Das Interview führte Florian Schlecht
Er riss in Salmrohr einen Zaun nieder, erhielt eine Anzeige der Verbandsgemeinde Wittlich und bangte kurze Zeit um seine angestrebte Lehrerkarriere. Daraus wurde dann sowieso nichts, weil Philipp Köster im Jahr 2000 die “11Freunde” gründete, was keine ganz schlechte Idee war. Denn das Magazin für Fußballkultur ist aus dem Sportjournalismus in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Am Samstag (20 Uhr, Turnhalle Exhaus) hält Köster mit seinem Kollegen Jens Kirschneck eine Lesung in Trier zu Anekdoten um das runde Leder. 5vier sprach vorher mit dem Fan von Arminia Bielefeld über die Veranstaltung in Trier, Toilettenstunden mit Udo Lattek und natürlich über den gefallenen Zaun im Salmtal.
5vier: Was verbindet ein Fan von Arminia Bielefeld mit Trier?
Köster: Eintracht Trier, natürlich! Es ist ja das Phänomen, dass man sich viele Städte nur vom Fußballverein erschließen kann. Trier gehört für mich dazu, Worms kenne ich auch nur von der Wormatia und Koblenz durch die TuS. Ansonsten weiß ich, dass Trier eine wahnsinnige Studentenstadt ist und durch seine antiken Reichtümer bekannt ist. Fußballerisch ist Trier wahrscheinlich Diaspora und am Samstag fahren alle nach nach Kaiserslautern oder Frankfurt.
5vier: Arminia Bielefeld hat in der Diaspora im Herbst 2009 aber mal mit 2:4 im DFB-Pokal verloren…
Köster: Das war im Abstiegsjahr der Arminia aus der 2. Liga, ein langer, deprimierender Fluss, einfach grauenhaft. Wahrscheinlich erinnere ich mich deswegen nicht mehr daran. Tut mir echt leid.
5vier: Der Trainer von Eintracht Trier hieß damals Mario Basler. Wie konnte Bielefeld trotzdem rausfliegen?
Köster: Das wundert mich manchmal, dass Vereine mit Mario Basler als Trainer überhaupt noch was reißen. Was ist in Oberhausen passiert, als sie ihn rausgeschmissen haben? Die haben erst einmal drei Spiele in Folge gewonnen. Kleine Vereine haben aber oft einen Hang dazu, Trainer mit großen Namen zu verpflichten. Die Leute finden es super, wenn ein Mario Basler durch die Innenstadt latscht. Das Sportliche spielt da eine untergeordnete Rolle. In Bielefeld war das genauso, als der junge Fritz Walter hier gespielt hat.
5vier: Einen Moment lang müssen wir jetzt ernst werden. Sie sind in Salmrohr, rund 30 Kilometer von Trier, fast mal straffällig geworden.
Köster: Was heißt fast? Ich habe einen Zaun mit eingerissen, als ich beim Auswärtsspiel mit Arminia Bielefeld beim FSV Salmrohr im Fanblock war. Wir haben zurückgelegen. Dann fiel in der 80. Minute das 1:1 und in der 82. Minute das 1:2 für uns. Wir haben uns nach dem Siegtor vor Freude an den Zaun gehängt. Leider war der so schlecht verankert, dass er sofort runtergerissen ist. Als er kaputt ging, fuhr genau in dem Moment ein Polizeiwagen vorbei und filmte uns mit Kameras. Ein paar Wochen später waren wir im Sonderzug nach Meppen unterwegs. Ein paar Beamte haben mich gesehen und gesagt: ‚Von Ihnen brauchen wir auch mal die Adresse.‘ Dann haben sie mir formlos eine Anzeige zugestellt.
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5vier: Klingt nach einer harten Zeit.
Köster: Ich dachte, meine Kumpels im Sonderzug nehmen mich in Schutz. Aber die skandierten nur: »Das ist der Schlimmste von allen« und »Das ist der Chef der RAF!« Schönen Dank auch. Ich habe kurzzeitig sogar meine Karriere als Lehrer in Gefahr gesehen. Ein Jurastudent an der Uni Bielefeld, wo ich damals studiert habe, hat sogar prognostiziert: »Du kommst bestimmt ins Gefängnis« Dem Bürgermeister von Wittlich habe ich sogar einen Brief geschrieben, einen Teil des kaputten Zauns zu bezahlen. Er wollte aber, dass ich den Gesamtschaden komplett übernehme. Am Ende ist das Verfahren aber eingestellt worden. So musste ich gar nix zahlen, das war natürlich super.
5vier: Würde es für einen solchen Zaunfall in der heutigen Zeit schon Stadionverbot geben?
Köster: Wahrscheinlich! Heute wird man ja lebenslang aus den Stadien verbannt wird, wenn man im falschen Moment hustet.
