Von Andreas Gniffke
Statistisch ist die Sache klar: Es muss homosexuelle Profifußballer geben. Doch bis heute hat sich in Deutschland kein einziger von ihnen geoutet. Warum dies so ist, versuchen Dirk Leibfried und Andreas Erb, Autoren des gerade erschienenen Buches „Das Schweigen der Männer. Homosexualität im deutschen Fußball“ zu ergründen, was ihnen mal mehr, mal weniger gut gelingt.
Als Michael Becker, unter anderem Berater von Michael Ballack, kurz vor der WM in Südafrika im Spiegel zitiert wurde, dass in Kürze ein ehemaliger Nationalspieler die „Schwulencombo“ hochgehen lassen würde, schlug das in der Öffentlichkeit zunächst hohe Wellen. Die Diskussion und die zunächst vom DFB geforderte Aufklärung ging allerdings in der WM-Euphorie unter. Unsere Nationalmannschaft insgeheim geführt von einer verschworenen Gemeinschaft homosexueller Spieler und Verantwortlicher? Das kann und darf nicht sein. Tatsächlich erscheint es absurd, denn kein deutscher Fußballprofi hat sich bislang geoutet und auch die hartnäckigen Gerüchte um Nachwuchsautor Philipp Lahm konterte dieser erst mit einer Hochzeit und einigen zaghaften Klarstellungen in seiner Biographie.
Leibfeld und Erb, Journalisten aus Kaiserslautern, versuchen herauszufinden, wieso gerade der Fußballsport als letzte funktionierende Machobastion mit dem Thema Homosexualität so derartig verschlossen umgeht. Von den Amateuren bis zu den Bundesligavereinen reicht dabei das im Buch beschriebene Spektrum, schwule Fanclubs sowie die gerade von DFB-Präsident Theo Zwanziger initiierten Aktionen des Verbandes spielen ebenso eine Rolle wie die größtenteils fragwürdige Haltung der sensationslüsternen Medien oder Homosexualität im Frauenfußball („It goes, boys! Oder: Wieso Frauen doch nicht die besseren Schwulen sind“). Gleich zu Beginn (nach einem belanglosen Vorwort von Katrin Müller-Hohenstein) wird der Tenor des Buches aber deutlich:
Fußball war und ist ein Hort archaischer Männlichkeit, in seiner mentalen Entwicklung irgendwo zwischen Mondlandung und Mauerfall stehengeblieben, die Ansichten teils vorsintflutlich und die vermeintliche Toleranz gegenüber Schwulen so fragwürdig wie das kokainbehaftete Haupthaar von Fußballtrainer Christoph Daum, der Homosexualität gerne auch einmal mit Pädophilie in Verbindung bringt.
Enttäuscht zeigen sich die Autoren über die Resonanz, die ihre Anfragen bei den Profivereinen selbst gefunden haben. Ein an Verein und Kapitäne gerichteter Fragebogen wurde von lediglich zwölf Vereinen beantwortet, acht Vereine begründeten, warum sie keine Auskunft gaben und nur vier Vereine äußerten sich zu der Thematik. Doch was außer Bekenntnissen zu Toleranz und der Bereitschaft zur Hilfestellung, wenn homosexuelle Sportler ihr Outing vorbereiten, erwarteten die Autoren denn an Resonanz? Warum sollten sich Vereine im rasanten Fußballgeschäft gegenüber Journalisten zu einer Thematik äußern, wenn diese möglicherweise in ihrem Verein keine aktuelle Relevanz hat? Als positives Beispiel herausgestellt wird von Leibfried und Erb der FSV Frankfurt, der unter dem Motto „Gemeinsam gegen Homophobie. Der FSV Frankfurt geht voran – gehen Sie mit!“ ganz gezielt für Toleranz eintritt und um homosexuelle Zuschauer wirbt. Sicherlich nicht ohne ein gewisses Eigeninteresse, denn auch homosexuelle Zuschauer sind zahlende Zuschauer, was dem Engagement des Vereins nicht zum Vorwurf gemacht werden soll.
INTERVIEW MIT LEIBFRIED UND ERB IM SWR
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Dabei gibt es Beispiele von homosexuellen Fußballern, die sich geoutet haben. Oft zitiert ist der Fall des britischen Profis Justin Fashanu, der 1990 sein Coming-out hatte und sich 1998 nach Vergewaltigungsvorwürfen erhängte. Sicherlich ein Fall, der zweifellos tragisch, aber sicher nicht auf die generelle Situation von Homosexuellen im Sport übertragbar ist. Deutlicher zeigt sich der Leidensdruck an Marcus Urban, der eine verheißungsvolle Profilaufbahn aufgab und später unter dem Titel „Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban“ seine Biographie veröffentlichte. Jüngstes Beispiel ist der erst 20 Jahre alte schwedische Profi Anton Hysén, Sohn der schwedischen Fußballlegende Glenn Hysén. In der Folge des Outings mussten schwedische Medien aufgrund homophober Kommentare die Kommentarfunktion ihrer Websites vorübergehend deaktivieren. Zumindest Hysén selbst zeigt sich nach seinem Outing erleichtert und entspannt.
Das Buch von Dirk Leibfried und Andreas Erb vermag so manchen Denkanstoß zu geben, viel Neues bieten die beiden dabei allerdings nicht. Oftmals verstricken sie sich auch in ärgerlicher Schwarz-Weiß-Malerei. Auf der einen Seite der verängstigte homosexuelle Fußballer, der die Konsequenzen seines Outings fürchtet, auf der anderen Seite eine homophobe und tumbe Fanmasse, die nur darauf wartet, dem Spieler seine Männlichkeit und somit den Kern des fußballerischen Arbeitsethos abzusprechen. Diesem Mob von typischen Fußballproleten tritt nun das tolerante, engagierte und kultivierte Mitglied eines schwul-lesbischen Fanclubs entgegen und schafft es wider Erwarten, tatsächlich ein Umdenken bei zumindest einigen im Kern gar nicht homophober Fans zu bewirken. Hier machen es sich die beiden Autoren etwas leicht, auch wenn dies an dieser Stelle natürlich zugespitzt dargestellt wurde. Niemand wird einem jungen Vertragsfußballer die Entscheidung abnehmen können, ob ein Outing für ihn eine annehmbare Lösung darstellen könnte. „Vielleicht ist die Welt des Sports, speziell des körperbetonten Männersports, gar nicht so schwulenfeindlich, wie viele denken“, heißt es am Ende. Es bleibt zu hoffen, dass die Öffentlichkeit ebenso entspannt mit diesem umgehen wird, wie es auch in Politik und Showbusiness mittlerweile Alltag geworden ist. Und das ist auch gut so.
Dirk Leibfried / Andreas Erb
Das Schweigen der Männer. Homosexualität im deutschen Fußball
Verlag Die Werkstatt, 12,90 €
Fußball-Fan meint
Ein wirklich sehr brisantes Thema. Es ist ja sogar schon einmal versucht worden diese Thematik in einem „Tatort“ zu bearbeiten, das ist damals meiner Meinung nach allerdings absolut missglückt.
In diesem Buch scheint das ganze etwas gelungener zu sein. Schön, dass solch ein Thema mal wieder aufgegriffen wird.