Obwohl es in den Medien schon seit einigen Wochen nicht mehr Thema Nummer eins ist, kann man die schrecklichen Bilder, die uns Anfang des letzten Monats aus Japan erreicht haben nicht vergessen. 5vier-Redakteurin Stefanie Braun sprach mit Ellen Friese, einer Japanologie- Studentin aus Trier, die zum Zeitpunkt des Tsunamis in Japan lebte.
Ellen Friese ist Japanologie-Studentin an der Uni Trier und brach im September letzten Jahres zu einem Auslandsjahr nach Japan auf, sie lebte in Hirosaki einer Stadt in der Präfektur Aomori im Norden Japans. Gegen Ende März kam sie allerdings schon wieder zurück; die Gründe für diesen verfrühten Abbruch ihres Auslandaufenthalts werden wohl jedem noch aus den Medien bekannt sein. Als ich mich mit ihr in der Mensa der Uni treffe, fällt mir als erstes auf, dass die ehemals Rothaarige inzwischen erblondet ist. „Das Chlorwasser in Japan hat meine Haare ziemlich zerstört.“ lacht sie. Chlorwasser? Man denkt sofort an Maßnahmen, die nach dem Tsunami und des darauf folgenden atomaren „Zwischenfalls“ getroffen worden sind. „Nein,“ sagt sie, „das Leitungswasser in Japan ist immer gechlort. Ähnlich wie in Luxemburg.“
Das Interview ist spontan zustandegekommen, deshalb bin ich kaum vorbereitet und auch jetzt fällt es mir schwer, die vielen Fragen in meinem Kopf in eine logische Ordnung zu bringen und deshalb frage ich sie erst einmal nach dem, womit alles angefangen hat: dem Erdbeben.
Zwei Tage vorher gab es schon ein ziemlich starkes Erdbeben, sagt sie und wird ganz aufgeregt, es war das erste was sie jemals erlebt hat. Es dauerte nicht lange, vielleicht eine halbe Minute, aber das sei bei einem Erdbeben auch schwer einzuschätzen. Ihre japanischen Nachbarn sagten ihr gleich, dass es nicht bei diesem einen Erdbeben bleiben würde, sondern das erfahrungsgemäß noch schwerere folgen würden. Das beruhigte sie nicht gerade, aber solche Prognosen kann man meist nicht beeinflussen. Als es dann zwei Tage danach so weit war, saß sie gerade in ihrer Wohnung am PC und wunderte sich darüber, dass das Licht flackerte, bis die Erde anfing zu beben. „Man muss sich das so vorstellen, als würdest du auf einer Platte stehen, die jemand unter deinen Füßen hin und her zieht.“ erklärt Ellen. Deshalb konnte sie auch lange nicht aufstehen und sich unterstellen, da sie Angst hatte direkt wieder umzufallen. Nach vier Minuten hörte es dann endlich auf. Eine Zeitspanne, die uns als Werbepause schon unerträglich erscheint.
Wieder versuchte sie sich an ihren Nachbarn zu orientieren, doch die kamen nur einmal kurz heraus um zu sehen ob mit ihren Häusern alles in Ordnung sei und sind dann stillschweigend wieder hineingegangen. „Für die Japaner war das alles nichts ungewöhnliches, aber ich hatte dringenden Redebedarf“, so schildert sie es. Auch als die vielen Nachbeben kamen und dann plötzlich der Strom wegfiel, ist sie schließlich zu einem befreundeten Austauschstudenten, bei dem sich bereits andere Ausländer und sogar einige Vertreter der Uni versammelt hatten und erst einmal fragten, ob es allen gut ging und ob man etwas von anderen gehört hätte. „Leider wussten wir alle gar nichts.“ Nur von einer Tsunamiwarnung hatten sie gehört, aber das schien bei einem größeren Erdbeben normal zu sein. „Wir dachten, dass es ja nur eine Vorsichtsmaßnahme ist, die sowieso immer mit herausgegeben wird und deshalb musste ja kein Tsunami kommen.“
Was sie dann den ganzen Tag gemacht hat, will ich wissen, da ich mir kaum vorstellen kann, dass man nach so einem Erdbeben einfach wieder nach Hause spaziert.