5vier: Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Köster: Sie ist nicht erfreulich. Ich will nicht die 80er und 90er Jahre verklären. Aber die Freiräume für Fußballanhänger waren größer. Heute gibt es alleine 40, 50,Kameras in den Stadien, die nur auf die Fans gerichtet sind. Und Anfang der 90er Jahre waren Pyros das Stimmungsvollste überhaupt. Heute sind das alles gleich Schwerverbrecher.
5vier: Am Samstag ist die “11Freunde-Lesung” in Trier. Was erwartet die Besucher?
Köster: Wir lesen lustige Artikel aus dem Heft vor und zeigen jede Menge Filme. Die schönsten Schwalben, die größten Reporter-Pannen, die witzigsten Erlebnisse aus Interviews mit Lothar Matthäus und Andreas Brehme. Ein buntes Potpourri aus Anekdoten halt.
5vier: Können Sie Ihre Lieblingsgeschichte schon im Vorfeld verraten?
Köster: Ich erzähle gerne Geschichten aus dem Doppelpass. Das ist der Trinkerstammtisch, jeden Sonntag bei Sport 1. Der war natürlich besonders amüsant als Udo Lattek noch dabei war. Der wusste noch was Etikette ist. Ich ging mal, bevor ich den Gästeraum berat, noch schnell auf die Toilette. Da war Lattek auch. Ich zu ihm: ‚Hallo, Herr Lattek!‘ Er hat mich nichtmal ignoriert. Als wir wieder im Gästeraum standen, meinte er zu mir: ‚Jetzt können wir uns begrüßen.‘
5vier: Im Jahr 2000 haben Sie die “11Freunde” gegründet. Mittlerweile ist daraus eine echte Erfolgsstory geworden. Sind Sie davon überrascht?
Köster: Ich stehe oft selbst staunend davor. Wir sind als bundesweites Fanzine gestartet und wären zufrieden, wenn wir jeden Monat 15.000 Magazine verkaufen würden. Jetzt sind es jeden Monat 100.000.
5vier: Wie ist die Entwicklung zu erklären?
Köster: Sicherlich dadurch, dass Fußball seit Mitte der 90er Jahre wahnsinnig populär geworden ist. Wenn ich alleine an das 4:4 der Nationalmannschaft gegen Schweden denke – das wäre 2002 noch ein ganz normales Länderspiel gewesen. Da steht dann Jogi Löw mit einem fassungslosen Gesicht, Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl reden sich den Mund fusselig. Und ich sitze vor dem Fernseher und denke nur: »Mensch, Leute! War doch nur ein Unentschieden!«
5vier: 131 Ausgaben sind schon von der “11Freunde” erschienen. Was ist Ihre persönliche Lieblingsgeschichte?
Köster: Eine Story aus Ausgabe 3. Damals haben wir die Leserbriefredaktion des “kicker” verarscht, indem wir 200, 300, 400 Briefe mit Pseudonymen geschrieben haben. Da tauchten dann ein Rölf Töpper aus Wien, A. Dorno aus Tübingen, F. Loskel und einige James-Bond-Bösewichte im Heft auf. Wir haben uns wirklich bemüht, echten Schwachsinn zu schreiben, floskelesker als jeder kicker-Kommentar. ‚Wenn Otto geht, bebt der Betzenberg‘. Ich glaube, das hat dazu geführt, dass die Praktikanten dort nicht mehr die Rubrik “Leserbriefe” betreuen…
5vier: Und welches Highlight ist Ihnen bei der Produktion des Heftes in Erinnerung?
Köster: Großartig war, wie Lothar Matthäus bei unseren Interviews mit ihm in Budapest versucht hat, mit jeder Bediensteten des Hotels ins Gespräch zu kommen. Seine Frau, die anrief, drückte er ständig weg. Als das Handy aber klingelte und der Stanglwirt dran war, ein zweitklassiges Hotel in Österreich, ging er sofort dran.
Unser Redakteur Florian Schlecht erlebte im Interview mit Philipp Köster den täglichen Wahnsinn, der die 11Freunde auszeichnet. Mit wenigen Minuten Verspätung rief Köster aus dem Büro in Berlin zurück (“Ich musste noch die Fliegen vom Fernsehbildschirm verscheuchen”), ärgerte sich später über die Kinder im Hintergrund (“Ihr habt doch noch die Brote, die ich euch geschmiert habe”), um dann für wenige Sekunden entnervt das Handtuch zu werfen (“Ich rufe gleich wieder an, die Kinder werden unruhig”). Am Ende beantwortete der Chefredakteur des Magazins aber alle Fragen. Einen Besuch des Heimspiels von Eintracht Trier gegen den 1. FC Kaiserslautern II am Freitag lehnte er aber ab, weil er erst Samstag an die Mosel reist. “Außerdem will ich nur hochqualitativen Fußball sehen. Ich bin ja Fan von Arminia Bielefeld.”
Lothar meint
Einfach ein super Blatt! 🙂