Von Alexandra Geissler
Der Mörder ist immer der Gärtner? – Nein, das kann man von den Krimis des Schweden Arne Dahl nun nicht behaupten. „Arne Dahl“ ist nur ein Pseudonym. Im richtigen Leben heißt der Autor Jan Arnald, ist promovierter Literaturwissenschaftler und Herausgeber verschiedener Literaturzeitschriften. Seine Reihe um die so genannte A-Gruppe umfasst in deutscher Sprache mittlerweile neun Bücher, auf Schwedisch sind es schon elf. Erst in diesem Februar ist mit Opferzahl der letzte Band in Deutschland erschienen, mit dem sich der Autor zur Zeit auf Lesereise befindet. Anlass genug diese Krimi-Reihe in einer Art Schnelldurchlauf bei 5vier.de vorzustellen. Das Ermittler-Team des Autors besteht zu Beginn aus fünf Männern und einer Frau: Paul Hjelm, Jorge Chavez, Viggo Norlander, Arto Söderstedt, Gunnar Nyberg und Kerstin Holm. Sie verfolgen miteinander oder auch einzeln die verschiedenen Spuren und Fälle.
Zum Auftakt im ersten Band Misterioso lernt der Leser vor allem den Protagonisten Paul Hjelm kennen, dessen Ehe in der Krise steckt und dem ein Ermittlungsverfahren anhängt. Trotzdem beruft ihn sein Chef Olaf Hultin in die neue „Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter“, wie die A-Gruppe offiziell heißt. Er und seine neuen Kollegen sehen sich mit zunächst zwei eiskalten Morden an schwedischen Geschäftsleuten konfrontiert. Beide werden jeweils mit einem präzisen Kopfschuss in ihren Wohnungen gefunden. Die Spuren führen in unterschiedliche Richtungen. Welche Verbindung gibt es zwischen den Opfern und einer geheimen Loge? Kommt der Täter aus den Reihen der russischen Mafia? Oder liegen die Motive für die Morde doch in sexuellen Perversionen begründet? Arne Dahl nimmt viele Fäden auf und es verlangt vom Leser viel Konzentration, diesen zu folgen. Dies ist nicht negativ gemeint. Wer eine tiefgehende und detaillierte Spurensuche mag, ist bei Arne Dahl richtig.
Böses Blut, der zweite Band, hält für den Leser eine grausame Tötungsmethode bereit. Der Mörder zerfetzt seinen Opfern die Stimmbänder. Diese Methode, die die US-Armee während des Vietnam-Kriegs als Folter eingesetzt hatte, wendet auch ein Serienmörder in den USA an. Und so verlassen Paul Hjelm und Kerstin Holm das heimische Schweden und verfolgen die Spuren zusammen mit dem FBI. Opfer finden sich jedoch nicht nur im klassischen Krimi-Sinn unter den Toten sondern auch unter den Mitgliedern der A-Gruppe. Am Ende wird die A-Gruppe sogar aufgelöst.
Falsche Opfer: Ein Toter in einer Stockholmer Kneipe löst einen Tumult aus. Einer der Zeugen, Per Karlsson, war angeblich so vertieft in seine Lektüre von Ovids „Metamorphosen“, dass er nichts von dem Mord mitbekommen hat. In einem Hochsicherheitsgefängnis explodiert eine Bombe. Das Opfer ist die rechte Hand eines berüchtigten Drogenhändlers. Zwei verfeindete Banden versuchen einen Aktenkoffer an sich zu bringen, der einen Safeschlüssel enthält. Als die Polizei eintrifft, ist der Koffer verschwunden. Die Mitglieder der A-Gruppe, die nach der Auflösung des Teams in andere Abteilungen der Polizei versetzt wurden, müssen sich zusammenraufen, wieder zusammenfinden und erneut ein Team werden. Die Jagd nach den Verbrechern ist hoch spannend und oft ziemlich blutig. Arne Dahl bietet in diesem Band einiges auf. Er nimmt Kriegsverbrecher, Drogendealer, Pädophile und Nazis ins Visier. Und wer sind Orpheus und Eurydike? Und die „Metamorphosen“, die zu Beginn so unauffällig daherkamen, sind leitmotivisch eingewoben. Ein komplexer und äußerst spannender Krimi, der nichts für schwache Nerven ist.
In Tiefer Schmerz sieht sich der Leser erneut mit drei sehr unterschiedlichen Verbrechen konfrontiert: Im Vielfraß-Gehege eines Stockholmer Freilichtmuseums wird ein Mann tot aufgefunden – aufgefressen mit Haut und Haaren. Aus einem Asylantenheim verschwinden außerdem acht Ukrainerinnen fast spurlos über Nacht. Und dann wird ein fast neunzigjähriger jüdischer Hirnforscher auf dem jüdischen Friedhof tot aufgefunden. Er hängt kopfüber an einem Baum und in seiner Schläfe steckt eine dünne Metallnadel, die direkt ins Schmerzzentrum des Hirns führt. Erneut überschreitet Arne Dahl die Grenzen Schwedens. Die Jagd geht durch halb Europa, Mailand, Odessa und Weimar, und führt zurück bis in das Jahr 1945. Wer dachte Nazis gab und gibt es nur in Deutschland, wird in diesem Roman eines Besseren belehrt, was die Thematik nicht weniger bedrückend und unheimlich macht.
