Am Samstag, den 12. Oktober hatte die erste Tanztheater-Inszenierung dieser Spielzeit Premiere im Theater Trier. „Winterreise“ beschäftigt sich thematisch mit Schuberts „Winterreise“ und fand beim Publikum gebührende Anerkennung.
Es ist keine heitere Kunst, die einen an diesem Abend erwartet – Schuberts „Winterreise“, als eine komponierte Interpretation für Tenor und kleines Orchester. Für Orchester arrangiert von Hans Zender und Texten von Wilhelm Müller. Stimme verlieh Tenor Christian Sturm, die musikalische Leitung übernahm Joongbae Jee, die Inszenierung Sven Grützmacher. Das sind die harten Fakten.
Der Kern der Inszenierung ist nicht unbedingt hart, aber dafür schwer und bedrückend. Schuberts „Winterreise“ ist nicht gerade fröhlich stimmend. Eine Winterreise durchs Leben: kalt, dunkel, bedrückend, einsam, fast depressiv. Da fällt der Einstieg nicht leicht. Es geht schon wenig munter los, mit einem „Gute-Nacht-Ständchen“. Im Programmheft steht unter dem Titel der Szene schon: „Abschied. Gescheitert an Sprachlosigkeit. Jeder träumt seinen eigenen Traum.“ In diesem Zuge gehen die Szenenbeschreibungen weiter: „Schutzlos ausgesetzt. Sehnsucht nach ewiger Ruhe. Das Glück kennt kein Erbarmen. Ein Traum wird wahr – und nun?“ Nicht gerade erheitert zeichnen sie ein bedrückendes Bild von (wie immer) gescheiterter Liebe, dem hoffnungslosen Weitermachen im Leben, der Vereinsamung, dem Gefangensein in dem eigenen großen Geist, dem Ausschluss aus der Gemeinschaft, dem Altern nach unerfüllten Hoffnungen und schließlich dem erlösenden Tod.
Schuberts Musik und Müllers Gedichtzyklen werden von Hans Zenders Komposition für das Orchester erweitert, nicht nur Klavier und Sänger. Aber für unsere Zeit auch verdichtet, zusammengeführt, komprimiert. Dadurch schafft er eine neue fast sogartige Stimmung, die von den tänzerischen Bewegungen des Ballet-Ensembles aufgegriffen werden kann. In dieser Inszenierung mangelt es an einem gewiss nicht: Herzblut. Der Zuschauer merkt schnell, dass in diesem Projekt einiges von selbigem steckt:
Ideenreich und in die Tiefe gehend inszeniert, musikalisch dicht umgesetzt, mit einem engagierten Ensemble, das die Ideen der Inszenierung gekonnt transportiert. Gerade zum Ende hin wird die Atmosphäre immer dichter und hypnotischer, was nicht zuletzt an der gesanglichen Leistung und dauerhaft starken Präsenz von Tenor Christian Sturm liegt.
Die melancholische Grundstimmung reißt nicht in einer Sekunde ab, die Inszenierung und Choreographie sitzt, Orchester, Tänzer und Sänger bilden zusammen eine runde Sache. Atmosphärisch dicht wird hier nichts dem Zufall überlassen. Ein in sich geschlossenes Ding. Allerdings ist es auch genau das, was den Einstieg ins Stück so schwierig gestaltet. Gerade zu Anfang macht sich in den Rängen der Zuschauer schnell eine typische Unruhe breit. Worum es geht, wird schnell klar, doch wie soll man den Zugang finden, wenn die Inszenierung so zusammenhängend ist, dass kein Schlupflöchlein gelassen wurde? Nicht mal für den Zuschauer.
Man ahnt, dass es um Großes geht und kann die Leistungen aller Beteiligten nur gebührend honorieren und irgendwann ist man doch im Strudel der Großartigkeit drin. Aber der Weg dahin ist kein leichter. Das „Herzblut“ der Inszenierung muss erst die eigenen Venen füllen, um seine Wirkung voll zu erzielen. In einem Interview mit Dr. Peter Larsen, Musikdramaturg des Theaters Trier, sagt Grützmacher selbst, dass es darum geht, nachzufühlen, was Schubert gefühlt hat. Das kann man; aber erst wenn man selbst in der richtigen Stimmung dafür ist. Bis man soweit ist, dauert es einige Zeit.
Zeit, die man sich nehmen sollte, bei soviel Herzblut, welches durch die Adern dieser Inszenierung gepumpt wird. In dieser Inszenierung hat Grützmacher seine eigene Handschrift überarbeitet, fast wirkt die Choreographie wie etwas vollkommen Neues, was nur bedingt an die sonstigen Choreographien erinnert. Rückblickend wirken diese fast wie „Fingerübungen“, verglichen mit dem vorliegenden Werk. Das auch das Bühnenbild von ihm ist, zeigt nochmals, wie viel Grützmacher an dieser Produktion gelegen hat. Ein schier schwereloser Seelenraum, in dem der einsame Wanderer, gefangen, verschlossen und ausgegrenzt ist. Die Kostüme von Gera Graf sind wallend und feinsinnig, dann wieder steif und puppenartig, hart und zart. Gegensätzliches zusammengenommen in einem Bogenstrich, wie etwa die Tanzeinlage in Gummistiefeln.
Großes Lob an alle Beteiligten. Von der musikalischen Begleitung über den Gesang und den Tänzern bis hin zur Inszenierung. Ein Gewinn für Trier!
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