Aus dem Moselstadion
von Martin Köbler
Ach, sieh mal einer an. Hat der alte Aurelius Augustinus doch Recht gehabt: „Tempore lenitum est vulnus meum“, sagte einst der im vierten Jahrhundert nach Christus geborene christliche Kirchenvater. „Die Zeit heilt alle Wunden!“ – und sind sie auch noch so groß, noch so unübersehbar, und seien sie geradezu stahlgeworden über der Ostkurve des Trierer Moselstadions schwebend. Wo einst der römische Centurio Mario Basler vor seiner Mannschaft als größter Feldherr aller Zeiten posierte und alle Anhänger der Eintracht in dem Glauben ließ, dass eben jene stark macht, klaffte seit seiner mehr als überfälligen Entlassung Anfang Februar diesen Jahres ein riesengroßes Loch durch das behelfsmäßig aufgebaute Stahlgerüst vor dem alten Ascheplatz der Alemannia. Diese Konstruktion, sie sorgte fortan bei jedem Betreten des altehrwürdigen Runds an der Zeughausstrasse für einen bitteren Stich ins Herz der treuen blau-schwarz-weißen Fanschar – weil sie Zeugen wurden, wie der große Centurio im einst römischen Trier mit späterem fränkischen Einschlag sein Waterloo erlebte, lange, nachdem die Zuschauer am liebsten bereits ins Exil geflüchtet wären und das Kind „Eintracht Trier“ nicht nur schon in den Brunnen gefallen, sondern schon längst ersoffen war.
Wie dem auch sei, seit gestern ist dieser tiefe, seltsam grinsende Schlund geschlossen. Warum? „Weil’s besser schmeckt!“, wie die neue Werbetafel feurig verkündet – wie passend. Denn nach der nur allzu schwer verdaulichen letzten Spielzeit wirkten die bis jetzt dargebotenen Leistungen doch eher als die Haute Cuisine des Gault Millaut. Sekt statt Selters. Champions League statt Kreisklasse. Eintracht statt Zwietracht. Oder kurz: Seitz statt Basler. Der Schein der gepredigten Eintracht konnte allerdings nicht lange über das tatsächliche Sein der längst entstandenen Absplittung des Teams vom Trainer hinwegtäuschen. Es bürgt geradezu eine teuflische Ironie in sich, dass die Mannschaft, die gestern so unglücklich gegen die Bergischen aus Wuppertal verlor, den alten Werbespruch jüngst dann umzusetzen beginnt, wenn der einstige Leitwolf so langsam, aber sicher aus den Köpfen der Anhängerschaft verschwindet. Lässt sich die Eintracht, die – soviel scheint nach dem ambitionierten, kampf- und willensstarken Auftreten nach dem 0:2-Knockout klar – ihrem Vereinsnamen alle Ehre zu machen scheint, durch die unglücklichen Niederlagen nicht beeindrucken, wird sie den Zuschauern im Moselstadion wie in der Fremde noch so einige schlagkräftige Beweise dafür austeilen, dass sie doch ein Augenschmaus sein kann.
Ganz einfach aus einem Grund: Weil die Eintracht [wieder] besser schmeckt.
Foto: Gestreckt, gekämpft, gerackert – alles Eigenschaften, die die Eintracht so langsam, aber sicher wieder zum Augenschmaus werden lassen.
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Schein und Sein – treffend, dass dies am gestrigen Abend nicht nur für die alte „Eintracht macht stark“-Kampagne wie maßgeschneidert schien. Denn die Partie stand kurz vor der ersten entscheidenden Phase. Der Minutenzeiger hatte sich soeben das dreißigste Mal bewegt – und die Eintracht drückte auf das Tor der Gäste mit dem Bergischen Löwen auf der Brust, als eine kuriose Meldung durch die Lautsprecher dröhnte: „Liebe Fußballfreunde, hier ein Hinweis der Polizei. Der Fahrer des Wagens mit dem amtlichen Kennzeichen […] möge bitte sofort zu seinem Wagen kommen. In ihm ist ein Hund eingesperrt. Ich wiederhole: Der Fahrer des Wagens mit dem amtlichen Kennzeichen […] möge bitte sofort zu seinem Wagen kommen. In ihm ist ein Hund eingesperrt. Die Polizei bittet, den Hund aus dem Auto zu entfernen.“ Soweit die offizielle Durchsage. Dann der Zusatz: „Also das ist ja nun wirklich Tierquälerei!“. Plötzlich tut sich etwas ein paar Meter rechts neben dem Verfasser des Artikels, eine ältere Dame im weißen Anzug und golden verzierter Haarspange zückt ihren Autoschlüssel und murmelt etwas zu ihrem in Landhaus-Tracht sitzendem Ehemann. Ob sie kurz durchkönne, fragt sie meine Tribünennachbarinnen. Und so schält sich diese für ein Fußballstadion viel zu „chic“ und „elegant“ gekleidete Dame durch unsere Reihen – nur, um pünktlich zur zweiten Halbzeit mit dem bemitleidenswerten kleinen Mops an der Leine wieder zu erscheinen. Manchmal sind es dann doch eben die Leute, von denen man es am wenigsten erwartet. Gediegen gekleidet, lieber etwas mehr Schminke als nötig aufgetragen, zu einem Viertligaspiel erscheinen wie zu einem Opernball – aber die offensichtlich wichtige Fürsorge vernachlässigen. Um in der Sprache des Tages zu bleiben: „Das hat uns gar nicht geschmeckt!“
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Gar nicht geschmeckt haben dürfte den Zuschauern auch die Schiedsrichter-„Leistung“ auf dem grünen Rasen. Besonders der rotgekleidete sogenannte Schiedsrichter-Assistent auf der Haupttribünenseite hatte es dem Stadion extrem angetan – zu oft waren die Fehlentscheidungen zu offensichtlich, das Verhalten des Linienrichters zu überzogen weil zu „oberlehrerhaft“, was Eintracht-Torwart-Trainer Sascha Purket mehr als nur einmal höchstselbst zu spüren bekam, als er sich schon in der ersten Halbzeit über das ein oder andere zumindest fragwürdige – in dieser Zeit noch „Nicht-Heben“ – der gelb-rot-karierten Fahne. Als fünf Minuten vor dem 0:1 aus Trierer Sicht ein Wuppertaler sage und schreibe fünf Meter im Abseits stand, dieser angespielt wurde und das Fähnchen erst nach dem erboßten Aufschrei der gesamten Haupttribüne gehoben wurde, konnte Purket nicht mehr an sich halten. Zu Recht. Doch der Assistent, er wackelte immer nur mit dem Zeigefinger hin und her. „Keine Diskussion!“
Ebensowenig ist es „keine Diskussion“, dass Tim Eckstein zehn Minuten vor dem Ende nicht im Abseits stand – wie auch, wenn vier Verteidiger der Gäste näher zum Tor stehen als der junge Angreifer.
Doch am Resultat änderte dies nichts mehr – und so mussten sich die Unparteiischen beim Gang in die Kabine den mehr als deutlichen – und sicher nicht ganz unberechtigten – Pfiffen und Schmäh-Rufen stellen, ehe sie flugs im ausgerollten Tunnel verschwanden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Eintracht an diesen Ereignissen nicht allzu lange kauen wird – ein bitterer Nachgeschmack wird jedoch bleiben.
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