Der Titel Rosenrot lässt schon vermuten, dass der fünfte Krimi mit der „Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter“ um das Thema Liebe kreist. Während einer Polizeirazzia wird der Südafrikaner Winston Modisane getötet. Kerstin Holm führt das Verhör mit dem Schützen. Unerwartet wird sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Der Polizist der geschossen hat, ist Dag Lundmark, ihr ehemaliger Verlobter. Nach dem Verhör verschwindet er. Der Fall führt die Ermittler in das Milieu illegaler Einwanderer. Zwei andere Teammitglieder untersuchen einen vermeintlichen Suizid. Ein Einbrecher findet zufällig die Leiche Ola Ragnarssons. Dieser bezeichnet sich in seinem Abschiedsbrief als Serienmörder. Arne Dahl gewährt in Rosenrot tiefe Einblicke in die Vergangenheit und das Seelenleben von Kerstin Holm. Olaf Hultin, der Chef der A-Gruppe, geht in Pension und sucht in den Reihen der Teammitglieder nach einem Nachfolger. Eine Bewährungsprobe für die Spezialeinheit?
Ungeschoren beginnt an Mittsommer, der Sommersonnenwende. In Schweden ist dies Anlass zu ausgelassenen Feiern. In Stockholm werden vier Menschen ermordet aufgefunden. Sie scheinen nichts gemeinsam zu haben, nicht mal die Todesart, außer einem kleinen Detail. In den Kniekehlen entdeckt man eine Tätowierung. P U C K steht dort. Eine Abkürzung oder ein Wort? Was hat das mit den Ermittlungen gegen Jorge Chavez zu tun, die Paul Hjelm, jetzt Leiter der Stockolmer Abteilung für Interne Ermittlungen, führt? Vielleicht nichts. Die intellektuellen Spürnasen sind in diesem Arne Dahl-Krimi wieder einmal gefragt, denn der Autor stiftet nur zu gern Verwirrung. Dies ist eine seiner großen Stärken und für den Leser liegt nicht zuletzt darin der Reiz.
Der Titel Totenmesse deutet schon den gesamten Ton des siebten Krimis an. Der Band ist eindeutig in Moll komponiert, genau wie Mozarts Requiem („Totenmesse“). Paul Hjelms Frau wird in einen brutalen Banküberfall verwickelt. Doch die Täter interessieren sich nicht für das in der Bank verwahrte Geld. Vielmehr suchen sie nach einer Formel, die die Welt verändern kann. Wo ist die Formel? Und was beinhaltet sie? Die Ermittlungen gehen zurück bis nach Wolgograd während des Zweiten Weltkriegs. Dort trifft ein deutscher Scharfschütze auf seinen russischen Gegenspieler. Verwirrt? Verständlich. Aber Arne Dahl führt die Fäden auch dieses Mal wieder zusammen.
Im nächsten Fall fasst Arne Dahl erneut das heiße Eisen Pädophilie an. In Dunkelziffer verschwindet die 14jährige Emily während einer Klassenfahrt in den schwedischen Wäldern. Autos mit baltischem Kennzeichen wurden nahe des Tatortes gesichtet. Und eine Gruppe von verurteilten Pädophilen lebt ebenfalls in der Nähe. Dann wird in Stockholm ein Mann mit durchtrennter Kehle gefunden, später ein zweiter. Mordinstrument ist eine Klavierseite. Den Leser wird es kaum überraschen, dass Arne Dahl auch dieses Mal einen Weg findet, die beiden Fälle zu verbinden. Dunkelziffer konfrontiert einen mit den Abgründen der menschlichen Seele, ist bedrückend und fesselt seine Leser.
Résumé
Die einzelnen Geschichten wirken manchmal etwas konstruiert und man mag auch darüber diskutieren, ob es immer „mehrere“ Fälle sein müssen, die am Schluss zusammenkommen. Ein Reiz dieser Bücher liegt aber sicherlich in dem doch recht großen Ermittlerteam. Dies ermöglicht wechselnde Personenkonstellationen und bringt eine neue Dynamik in die Entwicklungen. Dies macht es aber auch schwer mit einem späteren Band einzusteigen. Der Autor hat, wie viele seiner skandinavischen Kollegen, eine Vorliebe für Naturbeschreibungen und –metaphern. Er mag es Personen genau zu beschreiben, lässt sich dabei aber manchmal vielleicht etwas zu sehr in die Innenperspektive fallen.
Der Leser, der den intellektuellen Krimi mag, sollte es auf jeden Fall mal mit den Büchern von Arne Dahl versuchen. Gute Nerven sind von Nutzen, denn der Autor beschreibt die Todesarten seiner Opfer und auch sonstige Gewalt mit einer gewissen Detailfreude.
Das Motto lautet: Unbedingt ausprobieren!
Arne Dahls neuestes Buch Opferzahl ist vor kurzen erschienen. Am kommenden Donnerstag (14. April) liest er daraus in der Mayerschen Interbook am Kornmarkt. Die Veranstaltung beginnt um 20.15 Uhr. Karten gibt es direkt in der Buchhandlung. Vorbestellungen über das Internet sind aber auch möglich (Link: www.mayersche.de). 5vier.de wird vor Ort sein und ausführlich darüber berichten.
Die Bücher von Arne Dahl sind im Piper-Verlag erschienen. Hardcover 19,90/19,95 €, Taschenbücher 8,95-9,95 €
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