Von Andreas Gniffke
Das Gefühl, in ein voll besetztes Stadion einzulaufen, Fanmassen, die einen anfeuern, Millionenverträge in der Hinterhand: Den Traum Fußballprofi zu werden tragen sicher viele Jugendliche in sich. Doch kaum einer von ihnen war so nah dran wie Timo Heinze. Jugendnationalspieler, Kapitän des Bayernnachwuchses, eines der größten Talente des deutschen Fußballs. Doch der letzte Schritt zum Ruhm blieb Timo Heinze versagt und darüber hat er ein Buch geschrieben.
Die Karriere von Thomas Müller gleicht einem Märchen. Innerhalb kürzester Zeit schaffte er es vom Nachwuchs des FC Bayern München in die erste Mannschaft, wurde zum Stammspieler und trotz oder vielleicht auch wegen seiner unkonventionellen Spielweise tragende Säule der deutschen Nationalmannschaft und sogar Torschützenkönig einer Weltmeisterschaft. Es ist noch gar nicht lange her, da gehörte auch Timo Heinze zu seinen Mitspielern, galt als mindestens ebenso talentiert, doch an diesen Namen können sich nur noch Insider erinnern. Thomas Müller hat das Vorwort zu Heinzes gerade erschienenem Buch geschrieben.
Timo Heinze hat ein neues Leben begonnen, jenseits der Fußball-Glamourwelt. Über seine viel zu kurze Karriere berichtet er nun in „Nachspielzeit – Eine unvollendete Fußballkarriere“. Das Buch begleitet Heinze nach Bali, auf eine Reise, die einen neuen Lebensabschnitt einläutet und den Ex-Fußballer zurückblicken lässt. Es geht um eine steile Karriere, schmerzhafte Rückschläge, kurze aber intensive Höhepunkte und ein abruptes Ende.
In jeder Sommerpause versammeln sich im Fußballcamp in Duisburg arbeitslose Fußballprofis, die sich dort fit halten und unter professionellen Bedingungen auf einen neuen Vertrag hoffen. Die Plätze in den Profimannschaften sind begrenzt, neben den vergleichsweise wenigen Stars gibt es eine Vielzahl von Kickern, für die das Profidasein ein existenzielles Problem darstellt. Timo Heinze, heute 26 Jahre alt, war nie in diesem Camp. Er hat seine Karriere bereits zuvor beendet. Warum es dazu kam, kann er sich selbst nicht wirklich erklären. Innerhalb eines Jahres verschlug es den Kapitän der Bayern U23, der auf dem Sprung in den Profikader stand, auf die Ersatzbank des Drittligisten Unterhaching. Die Freude am Fußball wich einer tiefen Resignation und Heinze zog die Notbremse. Darüber berichtet er durchaus selbstkritisch, zeigt aber auch, wie viel Glück und gute Beziehungen nötig sind, um es bis an die Spitze zu schaffen. Sein Buch ist eine Geschichte des Scheiterns und somit nicht nur für Fußballbegeisterte interessant. Es ist ein hoffnungsvolles Buch mit der Botschaft, häufiger auf sein Herz als auf die Vernunft zu hören. Sich einzugestehen, dass man einer Tätigkeit nachgeht, an der man längst jegliche Freude verloren hat, gehört zu den schwierigsten Situationen im Leben, Timo Heinze plädiert eindrücklich dafür, zugunsten der eigenen Lebensfreude auch das eigene Scheitern zu akzeptieren und aussichtslose Lebensträume für eine neue Zukunft aufzugeben.
Meine Karriere als Fußballer war nur eine sehr kurze. Doch ich habe in den wenigen Jahren fast alle Höhen und Tiefen erlebt. Erst arbeitete ich mich Stück für Stück nach oben, dann war von einem Moment auf den anderen alles zunichte, und ich musste Angst davor haben, nie mehr spielen zu können. Anschließend stand ich wieder auf, und mein beschwerlicher, aber schöner Weg führte mich fast bis ganz an die Spitze. Bis ich im Eilflug endgültig ganz nach unten rauschte und unsanft zu Boden fiel.
Die Reise nach Bali lässt Timo Heinze mit diesem Kapitel seines Lebens endgültig abschließen. Er kehrt nach Deutschland zurück und ist bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Seit 2010 studiert er an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Timo Heinze
Nachspielzeit – Eine unvollendete Fußballkarriere
rororo, 240 Seiten, 8,99 Euro
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