Amerika hat gewählt und damit in der vergangenen Nacht eine Entscheidung getroffen, die weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Donald J. Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Wir blicken auf die USA und versuchen zu verstehen, wie es dazu kommen konnte.
Trier / Washington. Wenn Trier über den zukünftigen US-Präsidenten hätte abstimmen müssen, würde die Demokratin Hillary Clinton im Januar ins Weiße Haus in Washington D.C. einziehen. Aber selbst unsere kaum repräsentative Video-Umfrage an der Universität Trier und in der Fußgängerzone offenbarte eine signifikante Zahl an Stimmen, die zwar nicht den umstrittenen Donald Trump, aber auch auf keinen Fall Hillary Clinton wählen wollten. Diese tiefe Abneigung gegenüber der demokratischen Kandidatin, die sich offensichtlich auch in unserer Region in Deutschland zeigt, hat in der vergangenen Nacht zu einem Wahlergebnis geführt, welches eigentlich niemand für möglich gehalten hat.
Um kurz vor drei Uhr Ortszeit tritt der Republikaner Donald Trump in New York vor die Kameras und startet seine auffallend gemäßigte Siegesrede. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten steht fest und wird Donald J. Trump heißen, der in seinem Wahlkampf mit provokanten, populistischen, rassistischen und frauenfeindlichen Aussagen für viel Aufsehen gesorgt hat.
Es ist eine Entscheidung, die am heutigen Morgen weltweit für einen Aufschrei und viel Unverständnis sorgt. Dana L., die seit 28 Jahren in Kalifornien lebt, ist wie viele andere geschockt: „Niemand hat diese Niederlage von allem, dass an Amerika bewundernd ist, vorhergesehen. Die Demoskopen gehören gefeuert; ihre Modelle haben völlig versagt. Man kann nur hoffen, dass dieses politische System, das von weisen und gebildeten Männern gegründet wurde und in über zwei Jahrhunderten so einiges überstanden hat, auch einen Trump aushalten und uns vor den größten Übergriffen bewahren wird. Wir haben alle den Zorn der weißen Männer unterschätzt. Ein schwarzer Tag für Amerika und die ganze Welt. Ich bin sehr deprimiert.“
Dabei ist die Geschichte des vermeintlichen Außenseiters, der sich allen Umständen zum Trotz gegen alle etablierten Mitbewerber durchsetzt geradezu uramerikanisch. Es ist die Story des vermeintlichen Underdogs, der sich gegen das Establishment durchsetzt. Das Trump eigentlich ein Milliarden-schwerer Immobilienunternehmer ist, wird da gerne ausgeblendet. Viel zu dominant ist da der Hass auf eben jenes Establishment, was durch Hillary Clinton kaum hätte besser verkörpert werden können. Als regelrechter Polit-Dinosaurier ins Rennen ums Präsidentenamt gestartet, vereint sie all das, was ein Großteil der Amerikaner hasst: Volksfremde Politiker, die abgekoppelt von der Realität in Washington D.C. residieren und mit großen Konzernen die Entscheidungen treffen. Der Vorwurf der Korruption schwebt dabei nicht nur im Raum, sondern ist im Falle von Hillary Clinton mehrfach nachweisbar. Ihr politisches Know-How und ihre jahrzehntelange Erfahrung haben in der vergangenen Nacht keine Chance gegen den Hass gehabt, der der ehemaligen First Lady entgegenschlägt.
