Fantasy-Legende Terry Pratchett hat einen neuen Scheibenweltroman geschrieben. In Deutschland ist er zwar noch nicht erschienen, aber 5vier hat schon mal die Originalausgabe verschlungen.
Raus auf’s Land – für den eingefleischten Stadtmenschen und Kommandanten der Wache Ankh-Morporks lässt die Aussicht auf einen Urlaub, der nicht aus einem Aufenthalt in der geflickten Trommel besteht, nur sehr wenig Freude aufkommen. Aber er beugt sich den Wünschen seiner Frau Sybil Käsedick und tauscht daher Smog gegen die (mehr oder weniger) frische Landluft auf den Besitztümern der Käsedicks.
Soviel zum Setting des neuesten Scheibenweltromans „Snuff“ (ein deutscher Titel steht noch nicht fest) von Terry Pratchett, der im Sommer 2012 in den Regalen stehen wird. Nun, dies wäre kein typischer Ankh-Morpok-Wachenroman, wenn sich die anfängliche ländliche Idylle nicht sehr schnell als trügerisch herausstellen würde. Ganz getreu dem Motto „Wo ein Polizist ist, findet sich auch ein Verbrechen“ kommt Mumm einer Verschwörung ungeahnten Ausmaßes auf die Spur und muss sich auch abseits der ihm so vertrauten schattigen Gassen Ankh-Morpoks an die (Polizei-)Arbeit machen.
Ganz ohne die Rückendeckung seiner aus den vorigen Wachenromanen bekannten Kameraden, umgeben von seltsamen Bräuchen und Gepflogenheiten kann der Leser Mumm zwar nicht von einer neuen Seite, mit ihm gemeinsam aber eine neue Gesellschaft entdecken – das Landleben. Auch Mumms Familie kommt nicht zu kurz – wieder einmal macht es Freude, einen Blick auf das Eheleben des grummeligen Wachkommandantens zu werfen. Sam Junior ist mittlerweile dem Kleinkindalter entwachsen und kann im Laufe des Buches nicht nur neue Freunde finden, sondern auch den Grundstein für eine, im wahrsten Sinne des Wortes, anrüchige Karriere legen.
Währenddessen beweist Mumm mehr oder weniger diplomatisches Geschick, bringt die lokale Polizeimacht auf Vordermann, gräbt in der Vergangenheit und verlangt mit Nachdruck Antworten auf all jene Fragen, welche die lokalen Machthaber gerne tief unter den Hügeln begraben wüssten – im wahrsten Sinne des Wortes. Dort leben nämlich die Goblins, die allen Grund zu haben scheinen, sich von den Menschen fernzuhalten. Was genau ist vor einigen Jahren geschehen? Über welche Nacht flüstert man nur? Und was hat es mit dem seltsamen Artefakt auf sich, das Corporal Colon in einer Rauchware findet?
Vor dem Gesetz – und damit vor Mumm – sind alle Wesen gleich, mögen sie noch so seltsamen Religionen anhängen und noch so gewöhnungsbedürftig riechen. Deshalb ruht der Wachenkommandant nicht, bis er Antworten auf alle Fragen gefunden hat. Wieder einmal zeigt sich, dass Mumm sich über den Lauf der letzten Romane entwickelt hat: Er steht nicht mehr allein gegen eine potentiell tödliche Welt, sondern hat Wesen gefunden, die ihm zur Seite stehen. So ist es letztendlich auch nicht sein alleiniges Wirken, das einem unterdrückten Volk zu einem Schritt ins Licht verhilft.
Nach den eher schwachen Scheibenweltromanen „Schöne Scheine“ und „Der Club der unsichtbaren Dichter“ schafft es der unter akutem Alzheimer leidende Terry Pratchett mit „Snuff“ noch einmal, die Scheibenwelt in voller Größe und Pracht entstehen zu lassen. So verarbeitet Pratchett hier das „Country-House“ Genre, dem sich auch Agatha Christie gern bediente, um dem Leser vor Augen zu führen, dass jedes Wesen, jede Kultur und jede Religion Respekt verdient – egal wie fremd sie uns vorkommen mag. Es finden sich Anklänge an die Aborigine-Problematik Australiens und Kritik an der auf Verhüllungspolitik der Mächtigen – „Snuff“ ist ein Wachenroman reinsten Blutes: spannend, clever, zum Schreien komisch und herzerweichend traurig.
Mehr kann eigentlich kaum verraten werden, ohne dass wir die überraschenden Wendungen des Buches vorwegnehmen. Eine bittere und wehmütige Note schwingt in „Snuff“ zu jeder Zeit mit, es liest sich wie ein Abschied von Mumm und seinem Gefolge. Durch Pratchetts Krankheit ist es unwahrscheinlich, dass es einen weiteren Wachenroman geben wird. Aber das sollte niemanden aufhalten, dieses Buch in die Hand zu nehmen, denn ob es nach diesem Buch noch eine weitere Geschichte in und um Ankh-Morpok geben wird oder nicht, eines ist klar: „Snuff“ schließt die Geschichte um Mumm und die Wache der größten Stadt der Scheibenwelt auf würdige Weise ab.
Diejenigen, die nicht fit genug im Englischen sind, um das Buch im Original zu lesen, werden sich noch ein wenig gedulden müssen. Ein genaues Veröffentlichungsdatum für die deutsche Übersetzung steht nämlich noch nicht fest, auch der Titel ist noch nicht übersetzt. Aber wir garantieren: Das Warten lohnt sich!
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