Von Andreas Maldener
Dokumentationen und Reportagen über Fußballspieler genießen oftmals lediglich in kleinen Teilen der Szene und bei eingefleischten Fans Anerkennung. Dem Filmemacher und Grimme-Preisträger Aljoscha Pause ist mit „Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“ jedoch ein Werk gelungen, dass nicht nur in Fachzeitschriften für Furore sorgte. Sieben Jahre lang hat Pause Broich begleitet und die Höhen und Tiefen seiner Karriere hautnah verfolgen können. Schon deswegen verdient dieses einzigartige Porträt das Attribut Meisterwerk.
Der Beach-Boy und sein zweiter Frühling“, so titelte das „Aktuelle Sportstudio“ Ende März anlässlich des Besuchs von Fußballer Thomas Broich auf dem Mainzer Lerchenberg. Gerade hatte ebenjener Broich mit dem australischen Club Brisbane Roars zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte die Landesmeisterschaft errungen. Michael Steinbrecher sollte mit dem 30-jährigen gebürtigen Münchner über seine Zeit auf dem Kontinent am Ende der Welt sinnieren.
Dass Thomas Broich schon einmal Gast in einer der renommiertesten deutschen Sportsendungen sein durfte, sollten ein Gros der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt schon verdrängt haben: Es war im Mai 2004, als Broich Johannes B. Kerner gegenüber saß, er hatte soeben mit seinem Verein Borussia Mönchengladbach den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft. Ob er sich den als Hoffnungsträger verstehe, fragte Kerner den damals 24 Jahre alten Mittelfeldspieler, wohl in der Hoffnung, im Vorlauf auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 einen typischen Spruch diktiert zu bekommen. Einen Spruch eben, der in die schnelllebige Welt des Fußball passt, in der du heute noch der gefeierte Held bist, morgen aber schon der Sündenbock sein kannst. „Nein!“, kontert Broich bestimmt, „darauf habe ich einfach keinen Bock.“
Broich – Ein anderer Fußballer?
Es ist nur eine einzige Szene, eine klitzekleine Sequenz aus dem 135-minütigen Meisterstück des Filmemachers und Grimme-Preisträgers Aljoscha Pause. Und dennoch genügt diese Aussage, um zu beweisen, dass Broich, der damals noch in den Kinderschuhen seiner Karriere steckte, nicht der typische Fußballer war, wie ihn Deutschland bisher kannte.
Doch 2004 schien für ihn noch alles in bester Ordnung: Über den Münchner Vorort Unterhaching und Wacher Burghausen schaffte Broich den Sprung ins Fußball-Oberhaus, in der U21-Nationalmannschaft fiel sein Name in einem Atemzug mit den Podolskis, Schweinsteigers und Lahms. Die Fußballbranche lag ihm beinahe zu Füßen, sein Spielwitz und seine technischen Fähigkeiten wurden Mal um Mal mit Superlativen etikettiert. Vergleiche mit dem französischen Genie Zinédine Zidane kamen auf, wie Broich sogar in seiner E-Mail-Adresse „[email protected]“ zu erkennen gibt. Doch die Medien lieben ihn nicht nur für seine Qualitäten auf dem Rasen, auch abseits des Spielfeldes lässt sich mit Broich im Boulevard ordentlich Quote machen. Sein ungewöhnliches Privatleben – anspruchsvolle Lektüre sogar im Ermüdungsbecken, Klavier, Gitarre – bringen ihm den Spitznamen „Mozart ein“, er ist eben der „andere Superstar“. Broich selbst scheint sich in dieser Rolle nicht einmal unwohl zu fühlen.
Doch schnell folgen die ersten Rückschläge. Am Bökelberg hat das Abstiegsgespenst Einzug genommen, mit dem holländischen „General“ Dick Advocaat setzt man den Fohlen einen echten Machtmenschen vor die Brust. Der filigrane, feinfühlige Broich eckt da schnell an, es zieht ihn im Sommer 2006 zum 1. FC Köln in die zweite Bundesliga. Das „Sommermärchen“, wohlgemerkt ohne ihn in der Hauptrolle, war da bereits Geschichte. Unter Trainer-Guru Christoph Daum steigt der FC zwar in die Bundesliga auf, doch Broich kann für den in Köln abgöttisch geliebten Trainer nur wenige Sympathien entwickeln.
Karrieretief als Neuanfang
So führt sein Weg weiter zum 1. FC Nürnberg, wo Broichs Karriere endgültig ihren Tiefpunkt zu finden scheint. Er selbst beschreibt im Film seine damalige Situation mit dem Neologismus einer „ausgewachsenen Fußball-Depression“. Erschreckend ehrlich erklärt der Profi, wie und warum er schließlich den Entschluss fasste, die Reißleine zu ziehen. Raus aus der Bundesliga! Raus aus dem tristen Alltag, den negativen Erfahrungen! „Es wird Zeit, dass ich abhaue“, sagte er.
Schlussendlich wechselt Thomas Broich nach Australien, und seine Geschichte, die sowieso schon eine ganz besondere war, nimmt eine entscheidende Wendung. In einem dramatischen Finale gewinnt er zusammen mit seinem Verein Brisbane Roars trotz 0:2-Rückstand im Elfmeterschießen die australische Meisterschaft, wird gar zum zweitbesten Spieler der Saison gewählt. Dass es Broich, dem anderen Fußballer, jedoch nicht mehr primär um solche Erfolge geht, bringt er auch zum Ausdruck.
Aljoscha Pause gelingt mit „Tom meets Zizou – Kein Sommermärchen“ die wohl tiefgründigste Auseinandersetzung mit einer Branche, die nur noch dann sich selbst und ihre diversen Perversionen reflektiert, wenn persönliche Schicksale es zwingend erforderlich machen. Der Profifußball ist zu einem Konstrukt geworden, doch hinter der hochstilisierten Fassade verstecken sich Einzelschicksale. Junge Profifußballer in einer fremden Welt, deren Probleme nicht unbedingt auf dem Platz zu suchen sind, weil sie tiefgründiger sind. Pause ist es gelungen, dank eines äußerst offenen und ehrlichen Thomas Broich einen solchen Profi aus nächster Nähe zu porträtieren. Ein Meisterstück, dass – ähnlich wie die Meisterschaft der Brisbane Roars um Thomas Broich – Seltenheitswert genießt.
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