„Wir sind den ganzen Tag zusammen durch die Stadt gegangen und haben etwas gegessen. Es war ja alles nur sehr provisorisch, weil es keinen Strom gab. Supermärkte hatten Stände mit den wichtigsten Lebensmitteln wie Wasser und Reis aufgebaut und ansonsten Sachen, die man schnell machen konnte.“ Ansonsten konnte man nicht viel tun, vor allem weil es schnell richtig dunkel wurde. „Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie dunkel es werden kann.“ Und auch wie kalt, denn japanische Häuser sind dünn gebaut, damit sie bei Erdbeben mitschwingen und nicht gleich zusammenfallen; das hat leider den Nachteil, dass sie nicht besonders gut isoliert sind. „Ich habe mich dick angezogen und um acht Uhr abends ins Bett gelegt, es waren ja -5 Grad in meiner Wohnung! Also drinnen genauso kalt wie draußen, nur eben ohne Wind. Wenigstens konnte ich mir noch Tee kochen, die meisten Haushalte hatten ja auch kein fließendes Wasser.“
Das leuchtet mir nicht ein. Wie konntest du denn Wasser kochen ohne Strom? Die Antwort ist überraschend simpel.
„Mit Gas. Japanische Haushalte kennen solche Stromplatten wie wir sie haben gar nicht. Allerdings ist auch das erste, was Japaner nach einem Erdbeben kontrollieren, ob der Gasanschluss noch richtig zu ist.“ Das leuchtet mir auch nicht ein.
„Auf jeden Fall war es furchtbar kalt und es gab in der ersten Nacht immer wieder Nachbeben, die meisten habe ich verschlafen, aber ein paar waren heftig. Am nächsten Tag haben wir ausländischen Studierenden zusammen gekocht und gegen Nachmittag gab es dann wieder Strom. Als erstes haben wir natürlich alles angemacht, den PC, die Handys aufgeladen und den Fernseher eingeschaltet.“ In dem Moment gab es im ersten Reaktor gerade eine Explosion. „Wir wussten, dass es einen Tsnumai gegeben hatte, aber wir kannten die Bilder dazu gar nicht.“ Von Fukushima wussten sie erst recht nichts. „Wir waren alle geschockt, aber fürs erste überwog die Freude, dass der Strom wieder da war und man wieder heizen und sich bei anderen melden konnte.“
In den nächsten Tagen schaltete sie nach dem Aufstehen den Fernseher an und jeden Tag flackerte eine neue Schreckensnachricht über den Bildschirm. „Weitere Explosionen, das Auslaufen des Kühlwassers, dann die Kühlung mit Seewasser, die nicht richtig funktioniert hat und während die japanischen Medien nicht viel erzählten, bauschten die deutschen teilweise so stark auf, dass man meinen konnte, ganz Japan würde untergehen. Wovon keine Rede sein konnte, denn aufgrund der geographischen Verhältnisse in Japan hat die Westküste nichts von dem Erdbeben mitbekommen, da sie durch das inländische Gebirge geschützt sind. Auch ein atomares Unglück würde sie wahrscheinlich erstmal nicht so direkt treffen. Die deutschen Medien haben das zum Beispiel kaum berücksichtigt. Japanische Medien lassen im Vergleich zu deutschen öfter Details weg oder zeigen nur Vorher-Nachher-Bilder, wie etwa bei der ersten Explosion. “
Wie ging es dir dabei? „Mir ging es total schlecht. Jeden Tag kam was neues und wenn man sich mit einem AKW nicht auskennt, kann man vieles auch nicht einschätzen.“
Auf die Frage hin wie es den Einheimischen ging, meint sie nur: „Die Japaner selbst haben darüber nicht viel gesprochen, sie meinten nur, dass man vor Ort ja sicher sei und dass alles in Ordnung ist. Auch über das AKW meinten sie nur, dass das schon wieder werden wird. Aber ich denke, sie mussten auch einfach ruhig bleiben. Eine Panik hätte nirgendwohin geführt. Allerdings wurde uns von vielen Seiten gesagt, dass es besser wäre, wenn wir heim fliegen würden, da jedes weitere Maul zu stopfen eine zusätzliche Belastung sei. Und als ich die leeren Regale in den Supermärkten gesehen habe, habe ich echt Panik bekommen.“ Ellen erzählt weiter, dass zuerst das japanische Grundnahrungsmittel Reis ausverkauft war, dann Wasser, dann Instantnudeln und danach wurden die Regale nur noch wahllos ausgeräumt. Hauptsache man hat was falls doch etwas passiert.
