Er blickt auf eine lange Karriere zurück. Über 40 Jahre betrat er die Bretter, die die Welt bedeuten – nun geht er in Rente. Im Oktober nimmt Hans-Peter Leu Abschied vom Theater. 5vier.de Redakteurin Stefanie Braun sprach mit ihm.
Rente bedeutet für die meisten, endlich nicht mehr jeden Tag früh aufstehen zu müssen, und im Mühlrad der Wirtschaft vermahlen zu werden. Doch was bedeutet es eigentlich für einen Theaterschauspieler? Das wollten wir vom baldigen Rentner Hans-Peter Leu wissen und erwarteten einen betrübten Künstler, der in Erinnerungen an seine Erfolge schwelgt. Umso überraschter war unsere 5vier-Redakteurin Stefanie Braun, als sie einen entspannten, erwartungsvollen Altmeister des Schauspiels vor sich sah, für den die Rente keinesfalls den Abschied von seinem Beruf bedeutet.
Erstmal eine kurze Pause
„Im Oktober habe ich ein paar Wochen Zeit, bevor das Stück Josef und Maria wieder aufgenommen wird. Also erst mal nur eine kurze Pause“, lacht er. Das beliebte Weihnachtsstück wird bereits in der dritten Spielzeit aufgenommen und verspricht also ein Wiedersehen. So einfach verabschiedet ein Schauspieler sich nicht von der Bühne.
Wovon er sich allerdings leichten Herzens verabschieden wird, ist das Fließband-Theater, in dem seit einiger Zeit ein Stück an das andere gereiht wird. Da bleibt keines mehr richtig im Gedächtnis. „Wenn ich weiß, ein Stück wird noch mal aufgenommen, dann kann ich dafür sorgen, dass der Text präsent bleibt, ansonsten vergesse ich ihn wieder über das Lernen eines anderen Stückes.“ Mit dieser Fließbandarbeit will er abschließen, aber keinesfalls mit dem Schauspielern selbst.
„Sollte ich noch einmal ein Angebot bekommen, werde ich bestimmt wieder spielen, allerdings auch nur, wenn mir der Regisseur und die Rolle zusagen. Und sofern ich noch fit genug bin.“ Denn generell gibt es keine Altersbegrenzung als Schauspieler, mit fortschreitendem Alter machen allerdings oft Kopf und Körper nicht mehr mit. Alleine auf der Bühne präsent zu sein, kann sehr anstrengend werden und seitenweise Text zu behalten, fällt oft schon jüngeren Kollegen schwer.
Reisen, Reisen, Reisen
Aber was bedeutet dann in Rente zu gehen? „In Rente gehen bedeutet einen festen Vertrag mit einem Theaterhaus zu verlassen. Sollten noch mal Anfragen kommen, kann man ihnen aus Interesse zusagen und nicht mehr weil gerade jemand für diese Rolle gebraucht wird.“ Bis auf die ersten zwei Jahre in Berlin, in denen er als freier Schauspieler gearbeitet hat, musste er ein Leben lang das spielen, was er nach Vertrag erfüllen musste. Dazu gehörte auch, mit Regisseuren zu arbeiten, die ihm nicht lagen.
„Andere müssen in ihren Jobs auch mit Menschen arbeiten, mit denen sie sich nicht verstehen. Mir ist das zum Glück nicht allzu oft passiert, und wenn es dann mal so weit war, dann konnte ich damit umgehen.“ Doch für seine Rente wünscht er sich, aus dieser Mühle heraus zu kommen. „Eine gute Rolle im Jahr, die mich wirklich interessiert und von der etwas hängen bleibt, wäre schön. Vielleicht ergibt sich sogar mal die Möglichkeit, in einem Film mitzuspielen.“
Und was will er sonst machen in den nächsten Jahren? „Reisen. Wir konnten ja immer nur in der Sommerpause verreisen, aber dann waren wir auch meistens für die nächsten Wochen nicht zu erreichen.“ Wenn er die Zeit hat, möchte er auch mal etwas so einfaches wie die unterschiedlichsten Kurztrips machen. Einfach mal spontan für drei oder vier Tage abhauen. Vielleicht ein paar Tage dran hängen. Wer weiß?
