleibt gelähmt, wo er handeln sollte und stirbt schließlich ohne das Wichtigste in seinem Leben gelebt zu haben.
Fazit: Zwei Inszenierungen, die unterschiedlicher nicht sein können, aber nur gemeinsam ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Büchner mittels eines Bogenstrichs zusammen genommen. Der Ton, der dabei herauskommt: lang, skurill, bedrohlich, doch fast hypnotisch. Drei Stunden, die zwar nicht im Flug umgehen, aber die sich auf jeden Fall lohnen.
Fotos: Marco Piecuch
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