Von Andreas Gniffke
Wein ist Genuss, ein Stück Kultur und Lebensart. Aber was hat dies mit politischen Grundsätzen und Demokratie zu tun? Rainer Balcerowiak, Politikredakteur bei der linken Tageszeitung Junge Welt, verfasst in seinem 2010 erschienen Bändchen ein leidenschaftliches Plädoyer für eine bewusst gelebte Genusskultur und bezieht klar Position gegen die Auswüchse der Globalisierung, den unheilvollen Einfluss von Weinkritik- und Journalismus auf Konsumenten und Produzenten sowie das Vorurteil, der Genuss hochwertiger Weine sei ein Privileg der Upperclass.
Politisch korrekter Weingenuss ist eine schwierige Sache. Dem sah sich auch Rainer Balcerowiak ausgesetzt. Denn wie sollte man inmitten eines festen politisch-linken Weltbilds mit einer ’96er Cabernet Sauvignon Private Reserve‘ vom kalifornischen Weingut Beringer verfahren, während man ansonsten gegen den Irakkrieg der USA und ihrer Verbündeter auf die Straße ging? Aus stillem Protest öffnete er den kleinen Schatz lange vor seiner perfekten Reifezeit und war dennoch begeistert. Seitdem strich er politisch-weltanschauliche Gründe weitestgehend aus dem Kriterienkatalog für die Weinauswahl.
Die politische Komponente erschließt sich dem Leser schnell, wenn Balcerowiak im Rahmen einer ‚Politischen Ökonomie des Weingenusses‘ Ansätze von linken Denkern (natürlich die unvermeidbaren Marx und Engels) mit (neo)liberalen Ansätzen der globalisierten Marktwirtschaft vergleicht. Letztere bemessen den Wert eines Produkts nach den Gesetzmäßigkeiten des Marktes, also dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Somit sind auch die Mondpreise für Weine von Kultweingütern leicht erklärbar und haben nur noch wenig mit dem eigentlichen ‚Wert‘ eines Weines zu tun, wenn man ihn nicht ausschließlich als Wertanlage begreift. Folgt man dagegen den Thesen von Marx und Engels, rücken die Produktionsbedingungen in den Mittelpunkt, will in diesem Fall meinen, dass die Arbeit des Winzers in Zusammenhang mit den regulären Kosten den Preis eines Weines bestimmen sollte.
Logisch also, dass eine in mühsamer Kleinarbeit produzierte Trockenbeerenauslese aus einem Steilhang teurer sein muss, als ein mit Vollernter aus großangelegten Weingärten gewonnener Wein oder gar der ‚Chateau Migraine‘ aus dem Tetrapack. Dessen Preis von 99 Cent im Discounter entspricht wahrscheinlich ebenso wenig dem ‚realen‘ Preis (ist nämlich deutlich zu teuer) wie die Spätlese des Moselwinzers von nebenan, der unter dem Druck des Marktes Preise senken muss, um überhaupt Erlöse erzielen zu können.
‚Ein Prosit auf die Globalisierung!‘?
Worum es dem Journalisten Balcerowiak wirklich geht, ist eine bewusste Weinkultur und die Erziehung der Verbraucher, sich für das Produkt Wein zu interessieren und hinter die Kulissen von Weinwerbung und Herstellungsmethoden zu blicken. Der Weinfreund wird überschwemmt von globalisierten Weinen, denen man die individuelle Prägung ihrer Herkunft nicht mehr anmerken kann. Wer will sich schon auf die Fahne schreiben, einen kalifornischen Shiraz tatsächlich noch von einem chilenischen unterscheiden zu können (Wie gesagt: Hier geht es um zunächst einmal um Massenweine, nicht um mögliche Spitzenerzeugnisse, bei denen tatsächlich Wert auf den individuellen Ausdruck gelegt worden sein könnte!).
Dem Verbraucher wird es ausgesprochen schwer gemacht, die Qualität eines Weins hinter dem stylischen Etikett und der großformatigen Werbung erkennen zu können. Doch so ganz will der Autor uns nicht aus der Verantwortung nehmen. Nur 13% des verfügbaren Einkommens geben die Deutschen für Nahrungsmittel aus und liegen so deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Es scheint für viele normal zu sein, zwar das neueste Smartphone besitzen zu wollen, im Supermarkt dann aber das abgepackte Billighackfleisch für 1,99 € aus dem Regal zu holen. Neben den bedenklichen Auswirkungen auf Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduzenten gehen auch wichtige regionale Identitäten, Gerichte und Erzeugnisse verloren. Wie selbstverständlich erwärmen wir Spaghetti alla Romana, aber wer stellt sich noch an den Herd und bereitet Teerdisch selbst zu?
Balcerowiak macht keinen Hehl daraus, dass er eine Meinung hat. Man merkt ihm auf jeder einzelnen Seite an, dass er dem Wein mit Haut und Haar verfallen ist und wie sehr ihn die beschriebenen negativen Auswüchse ärgern. Er legt wenig Wert auf eine ausgewogene und neutrale Darstellungsweise. Somit erinnert das Buch häufig eher an eine linke Kampfschrift als an ein journalistisch aufbereitetes Weinbuch. Den Lesegenuss trübt dies zunächst nicht, da der Autor den Leser häufig dazu einlädt, sich selbst Gedanken zu machen, eine eigene Meinung zu entwickeln.
Das schmale Bändchen (gerade einmal 120 großzügig bedruckte Seiten lang) krankt eher an einem etwas hektischen und zusammenhanglosen Stil, der zwar leicht und ohne Weinlatein daher kommt, aber oftmals den roten Faden zu verlieren droht. So kommt er von der unheilvollen ‚Geiz-ist-geil-Mentalität‘ der Verbraucher über Robert Parker und die Bedeutung der Weinjournalisten umgehend und ohne über ‚Los‘ zu gehen zur Rolle der Winzergenossenschaften in der NS-Zeit, um daran anschließend ein bewusst nicht-nationalistisches Loblied auf den deutschen Wein zu singen. Alles abgehandelt auf jeweils sechs Seiten. Es verstärkt sich der Eindruck, dass hier einzelne Kolumnen nahtlos aneinander gereiht wurden, was es dem Leser schwer macht, den durchaus scharfsinnigen Thesen des Autors zu folgen. Hat man sich einmal auf einen Gedanken eingelassen, kommt wenige Seiten später schon der nächste.
Dennoch lässt sich das Buch mit Gewinn lesen und auch wenn man nicht alle Thesen teilt, sollte man sie sich zumindest mal durch den Kopf gehen lassen. Am Besten bei einem guten Glas Wein!
Rainer Balcerowiak
Das demokratische Weinbuch
Mondo-Verlag Heidelberg 2010
128 Seiten, 14,95 €
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