Aus dem Moselstadion
von Martin Köbler
Es war der 7. November 2009. In einem Spiel, das mehr Krampf denn Kampf gleichkam, wurden nach einem langen 0:1-Rückstand die Gäste aus der Rhein-Neckar-Metropole Mannheim zurück in ihren Stadtteil Waldhof geschickt. Yannick Salem war es, der Mitte der zweiten Halbzeit – zu einem Zeitpunkt, da es ohne weiteres 0:3 hätte stehen müssen – nach Vorlage von Michael Dingels den Ausgleich erzielen konnte, ehe er rund eine Viertelstunde vor dem Schlusspfiff den 2:1-Endstand für Eintracht Trier markierte. Ein Schlusspfiff, der den blau-schwarz-weißen Kickern von der Mosel zum letzten Mal im heimischen Moselstadion das Prädikat „Heimsieg“ verleihen sollte.
Bis gestern. 301 Tage sind vergangen – viel Wasser ist inzwischen die Mosel Richtung Deutsches Eck geflossen, Mario Basler gegangen, Reinhold Breu gekommen, Reinhold Breu gegangen, Roland Seitz gekommen und mit ihm eine komplett neu formierte Eintracht. Der reiche englische Gentlemann Phileas Fogg hätte in dieser Zeit fast vier Mal die Welt umrunden können, in Frankreich war die Fußball-Welt noch in Ordnung, Robert Enke noch am Leben und die Umfragen für Schwarz-Gelb noch halbwegs im akzeptablem Bereich.
Doch gestern Nachmittag um 15.47 Uhr Ortszeit ist der Mannschaft von Roland Seitz etwas gelungen, was man an eben jenem 07. November des vergangenen Jahres noch nicht erahnen konnte – allein deshalb, weil es selbst dem masochistisch Angehauchtesten oder dem schwarzmalerischsten Fan überhaupt nicht in den Sinn gekommen wäre, was in den folgenden 7.224 Stunden folgen sollte. Die Leidenszeit der Heimspielsieglosigkeit ist endlich vorüber. Über unglaubliche 433.440 Minuten mussten die treuen Anhänger des Traditionsvereines auf diesen einen Moment warten: Schlusspfiff, Heimsieg. Endlich.
Foto: Aus elf Düsseldorfern mach zehn Wuppertaler – große Mathematik im Trierer Moselstadion.
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Düsseldorf. Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen, Mittelpunkt der Metropolregion Rhein-Ruhr, Messestadt, Sitz der Weltkonzerne E.ON, Henkel oder Metro, Altbier. Eine Weltstadt mitten im Ruhrgebiet. Dann haben wir da Wuppertal, über die A46 noch nicht einmal eine halbe Stunde Autofahrt vom Düsseldorfer Fernsehturm unweit des Landtages entfernt. Die ebenso weltberühmte Schwebebahn, selbsernannte „Großstadt im Grünen“ und größte Stadt des Bergischen Landes. Dennoch – die rund 350.000 Einwohner an der Wupper stehen deutlich im Schatten der 32 Kilometer entfernten Metropole am Rhein.
Nicht so am gestrigen Nachmittag im Moselstadion. Wir schreiben die fünfte Minute, Alban Meha hat soeben den fälligen Foulelfmeter unter die Latte gezimmert und die 1:0-Führung erzielt. „EINTRACHT TRIER….“ hallt es durch die Lautsprecher – „EINS!!!“ – „WUPPERTAL“ – keine Reaktion. Kein „NUUULL!“, kein „PFUUUIII!“, nichts. Zu perplex sind die 1.760 Zuschauer im weiten Rund. Wuppertal? Das war doch vor zwei Wochen. Der Versprecher sorgt auf den Tribünen weit und breit für munteres Gelächter – passt dies‘ doch so wunderbar in die feucht-fröhliche Stimmung nach der gerade erzielten Führung. Die Korrektur kommt ein paar Sekunden später. „Ich meinte natürlich Düsseldorf“, ist zu vernehmen. Zu spät. Der Slapstick des heutigen Tages ist schon geschrieben. Der nette Mann in der Reihe hinter mir witzelt schon. „Mensch, gegen den Drittliga-Absteiger nach acht Minuten mit 2:0 zu führen, das ist ja was!“. Nicht mehr zu toppen? Denkste.
