Jedes Jahr im Oktober verleiht der Friedhelm Merz Verlag als Gastgeber der Messe SPIEL in Essen den Publikumspreis „Deutscher Spielepreis“ für das beste Spiel und für das beste Kinderspiel, und zeitgleich prämiert die Stadt Essen die beste Spielregel mit der „Goldenen Feder“. Unser Spieleexperte Stephan Nestel hat sich rechtzeitig vor Weihnachten die Preisträger genau angesehen. Den Anfang seiner kleinen Serie über die Gewinner 2014 macht „Russian Railroads, Gewinner in der Kategorie „bestes Spiel“.

Russian Railroads: Bestes Spiel im Deutschen Spielepreis 2014. Foto: Friedhelm Merz Verlag, Hans im Glück Verlag
„Also Du bist stark auf Arbeiter gegangen, und ich auf Verdopplungen – aber das hätte auch anders laufen können, wenn nämlich…“ (Der Sieger unserer ersten Testrunde, ca. 5 Minuten, nach der Endwertung.)

Russian Railroads
Man sieht, der Sieger des Deutschen Spielepreises 2014 ist kein Spiel, bei dem einem die richtige Strategie sofort ins Auge springt, zu vielfältig sind die verschiedenen Möglichkeiten, an die begehrten Siegpunkte zu kommen. Da zeigt sich deutlich, dass dieser Preis ein Publikumspreis ist, über den Leute entscheiden, für die Spiele mehr sind als nur ein gelegentlicher Zeitvertreib. Da kommen Anspruch und Wiederspielwert vor Einfachheit. Wer lange Freude an einem Spiel haben will, der ist hier gut beraten, für Gelegenheitsspieler die im Jahr nur ein, zwei Abende am Spieltisch verbringen ist „Russian Railroads“ wohl zu komplex. Der Hans im Glück Verlag selbst bezeichnet das Spiel als „eher etwas für erfahrene Spieler“ – das Schlüsselwort hier ist „eher“: Ja, man muss durchaus die Bereitschaft mitbringen, etwas Zeit in die Spielregeln zu investieren, aber die Regeln sind nicht so kompliziert, dass sie für Einsteiger nicht zu meistern wären. Nach unseren Runden sehe ich ein Problem eher dann, wenn Spieler mit viel Erfahrung in komplexen Spielen gegen unerfahrene Anfänger spielen. Erfahrung mit dieser Art von Spielen ist da einfach ein großer Vorteil.
Der perfekte Fahrplan: Die Spielregel

Ohne nachdenken geht es nicht, will man die Konkurrenz abhängen. Foto: Stephan Nestel
Die Spieregeln selbst sind dank des vorbildlichen Regelheftes gut zu erlernen. Da hat sich der Verlag an den Aufbau gehalten, der ihm letztes Jahr für Die Paläste von Carrara die Essener Feder für die beste Spielregel eingebracht hatte: Spielaufbau, Spielablauf und mögliche Sonderfälle sind übersichtlich beschrieben, mit Illustrationen verdeutlicht und zur schnelleren Orientierung beim Durchblättern sind die einzelnen Kapitel auch noch farblich markiert. Da brauchen auch Gelegenheitsspieler nicht allzu lange, um sich zurechtzufinden und von den Regeln sollte sich niemand abschrecken lassen.
Gespielt wird nach einem „Worker Placement“ System, will heißen: Jeder Spieler hat zu Beginn einer Runde eine Anzahl von Arbeitern, die es geschickt einzusetzen gilt: Man kann neue Gleise verlegen oder bestehende Bahnlinien ausbauen, Lokomotiven in Betrieb nehmen oder Fabriken errichten, Ingenieure anheuern oder sich über Sonderaktionen Geld, zusätzliche Arbeiter und Wertungsvorteile sichern. Die meisten Aktionen haben verschiedene Auswirkungen, eine Strategie mit Sieg-Garantie gibt es nicht. Das alleine sorgt schon für einen hohen Wiederspielwert, aber zusätzlich gibt es noch Zufallselemente, die zusätzlich für Unterschiede zwischen den Runden sorgen. Der Spielplan an sich dient rein dem Einsatz der Arbeiter, seine Fortschritte hält jeder Spieler auf einem eigenen Spielertableau fest. Hier baut er seine Strecken, setzt seine Loks und Fabriken ein und das Tableau zeigt auch die Unterschiede der einzelnen Linien. Jede Linie bringt bei ihrem Ausbau andere Vorteile, beispielsweise Siegpunkte oder Ressourcen.
Ein Plan für alle Spieler

Der Gewinner: So sah das Spielertableau des Siegers unserer ersten Runde aus. Foto: Stephan Nestel
Das Spiel lässt sich zu zweit spielen, der Spielplan ist beidseitig bedruckt und erlaubt so ein an die Spielerzahl angepasstes Spiel.In der Vollbesetzung von Leuten geht ein Spiel über sieben Runden. Jede Runde setzen die Spieler Ihre Figuren solange reihum auf die Aktionsfelder des Spielplans, bis niemand mehr spielen kann oder will. Da viele Aktionsfelder nur von einem Arbeiter besetzt werden können, schwinden im Laufe der Runde natürlich die Handlungsspielräume und man muss immer wieder umplanen, wenn einem ein begehrtes Feld weggeschnappt wird. Am Ende jeder Runde gibt es eine Zwischenwertung, da kann es nach zwei, drei Runden so aussehen, als hätte jemand das Spiel schon in der Tasche – lasst Euch davon nicht täuschen, wir haben es oft genug erlebt, dass sich dann alles nochmal gedreht hat, wenn eine Taktik ihre Früchte erst spät getragen hat.
Das Spielmaterial überzeugt durch gute Qualität, die Holzteile sind sauber gearbeitet und lackiert, der Karton ist schwer und stabil und – was in meinen Augen mit das Wichtigste für ein gelungenes Spiel ist – die Illustrationen sind schön und stimmungsvoll gestaltet, man sieht, dass da nicht gespart wurde.
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Fazit
„Russian Railroads“ richtet sich an erfahrene Spieler und solche, die es werden wollen. Für ein klassisches Familienspiel ist es etwas zu anspruchsvoll, aber dank eines hervorragend gestalteten Regelhefts sind die Hürden für motivierte Einsteiger nicht zu hoch. Wer sich darauf einlässt, der bekommt ein wunderschön gestaltetes und gut erklärtes Spiel, das auch nach vielen Partien nicht langweilig wird.
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