All das, was er vorher nicht konnte. „Während der Spielzeit kann man nicht einfach Urlaub machen, noch nicht mal übers Wochenende. Wenn drei Stücke zeitgleich laufen, muss man immer vor Ort sein.“ Vielleicht fährt er auch noch mal ein paar Tage nach Zürich, wo er geboren wurde. Einen alten Schulfreund hat er dort noch, mit dem er manchmal telefoniert. Seine Mutter ist vor Jahren gestorben, sein Vater schon, als er 16 Jahre alt war. Viel zieht in nicht mehr in seine alte Heimat. „Ich bin sozusagen, der letzte Mohikaner.“
Blut geleckt im Kabarett
Seinen Eltern hat er viel zu verdanken. Seine Mutter war protestantische Schweizerin, sein Vater ein geschiedener, katholischer Italiener. Der Grund, warum seine Eltern nie heiraten konnten und nur so zusammenlebten. Beide mussten viel arbeiten, auch um dem talentierten Sohn ein Musikstudium zu ermöglichen – er studierte am Konservatorium von Zürich.
„Hätten meine Eltern geheiratet, würde ich heute Giovanni-Piedro de Bertolis heißen. Wäre ich Sänger geworden, hätte ich mit diesem Namen nicht einmal mehr singen müssen“, lacht er. Als sein Vater dann starb, wurde das Geld zu knapp, seine Mutter konnte das teure Studium alleine nicht stemmen. „Ich habe dann ein Handelsdiplom gemacht, danach folgten ein par Monate in der Armee, von der ich mich aber weggewimmelt habe. Danach bin ich spontan als Inspizient mit zwei Schweizer Kabarettisten auf Tournee gefahren.“
Die vermittelten ihn nach Stuttgart an das Renitenztheater, wo vor allem politisches Kabarett gespielt wurde. Dort hat er Blut geleckt. Er schnappte sich seine Geige, fuhr nach Berlin und sprach am Schillertheater vor, wo er sich eine Empfehlung für die Schauspielschule in Berlin schreiben ließ und begann die Ausbildung. Es folgten zwei Jahre als freier Schauspieler in Berlin und vier Jahre Festanstellung in Münster, dann ging er zusammen mit dem ehemaligen Intendanten Stromberg nach Trier. Das war 1981.
Ein Schlüsselkind in der Schweiz
Seitdem leben er und seine Frau in Trier. „Eigentlich wollte ich nie heiraten, aber nachdem sie mit mir nach Trier gezogen ist, wollte ich, dass sie versorgt ist.“ Er und sie waren vorher über zwölf Jahre zusammen. „Aber sehr locker, wir waren die 68er Generation. Und sie wissen ja, was man da sagt“, scherzt er.
Überhaupt kommen ihm die jungen Leute heute sehr prüde vor, früh zu heiraten wäre für ihn undenkbar gewesen. Er findet es bewundernswert, dass viele seiner Kollegen ihren Job ausüben können und gleichzeitig Kinder haben. Er und seine Frau haben keine Kinder. „Ich selbst war ein Schlüsselkind, meine Frau ist berufstätig, ich habe kaum Zeit. Kinder brauchen aber eben genau diese. Beide Eltern zu bestimmten Zeiten, wenn die nicht da sind, fehlt etwas Wichtiges. Das habe ich selbst erfahren.“
Vor Kurzem kämpfte Leu noch mit einer schweren Erkrankung, abends spürte er wie sein Arm kribbelte, dann sein Mundwinkel. Am nächsten Tag war es noch da und er ging sofort ins Krankenhaus. „Dort haben sie mich erst mal links gemacht.“ Ein Warnschuss war es. Nur. Trotzdem war die Blockade da. „Ich hatte Angst auf die Bühne zu gehen und dort eventuell einen zweiten Schlaganfall zu riskieren. Ich musste erst vorsichtig wieder anfangen.“
Man sagte dann zwei seiner Vorstellungen von Josef und Maria ab, die er kurze Zeit später nachholte. „Nachdem ich erst mal wieder geprobt hatte, war es gut. Die Blockade war weg.“ Jetzt hofft er, nur noch lange gesund zu bleiben. „Ich hatte sehr gute Ärzte hier in Trier, aber da lern ich lieber einen 20-seitigen Monolog auf Serbokroatisch, als diese Ärzte noch einmal wieder zu sehen“, scherzt er.
Ein Knallbonbon zum Schluss
Zu seinem Abschiedsstück mit Manfred-Paul Hänig weiß er eines zu sagen: „Ein Knallbonbon zum Schluss, das wir uns lange gewünscht haben.“ Vorgeschlagen hatten sie es schon oft, doch nun haben beide das richtige Alter für die Rollen und zum Abschied gewährte man ihm seinen Wunsch.
5vier.de wünscht Hans-Peter Leu einen schönen Ruhestand und noch viele Jahre in Gesundheit und etlichen Reisen.
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