Auswechslung in der zweiten Halbzeit: „Die Gäste aus Wuppertal wechseln aus… äh… aus Düsseldorf…!“ Wieder Gelächter, doch auch kritische Stimmen – besonders die mitgereisten Fans aus der Rheinmetropole sind alles andere als glücklich mit ihrer geografischen Umsiedlung, ebenso wie die Kollegin des Düsseldorfer Livetickers, deren Miene sich nicht nur aufgrund des Spielstandes noch mehr verfinstert.
Sei es, wie es sei. Wie sagte einst Sepp Herberger? „Wichtig ist auf dem Platz!“ – und wichtig sind die drei Punkte. Und verdient wären sie schon gegen den WSV aus Wuppertal vor zwei Wochen gewesen. Dann halt jetzt gegen die Fortuna aus Wuppertal – oder so…!
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Es war nach just jenem Heimspielerfolg gegen die Waldhöfer aus Mannheim Anfang November 2009, als Chef-Stadionsprecher Peter Pries nach der Wortmeldung des Gästetrainers Walter Pradt das Mikrofon an „Marion Basler“ weilterleitete. Raunen ging durchs VIP-Zelt hinter der Ostkurve, leises Gelächter. Basler, selbst mehr Komiker und Lebemann denn Trainer, nutzt dies direkt als Steilvorlage: „Peter… Peter… Immer noch Mario! … Ist das Deine Freundin, Marion, oder wat?“ Ein verschmitzter Blick eines kleinen pfälzischen Buben nach rechts. „Ach je…!“ Pries wischt sich über seine weißen Haare und seine Backe. „Ja, mein‘ Frau ist da – dankeschön!“. Damit hat der „Trierer Jung“ dem Pfälzer Kontra gegeben und die Lacher auf seiner Seite.
Doch eben jene sind Peter Pries spätestens gestern vergangen – trotz der lang ersehnten drei Heimspielpunkte. Der Grund hierfür waren die geografischen Fehlgriffe seiner Kollegen, vor denen sich Pries bei den Kollegen aus dem Nachbarbundesland nach dem Spiel noch rechtfertigen musste und alles andere als begeistert war. „Für die Zuschauer ist das natürlich lustig“, sagt er im Anschluss an die Partie im VIP-Zelt zu mir – „aber für uns ist das natürlich ’ne ganz schlimme Sache. Die Kollegin aus Düsseldorf meinte, wir könnten froh sein, dass nicht so viele Gästefans dabei gewesen wären.“
Doch irgendwie scheint dieser Versprecher eine lange Tradition fortzusetzen. Schließlich spielte „Eintracht Trier 07“ letzte Woche ja auch (als Reaktion auf die radikale zweijährige Verjüngung) in „Ostwestfalen“ bei den Preußen aus Münster. Schließlich war zu goldenen Zweitliga-Zeiten beim Gastspiel der Eintracht im RheinEnergie-Stadion zu Köln im Deutschen Sport-Fernsehen von den „Gästen aus Saarbrücken“ die Rede. Gut, eben jenen Sender gibt es in dieser Form nicht mehr – aber wohl eher nicht als Reaktion auf die noch viel größere geografische Sünde, die älteste Stadt Deutschlands mit dem Saarland zu verwechseln. In Münster haben sie es auch – nach längerer Anlaufphase – wohl richtig verstanden, wie es zur Zwangsentfremdung in den Osten Westfalens kam. Hier wurde über unsere nun nur noch 103jährige Vereinshistorie kräftig gelacht. Und auch in Düsseldorf wird man sich wieder beruhigen. Die Kirche sollte man im Dorf lassen, den Dom in Köln, Augusta Treverorum an der Mosel, Saarbrücken im Saarland.
Und die Schwebebahn in Wuppertal.
Amen.
In diesem Sinne – bis zum nächsten Mal!
Foto: Daniel Prediger
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