Eine in Deutschland lebende Amerikanerin ist davon nicht überrascht: „Ich denke, es war unausweichlich. Ich denke die Leute haben den Level der Unzufriedenheit bei einem Großteil der Bevölkerung und den Hass auf Hillary Clinton unterschätzt. Trump hat die Präsidentschaft gewonnen weil das ländliche Amerika für ihn gestimmt hat mit Rekordwerten. Sie haben über all seine Schwächen hinweg gesehen und dachten, sie würden ein korruptes System erschüttern, von welchem sie ein Teil ist.“
Das Misstrauen gegenüber der Regierung ist ebenfalls eine uramerikanische Eigenschaft, die sich bis zum Unabhängigkeitskrieg zurückverfolgen lässt. Was bei vielen Europäern Kopfschütteln hervorruft, ist in den Vereinigten Staaten schon beinahe eine Generationen-übergreifende Urangst geworden. Nicht umsonst kommen auf 100 Einwohner in den USA bis zu 70 Waffenbesitzer. Das Recht zur Selbstverteidigung und Selbstbestimmung, was im zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten festgelegt ist, zielt also nicht nur auf die Angst vor kriminellen Übergriffen, sondern auch auf die unerwünschte Einflussnahme der Regierung ab. Das komplizierte Konstrukt, was heute die Vereinigten Staaten von Amerika bildet, ist eine fragile Zusammensetzung mit vielen Problemen, die alle zum gestrigen Wahlergebnis beigetragen haben.
Nicole F., aufgewachsen in Cerritos, Kalifornien, sieht das Problem auch in der Korruption: „Die Amerikaner haben die korrupte Regierung so satt, dass sie buchstäblich jedem ins Amt helfen wollen der kein Politiker ist. Sie möchten scheinbar jemanden der irrational agiert und eben nicht wie jeder andere Politiker, weil sie nicht mehr belogen und ausgenutzt werden wollen. Clinton war nachweislich korrupt und unehrlich und die Medien haben das ausgenutzt und jetzt hängen wir mit jemandem fest, von dem jeder weiß, dass er unehrlich ist, aber niemanden scheint es zu interessieren.“
Trump präsentierte in den vergangenen Monaten einfache Lösungen, die objektiv wenig mit der Realität zu tun hatten, aber das waren, was viele Leute hören wollten. Der Großteil der Stimmen für Trump kommt aus der weißen, männlichen Wählerschaft, die 45 Jahre und älter ist. Über 60% der weißen Amerikaner haben für den Immobilien-Milliardär gestimmt. Auffällig sind zudem die Stimmenanteile nach Bildung. Über 70% der weißen Männer ohne Hochschulabschluss stimmten für ihn. Die Bevölkerungsschicht, die sich in den USA abgehängt und perspektivlos fühlt, oft schlecht bezahlt oder arbeitslos ist, hat plötzlich einen vermeintlichen Zuhörer. Trump verspricht illegale Einwanderer auszuweisen, Terroristen erst gar nicht mehr ins Land zu lassen und die Binnenwirtschaft mit hohen Einfuhrzöllen wieder zu stärken. Er baut auf Vorurteile und populistische Parolen und es wirkt. Dass diese in der Realität die US-Wirtschaft an den Rande des Zusammenbruchs führen würden, geht im Wahlkampf-Getöse ebenso unter wie die Tatsache, dass er selber ein privilegierter Unternehmer ist, der die Arbeiterschichten in der Vergangenheit für seine Bauprojekte ausgenutzt hat. Vor einem wirtschaftlichen Totalschaden seines Landes hat auch Hieu Song Nguyen aus Fullerton Angst, der nur darauf wartet, dass die nächste Rezession kommt, sobald Trump neue Steuergesetze verabschiedet.
