Von Andreas Gniffke
„Weinkultur? Wie geht denn das?“ Was im Theaterstück des Berliner Ensembles WEINKÖRPER als hypothetische Frage aufgeworfen wurde, fand seine Antwort auf eindrucksvolle Art und Weise im wundervollen Ambiente der Trierer Viehmarktthermen. In einem atemlosen Parforce-Ritt durch die Weinwelt begleiteten die knapp 70 Zuschauer drei verwirrte Weine auf ihrer Reise durch Anbaugebiete und Weinmoden, immer auf der Suche nach ihrer ureigenen Identität. Das Publikum war begeistert.
Eine aufwändige Bühne oder ausgefallene Kostüme brauchen die drei Schauspieler des Berliner Ensembles WEINKÖRPER nicht, wenn sie auf ihrer vom Deutschen Weininstitut ausgerichteten Tournee durch die deutschen Anbaugebiete in die Rolle von drei unterschiedlichen Weinen mit ganz unterschiedlicher Charakteristik schlüpfen. Ina Maria Jaich als etwas blasser Supermarkt-Weißwein, Caroline du Bled als kräftige, temperamentvolle Cuvée und Martin Heesch als irritierter Spätburgunder, dem möglicherweise doch noch etwas anderes beigemischt wurde, begeben sich von der Gärung an auf die Suche nach ihrer Identität. Wer bin ich? Was macht mich aus? Wo komme ich her? Das sind die Kernfragen dieser Suche.
Als die Besucher sich noch in geselliger Runde dem Weingenuss widmeten, hatte Martin Heesch als Elbling seinen ersten großen Auftritt. Inmitten des Riesling-Stammlandes verteidigte er leidenschaftlich sein Wesen voll ehrlicher Säure, was beim ein oder anderen Zuschauer für leichte Irritationen sorgte. „Ich bin sauer!“ – der Elbling verteidigte sein Anliegen leidenschaftlich und Heesch schaffte es souverän, Trierer Lokalkolorit mit der kulturellen Bedeutung des Weines in Verbindung zu bringen. Hier hatte sich Regisseur und Autor Heiko Michels sorgfältig eingearbeitet.
Auch das eigentliche Stück „es gärt“ machte von Beginn an deutlich, dass Wein weit mehr ist als ein Getränk. Wein ist überall. Es gärt im nahen Osten, Julian Assange als blasser Grauburgunder sorgt für Irritationen und in Stuttgart verhindert der Trollinger den Bahnhofsbau. Die Gärung bildete den Schwerpunkt des ersten Teils der gut 80minütigen Aufführung. Kein Wein weiß so recht was aus ihm wird und blubbert auf der aus Europaletten zusammengebauten Bühne seiner Reife entgegen. Im zweiten Teil steht eben diese Reife und der Genuss im Zentrum, wobei die Weine auch hier einen leicht ratlosen Eindruck machen. In Tauberfranken leidet Heesch als Tauberschwarz am Straßenrand, verlacht von den dominanten Rebsorten die im wahrsten Sinne des Wortes auf ihn herabschauen. Diese erkennen aber schließlich, dass die alte, ortstypische und autochthone Rebsorte einen besonderen Wert hat, was im leidenschaftlichen „Ich will eine Cuvée mit dir“ gipfelt. Schon längst ist deutlich geworden, worum es dem Autor geht. Jeder Wein verkörpert weit mehr als seine Rebsorte. Man schmeckt seine Herkunft, die Mühe und Sorgfalt des Winzers und die Kunst des Kellermeisters, auch der mittlerweile etwas überstrapazierte Begriff Terroir wird ins Feld geführt.
Glaubwürdig und unterhaltsam wird dies durch die Inszenierung, aber vor allem die Schauspielkunst des Ensembles. Martin Heesch verkörpert die fleisch- bzw. weingewordene Verwirrung perfekt und Ina Maria Jaich nimmt man den etwas blassen, nach grünem Apfel schmeckenden Weißwein verschiedener Anbaugebiete jederzeit ab. Ein Ereignis ist Caroline du Bled, die leidenschaftlich den körperreichen Rotwein lebt und deren kraftvolle Stimme souverän mit der eindrucksvollen, wenn auch etwas hallenden Akustik der Therme spielte. Gerade die Akustik stellte das Ensemble vor große Herausforderungen, doch die antiken Ruinen am Viehmarkt waren für Regisseur und Autor Heiko Michels erste Wahl: „Wir haben uns eine ganze Reihe von potentiellen Aufführungsorten in der Region angesehen, doch letztendlich war von Beginn an klar, dass wir unbedingt in die Thermen wollten. Wir wollten keinen klischeebelasteten typischen Weinort und die Thermen sind diesbezüglich ideal. Und letztendlich haben wir es ja auch geschafft, den Hall zu unserem Vorteil zu nutzen und unsere Schauspieler gehen ganz toll damit um.“
Die Weine werfen auch einen Blick zurück in die wilden 70er, eine Zeit ohne Regeln, voller wilder Kreuzungen und ungezügeltem Genuss bewusstseinserweiternder Pestizide. Die Szene endet in Rausch und Hysterie, doch am Ende steht der Kater am nächsten Morgen. Man war mehr Schein als Sein, die Weine hatten ihr Ich verloren und waren zu billigen Massenweinen verkommen.
Ohne zu viel vorweg zu nehmen, am Ende steht ein Plädoyer für den Weingenuss und all das, was Weine dem bewussten Konsumenten schenken können und da schließt sich der Bogen zwischen Wein und Kultur. Auch ein Theaterabend wie dieser regt die Phantasie an, dringt in das Bewusstsein ein und vermag Denkanstöße zu geben.
Die Zuschauer waren begeistert von der Aufführung und dankten es den Künstlern mit lang anhaltendem Applaus. Manch einer hatte angesichts der darstellerischen Leistung nach eigenen Angaben Gänsehaut und haderte etwas mit den Trierern. Tatsächlich waren einige Plätze frei geblieben und es bleibt zu hoffen, dass am heutigen Samstag ein paar Zuschauer mehr den Weg in die Viehmarktthermen finden. Auch wenn man mit dem Begriff ‚Weintheater‘ nicht unbedingt ein kulturelles Ereignis verbinden würde, so wird alles andere als eine betulich-romantisches Provinzposse geboten. Die Aufführung ist innovativ und kreativ und nimmt sich alle Freiheiten, das Thema aus verschiedenen Blickrichtungen zu beleuchten. Klagt man in Trier doch all zu gerne, dass man in der kulturellen Provinz lebt, wäre hier eine gute Gelegenheit, sich selbst einen wundervollen Theaterabend zu gönnen. Da kann kein Grillabend auf der heimischen Terrasse oder ein Besuch auf dem benachbarten Viehmarkt mithalten.
Karten gibt es zum Preis von 25 Euro an der Abendkasse. Inbegriffen ist eine Probe zum Stück passender Weine ab 19 Uhr, die Aufführung beginnt am Samstagabend um 20.30 Uhr. Die Veranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe ‚Mosel WeinKulturZeit‚.
WEITERE BILDER
ulrike und hans zisch meint
Hallo Herr Gniffke
Ihr Artikel zu Weinkörper hat uns ebenso
begeistert wie das Stück selbst.Sie haben auf wunderbare Weise den Inhalt festgehalten.
Grüße aus Mehring Ulli und Hans Zisch