Das bereits 1991 im Original erschienene Buch gilt als einer der Meilensteine im qualitativ außerordentlich heterogenen Genre der Hooliganliteratur. Bill Buford taucht tief ein in die oftmals brutale und normalerweise streng abgeschottete Hooliganszene von Manchester United und muss am eigenen Leib erfahren, wie leicht die Grenze von Faszination und Extase hin zur puren Lust auf Gewalt überschritten werden kann.
Ein amerikanischer Akademiker und Herausgeber einer Literaturzeitschrift. Kaum jemand scheint schlechter geeignet zu sein, ein Buch über das Innenleben der britischen Hooligankultur in ihrer Blütezeit der 80er Jahre zu verfassen. Ein erster Kontakt auf einem kleinen Bahnhof in der walisischen Provinz lässt Buford nicht mehr los und sein zunächst akademisch-journalistisches Interesse mischt sich bald mit echter Faszination. Man denkt schnell an Günther Wallraff, wenn sich der amerikanische Schöngeist Respekt in der Szene erwirbt und zum zunächst lediglich akzeptierten, später auch respektierten Teil der Gruppe wird. Mit dem Notizbuch in der Tasche folgt er den Hooligans auf ihren Reisen durch England und Europa und ist mittendrin statt nur dabei.
Mit unseren ‚Hooligans‘ wird es immer schlimmer. Sie sind ein übler Auswuchs des Gemeinwesens, und am schlimmsten ist, daß sie sich vermehren und daß Schulbehörden und Gefängnisse, Polizeirichter und Philanthropen sie anscheinend nicht auf den Pfad der Tugend bringen können. Andere Großstädte mögen Elemente hervorbringen, die dem Staat gefährlicher werden können. Dennoch ist der ‚Hooligan‘ ein abscheulicher Auswurf unserer Zivilisation. The Times, 30. Oktober 1980
Gewalt im Umfeld von Fußballspielen hat eine lange, unheilvolle Tradition. Die stärksten Momente hat Bufords Buch immer dann, wenn er direkt aus dem Auge des Orkans berichtet, mit einer Intensität, die den SPIEGEL in einer Rezension an Ernst Jünger erinnerte. Auch den Leser packt der Zwiespalt zwischen Faszination und Ekel, wenn aus einer euphorisierten Masse heraus alle Grenzen und Regeln überschritten werden. Der zunächst interessierte, aber distanzierte Beobachter überschreitet immer mehr die Grenzen, erliegt dem Adrenalinrausch und der Lust an Gewalt und Selbstüberwindung. Immer wieder richtet Buford den Blick in sein Inneres, ist überrascht und manchmal angeekelt über die Empfindungen, die die Grenzüberschreitungen bei ihm ausgelöst hatten. „Später wurde mir klar, daß ich mich in einer Art Rauschzustand, einer Adrenalin-Euphorie, befunden hatte. Und zum erstenmal kann ich die Worte verstehen, mit denen sie diesen Zustand beschreiben. Daß die Gewalttätigkeit in der Masse eine Droge für sie sei. Und was war sie für mich? Die Erfahrung absoluten Erfülltseins.“
Bereits zu Beginn des Buches beschreibt Buford quälend ausführlich die Gewaltexzesse englischer Fans anlässlich des Europapokalspiels von Manchester United in Turin vom Frühjahr 1984. Zum ersten Mal spürt der Autor am eigenen Leib was es bedeutet, Teil einer von außen angefeindeten Masse in einem fremden Land zu sein. Spürt das Gemeinschaftsgefühl in der Auseinandersetzung mit Polizei und gegnerischen Fans. Erlernt die geradezu militärischen Regeln, mit denen das vermeintliche Chaos organisiert wird. Und er beginnt es zu genießen.
Manches dagegen wirkt einfach absurd. So zum Beispiel die Anekdote, als sich hunderte beinharter Manchester-Hooligans an einem U-Bahn-Eingang von sage und schreibe zwei Polizeihunden samt Hundeführer aufhalten lassen:
Jemand kreischte: ‚Hund! Hund! Hund!‘ Das verstand ich überhaupt nicht. Eben hatten sie noch ‚kill, kill, kill‘ gerufen; jetzt schrien sie ‚Hund! Hund! Hund!‘. […] Als die ersten Fans die Türen aufstießen, müssen sie von zwei kräftigen Schäferhunden empfangen worden sein, die ihnen an die Kehle wollten. Die zwei Hundeführer – sonst waren keine Polizisten da – hatten einen grölenden Mob von tausend Menschen zurückgeschlagen.
Schwächen zeigt Geil auf Gewalt immer dann, wenn der Autor versucht, die Auswüchse soziologisch-psychologisch zu erklären und als Referenzen ausführlich Untersuchungen von Gewährsmännern wie Gabriel Tarde, Gustave Le Bon oder Sigmund Freud zitiert. Dies führt zu einem deutlichen Bruch in der ansonsten atemlosen Erzählweise und trägt leider zu keinem Zeitpunkt dazu bei, dem Leser ein sinnvolles Erklärungsmuster für die beschriebenen Taten an die Hand zu geben.
Auch wenn Buford immer mehr der Anziehungskraft von Gruppendynamik und Gewalt zu verfallen scheint, so widern ihn die dunklen Schatten dieser Kultur an. Als einige seiner neuen ‚Freunde‘ ihn zu einer Feier der rechtsextremen National Front einladen, beginnt er zu erkennen, wie eng das Verhalten der Masse im Fußballstadion dem rechtsextremer Vereinigungen ähnelt und dass diese nahezu zwangsläufig das Stadion als ideales Rekrutierungsbecken verwenden. Buford ahnt, dass er vielleicht zu weit gegangen war und dass er die journalistische Distanz verloren hatte. Er beginnt sich zurückzuziehen, kehrt aber anlässlich der Weltmeisterschaft 1990 in Italien zurück. Zurück in die Masse, zurück in das Auge des Orkans. Und diesmal erwischt es den Journalisten. Inmitten von Auseinandersetzungen mit der italienischen Polizei auf Sardinien wird er verletzt und von Polizisten niedergeknüppelt. Und fühlt im Moment des Schmerzes so etwas wie Verständnis für den Hass seiner Peiniger.
Bill Buford
Geil auf Gewalt. Unter Hooligans
Originaltitel: Among the Thugs
Goldmann, 9,95 €
Fotos: Andreas Gniffke, Goldmann Verlag
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