„Mindfuck“ ist ein Wort, welches im Jargon von Cineasten Verwendung findet, wenn ein Film nicht den gängigen Strukturen folgt, wenn in einem im Idealfall komplett überraschenden Twist die ganze Geschichte mit einer schockierenden Wendung umgeworfen wird. Es gibt Filme, in denen nur die Auflösung für den sog. „Mindfuck“ sorgt und andere, die in ihrer kompletten Struktur darauf angelegt sind, eben nicht linear-konservativ Sinn zu ergeben. Wer „The Sixth Sense“ gesehen hat, kennt die Wirkung eines Schock-Endes, wem David Lynch ein Begriff ist, der weiß wie ein kompletter Film mit solchen Eigenschaften funktioniert…oder eben auch nicht.
Mit „Shutter Island“ hat sich vor sieben Jahren auch Regie-Legende Martin Scorsese in dieses Genre vorgewagt und ein vielschichtiges Ungetüm von einem Psychothriller erschaffen, welches in der Anlage seiner Zutaten extrem dem nun vorliegenden „A Cure for Wellness“ ähnelt. Ein charismatischer Hauptdarsteller, dessen Alter Ego einen mysteriösen Sachverhalt in einer abgelegenen, isolierten Anlage aufklären soll und langsam beginnt, an seinem Verstand zu zweifeln.
Hinter dem Film steht niemand geringerer als die einstige Blockbuster-Hoffnung Gore Verbinski, der einst mit „Fluch der Karibik“ ein totgeglaubtes Genre mit gigantischem Erfolg und einem unverwechselbarem Johnny Depp wiederbeleben konnte. Doch die Zeiten haben sich gewandelt, Verbinski ging mit dem all zu ähnlich konzipierten „Lone Ranger“ und einem Indianer-Jack Sparrow so dramatisch an den Kinokassen baden, dass sich beide bis heute nicht so wirklich von dem Millionengrab erholen konnten. Bei einem Budget von enormen 215 Millionen Dollar spielte der Film in den USA nicht mal 90 Millionen Dollar ein.
Mit „A Cure For Wellness“ backt Verbinski mittlerweile deutlich kleinere Brötchen. Losgelöst von Flop-Garant Johnny Depp, der sich immer noch in der Jack-Sparrow-Zeitschleife zu befinden scheint, wagt man sich an einen komplett neuen, selbst ausgearbeiteten Stoff. Dane DeHaan, der bisher vor allem in „Metallica: Through the Never“ und „The Amazing Spider-Man 2“ aufgefallen ist, spielt den jungen und unglaublich erfolgreichen Mr. Lockhart, der von seinem Unternehmen nach Europa geschickt wird, um seinen Chef Mr. Pembroke zurückzuholen. Schnell wird klar, dass in der traumhaft in den Schweizer Alpen gelegenen Kurklinik irgendetwas nicht stimmt.
Mehr zu verraten würde viel von der Faszination des Films kaputt machen, die er anfangs versprüht. In ungeheuer stilsicheren Bildern errichtet Verbinski ein elektrisierendes Story-Labyrinth, arbeitet gleich mehrfach Motive und Metaphern heraus und lässt den immer stärker zweifelnden Lockhart immer tiefer in die seltsame Einrichtung vordringen. Es gibt einige sanfte Schocks, es gibt wohl dosierte „Mindfuck“-Momente und alles ist in wahrhaft fantastische Production Values gekleidet. „A Cure for Wellness“ sieht toll aus und macht rein optisch unglaublich viel Spaß.
„Mindfuck“ funktioniert allerdings nur dann wirklich gut, wenn die Filme auch liefern können, also die Fäden, die Motive, die Protagonisten in irgendeiner Form vereinen können, um daraus den nicht für möglich gehaltenen „Aha“-Effekt zu erzielen. Gore Verbinski entgleisen ab dem zweiten Drittel sämtliche Handlungsfäden auf eine Weise, wie man es nach dem überaus souveränen ersten Drittel nicht für möglich gehalten hätte.
Der beinahe 150-minütige Film verläuft sich selbst in dem undurchsichtigen Gebäude, welches zunächst selbstbewusst und dann mit zunehmender Unsicherheit Geheimnis auf Geheimnis schichtet, ohne einen Ausweg aus der Sog-artigen Mystery-Misere zu kennen. Mit zunehmender Laufzeit laufen immer mehr Momente ins Leere, oft auch die im Trailer angeteaserten Schock-Momente, die dann schlicht keine Relevanz mehr im restlichen Verlauf haben. Dabei wirken mehrere Szenen bereits wie unfertige Abschluss-Momente, von denen man sich wünscht, dass der Film zu dem Zeitpunkt mit dem geringen Wissensstand des Zuschauers unmöglich zu Ende sein kann. Als dann der wahre Höhepunkt naht und seine Erklärungen für alles präsentiert, wünscht man sich beinahe zu diesen unfertigen Momenten zurück.
Verbinski setzt den Film gegen Ende derart mit Anlauf in den Sand, dass man sich fast wie in einem seiner „Fluch der Karibik“-Film fühlt. Der sorgfältige Aufbau, die scheinbar durchdachte Inszenierung diverser Motive, das subtil-präzise Spiel der Charaktere, der edle Look des Films….all das versinkt plötzlich in einem kruden Finale voller Overacting, vollkommen fehlplatzierter Effektarbeit und einem Genre-Twist, durch den „A Cure for Wellness“ eine der schmerzlichsten Bauchlandungen der jüngeren Kinogeschichte hinlegt.
Das Geld, um Gore Verbinski nochmal eine Chance zu geben, sollte man sich im Fall von „A Cure for Wellness“ leider Gottes sparen und lieber nochmal „Shutter Island“ einlegen. Scorsese’s Vorzeige-Werk offenbart auch nach mehreren Sichtungen noch eine Substanz, von der Verbinski’s Werk nur träumen kann.
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