Heinrich Billert ist eigentlich Wirtschaftskorrespondent an der Börse in Kairo. Nun wurde er für sechs Tage zum Krisenreporter. 5vier führte ein Gespräch.
Heinrich Billert ist nach eigenen Aussagen nicht der Stoff aus dem Helden sind. Er hat BWL in Trier studiert und war für drei Jahre in Kairo als Wirtschaftskorrespondent tätig. Am 25. Januar brachen jedoch die politischen Unruhen los und Billert fand sich mitten zwischen verzweifelten Demonstranten und überforderten Behörden wieder.
5vier: Herr Billert, können Sie uns schildern, wie Sie den Beginn der Unruhen wahrgenommen haben?
Billert: Das erste mal davon gehört habe ich, als ich mit ein paar Kollegen im Restaurant unseres Hotels saß. Ein Mann kam herein und rief: „Da draussen prügeln sich Hunderte von Leuten.“
5vier: War der Beginn der Unruhen für Sie abzusehen?
Billert: Es brodelte schon eine ganze Zeit und wir waren uns sicher, dass es zu Ausschreitungen kommen würde, aber mit einem solchen Kleinkrieg haben zumindest meine Kollegen und ich nicht gerechnet.
5vier: Was passierte dann?
Billert: Wir gingen zurück auf unsere Zimmer und schalteten den Fernseher an. Dort habe ich das erste mal die Menschenmassen gesehen. Ich bin dann aufgestanden und zum Fenster gegangen und stellte fest: Die sind vor meinem Hotel!
5vier: Wie haben Sie reagiert?
Billert: Offen gesagt ziemlich panisch. Ich kenne Kairo sehr gut und hatte ehrlich nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen würde. Ich habe mich dann an die Regel Nummer eins bei sowas gehalten: Lasse die Offiziellen wissen, dass du da bist. Also habe ich in der Botschaft angerufen. Oder habe es zumindest versucht.
5vier: Was heißt versucht?
Billert: Es ist niemand ans Telefon gegangen. Meine deutschen Kollegen, die ich übers Handy anrief hatten das gleiche Problem. Sogar das Nottelefon war nicht besetzt. Es war nicht überlastet, es ist einfach niemand rangegangen. Das hat uns dann wirklich Angst gemacht.
5vier: Verständlich. Wie hat sich die Lage für Sie im Weiteren entwickelt?
Billert: Am Folgetag hingen wir alle vor dem Fernseher, weit weg von allen Fenstern. In der Nacht wurden einige davon zerschlagen und wir haben auch Schüsse gehört. Irgendwann am Nachmittag haben wir dann endlich die Botschaft erreicht. Es hieß, man würde sich um unsere Ausreise kümmern.
5vier: Und ist das geschehen?
Billert: Mehr oder weniger, ja. Aber erst einmal durften wir vier volle Tage warten. Ich habe keine Ahnung warum.
5vier: Was haben Sie in dieser Zeit getan?
Billert: Mich zu Hause gemeldet und gesagt, dass es mir gut geht. Meine ägyptischen Kollegen angerufen, um nach Ihnen zu hören. Und irgendwann musste man auch mal auf die Straße.
5vier: Was haben Sie dort gesehen?
Billert: Verzweifelte Demonstranten, die nicht mehr wissen, was sie sonst noch tun sollen. Auf mich wirkten die Menschen nicht, wie der aggressive Mob, der im Fernsehen zu sehen ist. Ich kenne die Menschen in Kairo sehr gut. Die sind wirklich und ehrlich verzweifelt und sehen keinen Ausweg.
5vier: Wie sah es mit den Ordnungskräften aus?
Billert: Da habe ich wohl sehr viel Glück gehabt. Ich bin immer sehr freundlich behandelt worden und hatte oft den Eindruck, dass viele der Polizisten lieber auf der anderen Seite mit marschieren würden. Auch da herrschte eine Menge Angst vor. Ich war offen gesagt sehr schockiert, als ich vom aggressiven Vorgehen der Polizei gehört habe und den vielen Toten.
5vier: Sie haben das Land dann schließlich verlassen können. Wie ist das abgelaufen?
Billert: Ich habe auch hier das Gefühl gehabt, dass die deutsche Botschaft hoffnungslos überfordert war. Ich weiß, dass einige meiner Kollegen das Land auf eigene Faust verlassen haben, aber das war mir einfach zu riskant. Also habe ich auf die Meldung der Botschaft gewartet. Am Abend des 31. Januar kam dann der Anruf. Eine Maschine stünde für uns bereit, wir hätten sechs Stunden Zeit. Eine Abholung sei nicht möglich.
5vier: Was haben Sie dann getan?
Billert: Koffer und Laptop unter den Arm geklemmt und ab auf die Straße. Die ganze Innenstadt war voll mit Menschen, es gab vielerorts kaum ein durchkommen. Glücklicherweise kannte ein Kollege die Straßen, wie seine Westentaschen und wir haben uns durch Nebenstraßen, Hinterhöfen und teilweise auch Wohnungen um die großen Ausschreitungen herumgedrückt und… (unterbricht sich) Wir haben an diesem Abend sehr viele schreckliche Dinge beobachten müssen – ein Maß an menschlicher Gewalt, das ich niemals für möglich gehalten hätte. Es ist alles sehr verschwommen, aber einige Eindrücke stechen heraus. Menschen, die zusammengeschlagen und völlig verloren auf der Straße liegen. Da war ein Polizist, der einem Demonstranten seinen Helm aufgesetzt hat und ihn gestützt hat. Die beiden liefen vor anderen Polizisten weg. Ich werde diese Bilder niemals vergessen. Als ich im Flugzeug saß habe ich erst einmal ein paar Minuten lang aus dem Fenster gestarrt und gar nichts gedacht.
5vier: Was werden Sie jetzt tun?
Billert: Ich warte darauf, dass die Unruhen abebben. Ich will wieder nach Kairo, die Menschen und die Stadt bedeuten mir viel. Ich habe das Gefühl, dass mich diese sechs Tage sehr eng mit der Stadt und den Menschen verbunden haben. Ich wünsche mir, dass sich dort alles zum Besseren wandelt. Das sind gute Menschen.
5vier: Herr Billert, ich danke für das Gespräch.
Bine meint
Sehr bewegend. Vielen Dank für dieses Interview und die sehr direkte menschliche Perspektive.