Von Andreas Gniffke
Fußball und Leidenschaft – wohl nirgendwo auf der Welt sind diese Dinge so eng miteinander verbunden wie in Argentinien. So verwundert es nicht, dass sich diese enge Beziehung auch in der Literatur widerspiegelt. Fußball ist die große Oper, die den Betrachter mit der gesamten Klaviatur der Gefühle konfrontieren kann und ihn tief emotional zu berühren vermag. Eduardo Sacheris Geschichten zeugen von dieser Tiefe und zeigen, dass Fußball und Hochkultur durchaus Dinge sind, die gut miteinander harmonieren.
In der deutschsprachigen Literatur ist die Verbindung von Fußball und Literatur nur selten gelungen. Zwar gibt es Peter Handkes berühmte Erzählung ‚Die Angst des Tormanns beim Elfmeter‘ und sein Gedicht ‚Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968‘. Ansonsten waren aber nur wenige ernsthafte Versuche, Hochkultur und Fußballsport angemessen zu vereinen, von Erfolg gekrönt.
Im spanischsprachigen Raum scheint dies unproblematischer zu sein, man denke nur an ‚Alle unsere frühen Schlachten‘, den großartigen Erzählungsband von Javier Marías. ‚ Auch Jorge Valdano, der Philosoph unter den Fußballtrainern, der das Vorwort zur deutschen Version von Sacheris Erzählungen verfasst hat, zweifelte daran, ob diese auf den ersten Blick so weit auseinander liegenden Dinge tatsächlich gut zusammenpassen. „Ich hielt es immer für unmöglich, dass ein Spiel wie Fußball von einem anderen Spiel wie der Literatur sinnvoll gedeutet werden kann. Ich habe mich geirrt.“ Eduardo Sacheris Sprache ist mächtig, seine Bilder eindrucksvoll.
Die elf (wie viele sonst…) Geschichten packen den Leser unmittelbar und zeugen von der tiefen Liebe, die Argentinien dem Fußball und seinen Helden entgegenbringt. Zu vergleichen ist dieses tiefgehende Verhältnis mit der Liebe zum Tango, nicht zufällig verbindet Sacheri diese beiden identitätsstiftenden Elemente seines Landes im Titel seiner Sammlung.
Wobei, mit dem Tango ist es so eine Sache. Tatsächlich spielt dieser eine bedeutende Rolle in einer der Erzählungen. Es geht um ein Fußballduell zwischen Kindern zweier Stadtviertel. Geographisch nur wenige Straßen entfernt – für Felipe, Gustavo und die anderen aber ein Schritt in eine neue Welt. Ihre Gegner ziehen alle Register: Gespielt wird nicht auf der Straße sondern aufgrund guter Beziehungen auf einem richtigen Fußballplatz. Auf dem stehen richtige Tore, die nicht nur durch einen Haufen Steine auf dem Pflaster markiert wurden. Dazu tragen die Gegner Fußballschuhe mit Stollen, die jeden Zweikampf zu einer schmerzhaften Erfahrung machen. Aber am Schlimmsten ist der ‚Tango‘. Im Jahr 1978 bei der Weltmeisterschaft in Argentinien zum ersten Male eingesetzt, wird der so genannte Ball zum größten Widersacher der drei Kicker. Gnadenlos hart, versehen mit einer unberechenbaren Flugbahn. Doch am Ende siegt der Spielwitz der drei Helden über den technischen Fortschritt, wie, soll hier nicht verraten werden.
Sacheri, Professor für Geschichte, spielt viel mit der Vergangenheit. In einer anderen Erzählung vermag die Erinnerung an den Kampfesmut des eigenen Bruders in einem nahezu aussichtslosen Spiel vor 20 Jahren, Hoffnung auf den Sieg über den Tod im Kampf gegen eine ebenso aussichtslose Krankheit zu vermitteln. Auch der Rückblick auf Diego, den großen aber oft tragischen Sohn des Landes, ist weit mehr als ein wehmütiger Blick in die Vergangenheit. Jedem Fußballanhänger der Welt ist das legendäre Spiel Maradonas gegen England 1986 in Mexiko in Erinnerung.
Zum einen durch die Hand Gottes, den vielleicht dreistesten Betrug der Weltmeisterschaftsgeschichte, auf die wenig später aber eines der schönsten Tore aller Zeiten folgte. Doch Diegos legendäres Dribbling gegen die gesamte britische Defensive war weit mehr als ein schönes Tor eines brillanten Fußballers. Es verkörpert den Sieg über den Kontrahenten, dem man nur wenige Jahre zuvor im Krieg um die Falklandinseln unterlegen war. Um ein Tor als späte Genugtuung für einen verlorenen militärischen Kampf anzusehen, muss man schon ein sehr großer Fußballfan sein: „Der Diebstahl war gut, aber zu wenig, weil der Diebstahl der anderen zu groß war. Deshalb war es nötig, sie zu demütigen; mit einem Tor, das immer und immer wieder gezeigt würde, in jedem Winkel der Welt.“
Jenseits aller Klischees ist die Liebe für den eigenen Verein eine tiefsitzende Leidenschaft und wohl jeder Fan kann die Freude des Vaters des kleinen Raulito nachvollziehen die dieser empfindet, als sein kleiner Sohn zum ersten Mal über eine Niederlage des favorisierten Vereins weint. Auch wir werden weiterhin unserem Verein beistehen, obwohl dieser in der Regel mehr Leid als Freud, mehr Enttäuschung als Euphorie für uns bereithalten wird. Was für den Fußball gilt, ist ebenso im Leben, oder mit den Worten von Eduardo Sacheri: : „Seiner Meinung nach wurde man von der Liebe überwältigt, war Liebe keine Sache der Wahl. Wenn überhaupt, dann wählte die Liebe aus, überwältigte einen.“
Eduardo Sacheri
Die Hand Gottes und andere Tangos: Fußballgeschichten
Berlin Verlag, 192 Seiten
Gebundene Ausgabe 19,90 €
Fotos: Berlin Verlag
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