Selbst Anfeindungen gegen Eltern eines verstorbenen Soldaten, ehemalige Kriegsgefangene oder die gesamte Frauenwelt werden Trump von seiner Anhängerschaft verziehen. Die nicht vorhandene political-correctness passt zur Politikverdrossenheit der Wählerschaft und lässt ihn ehrlich erscheinen, während bei Clinton das genaue Gegenteil der Fall ist. Außerdem ist sie eine Frau, was der konservativen Bevölkerungsgruppe, die Trump zum Wahlsieg verholfen hat ein zusätzlicher Dorn im Auge war. Christoph E., Student in Trier, vermutet dies auch als einen vieler Gründe: „Die weiße, heterosexuelle, männliche Bevölkerungsgruppe am christlich geprägten, rechten Rand scheint nach acht Jahren Obama wieder schlagkräftiger geworden zu sein. Da lässt man dann natürlich nicht gern eine Frau ans Ruder“. Auch Mevlüt Y. aus Mettendorf in der Eifel sieht Trumps Geschlecht als größten Vorteil: „Auch im Jahre 2016 hat eine Frau nicht wirklich eine Chance auf totale Gleichberechtigung. Im Jahre 2016 hat das Geschlecht des Kandidaten die Wahl entschieden. Sonst kann ich mir das wirklich nicht erklären.“
Die rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Julia Klöckner betrachtet das Wahlergebnis ebenfalls mit Besorgnis: „Wir haben eine tief gespaltene, fast zerrissene Gesellschaft gesehen, tiefes Misstrauen, ja Hass gegenüber den Institutionen, teilweise überforderte Medien und eine Kampagne, die erstmals zum Teil von Robotern im Internet getrieben wurde.“ Ein möglicher Wahlsieg von Hillary Clinton schürte bereits im Vorfeld bei vielen Amerikanern die Angst vor einem Bürgerkrieg, denn der Hass auf das Establishment wäre eher noch gewachsen. Manche betrachten Donald Trump deswegen langfristig gar als das geringere Übel, da seine Präsidentschaft möglicherweise eine vollkommene Spaltung der amerikanischen Gesellschaft verhindert. Andere wiederum erwarten genau das. Paul C. aus San Francisco fühlt heute nur Angst: „Diese Version von Amerika wird unausweichlich feindseliger und weniger tolerant. Die Menschen in Kalifornien wählten überwiegend Clinton. Es ist klar, dass es jetzt zwei Amerikas gibt.“
Die scheinbar grenzenlose Politikverdrossenheit ist dabei nicht Amerika-spezifisch, sondern greift auch in Europa um sich. Der viel diskutierte Brexit liegt kaum fünf Monate zurück und die populistischen Parolen, mit welchen Trump auf Stimmenfang ging, könnten in ähnlicher Weise auch bei der AfD im Wahlprogramm stehen. Diese Gefahr sieht auch Klöckner: „Ich kann nur hoffen, dass wir hier nicht eine Vorschau auf Politik und auf künftige Wahlkämpfe bei uns vorgeführt bekommen haben.“ Ein ungutes Gefühl bleibt, dass die Vertrauenskrise der westlichen Demokratien sich nicht nur auf Großbritannien und die USA beschränken wird.

Ob es diese traute Zweisamkeit auch mit dem neuen US Präsidenten Donald Trump zu sehen gibt? (Official White House Photo by Pete Souza)
Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft nicht nur, sondern formuliert in der heutigen Pressekonferenz klare Vorstellungen einer weiteren deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit: „Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, dem Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten eine enge Zusammenarbeit an.“
Wie diese Zusammenarbeit aussehen wird, wird die Zukunft zeigen. Bei seiner Siegesrede gibt sich Sprücheklopfer Trump regelrecht handzahm und erklärt, dass er Präsident für alle Amerikaner sein möchte. An dieser Stelle sollte man auch nicht vergessen, dass rund die Hälfte des Landes für jemand anderen gestimmt hat. Die USA besteht auch heute nicht nur aus Trump-Wählern. Womöglich wird das Schreckgespenst mit dem Wahlsieg in der Tasche doch etwas ruhiger und umgänglicher. Angesichts der medialen Schockstarre, die auch sämtliche sozialen Medien zur Zeit überflutet, ist ein bisschen Besonnenheit vielleicht gar nicht so schlecht. Ein US-Bürger, der anonym wollte, bringt es mit typisch amerikanischer Lässigkeit auf den Punkt: „Der Präsident, den wir heute haben ist eine direkte Reflektion unserer gesamten Gesellschaft. […] Alle haben etwas schlechtes über ihn zu sagen und alle wissen bereits komplett über ihn bescheid. Er hat gewonnen und daran wird sich nichts ändern. Es ist an der Zeit ihm eine Chance zu geben und zu sehen, was er drauf hat.“
Als kleine Randnotiz sei noch gesagt, dass gleich mehrere republikanische Wähler keinen Kommentar zum Sieg ihres Kandidaten abgeben wollten.
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