„Es macht einem schon Angst, wenn man kein Wasser mehr im Haus hat, Leitungswasser ist gechlort und wenn man es aufkocht kann man es als Tee trinken, aber es ist trotzdem ein seltsames Gefühl. An diesen Hamsterkäufen hat man auch gemerkt, dass die Japaner sehr wohl panisch waren. Als Japanologin bekommt man eingetrichtert, dass Japaner nicht viele Gefühle zeigen und es ist tatsächlich so; sie sind oberflächlich sehr ruhig, aber drinnen sieht es meist anders aus.“
Umso erschreckender fand sie es als eine Atomkraft- Expertin im Fernsehen anfing aus heiterem Himmel zu weinen. Ab da wusste sie, dass etwas nicht stimmt. Nach einigen schlecht geschlafenen Nächten und Tagen, an denen sie kaum etwas essen konnte, entschloss Ellen sich dazu, ihr Auslandsjahr erst einmal abzubrechen und nach Hause zu fliegen. „Allein schon weil meine Eltern im Kreis gelaufen sind vor Sorge.“ Die Japaner reagierten mit sehr viel Verständnis für diese Entscheidung und empfanden es sogar als vernünftig: „Sie haben momentan einfach genug mit sich selbst zu tun und können sich auch gar nicht um uns kümmern.“ Leider reagierten einige andere ausländische Studierende nicht so gut darauf: „Man wurde oft abschätzig angeschaut und bekam das Gefühl vermittelt man sei feige, weil man lieber nach Hause fliegt und Angst um die eigene Gesundheit hat. Die Lage im AKW war mir einfach zu kritisch und konnte zu schnell umschlagen. Für mich war es die richtige Entscheidung.“ Sie erzählt weiter, dass viele der Dagebliebenen den Plan hegten selbst beim Wiederaufbau mit zu helfen, einige wollten in die betroffenen Gebiete reisen und dort den Schlamm von den Straßen schaufeln. Ein paar wollten sich sogar als freiwillige Helfer im AKW Fukushima melden.
„Sowas ist falscher Heldenmut. Japaner wollen meist gar keine Hilfe, dass liegt einfach nicht in ihrer Natur. Sie wollen solche Sachen meist alleine in den Griff kriegen. In den betroffenen Regionen hättest du nicht helfen können, weil man dich kaum gelassen hätte.“
„Was meinst du wie Japaner nach dieser Katastrophe zu Atomstrom stehen?“ frage ich; eine Frage, die sich wohl viele in letzter Zeit gestellt haben.
„Wenn wir Japaner zu dem Thema befragt haben, hatten die eigentlich nie eine wirkliche Meinung dazu. Sie brauchen den Atomstrom nun einmal. In Japan läuft alles mit Strom, es wäre undenkbar die AKWs wie hier einfach für eine Weile abzustellen oder gar abzuschalten. Das steht gar nicht zur Debatte.“ erklärt sie. Am Zweifeln wären sie wohl, aber momentan hätten die Japaner ganz andere Probleme. „Wenn sich alles mal beruhigt hat, werden wohl die ersten Stimmen laut werden. Aber darauf muss man wohl noch warten.“
Eine Frage brennt mir noch auf der Zunge, doch ich bin mir zunächst nicht sicher ob ich sie wirklich stellen soll. „Wie gehst du mit Witzen über dieses Thema um? Immerhin warst du beim Erdbeben live dabei.“
„Über schlimme Dinge werden immer Witze gemacht, ich glaube das liegt in der Natur des Menschen. Wenn er über etwas Witze machen kann, kann er einfach besser damit umgehen.“
Angst vor einem GAU in Cattenom? Hier gibt es Antworten auf offene Fragen zur Sicherheit des AKW.
Ein Interview zur Lage in Japan mit dem stellvertretenden Leiter der DRK Notfall-Einsatzgruppe findet ihr hier.
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